Stockend und suchend setzt Andreas Brantelid mit seinem Cello in Edward Elgar s Konzert für Violoncello und Orchester ein, suchend nach einer Schönheit, welche der Erste Weltkrieg wohl für immer zerstört hatte. Erst nach und nach findet das Solocello die ideale Kantilene, die Bratschen und Celli des Orchesters hatten den Weg gewiesen. Wenn dann das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der präzise gestaltenden Leitung von Karl-Heinz Steffens im Tutti die wunderbar schwelgerische, spätromantische Phrase aufnimmt und verstärkt, scheint die alte, glückliche Zeit nochmals kurz aufzuerstehen. Das ist ergreifend schöne Musik – enthoben den Schrecken des Krieges, welcher die Welt so brutal verändert und auch die Kunst nachhaltig beeinflusst hatte.
Aber genau wie Richard Strauss auf die Schrecken des nächsten großen Krieges, des Zweiten Weltkrieges, mit seinen zarten, rückwärtsgewandten Vier letzten Liedern und den Metamorphosen reagiert hatte, spürte Elgar in seinem Cellokonzert einem vergangenen Schönheitsideal nach, verneinte die neuen Strömungen, welche nun in die Musik einkehrten. Der elegische Tonfall nimmt immer wieder überhand. Andreas Brantelid und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin setzen das hochspannend um. Faszinierend, wie Brantelid virtuos zwischen Streichen und Zupfen wechselt, vom Reflektierten zum Tänzerischen drängt, schwärmerisch und entrückt in kunstvollen Piano-Passagen schwelgt, das schmachtend und schmerzerfüllt sich aufbäumende Orchester sanft zurückholt mit der Reminiszenz an die herrliche Kantilene des Kopfsatzes und zum schnellen Abschluss des Konzertes führt. Passend gewählt ist auch die Zugabe des Solisten, eine introvertiert, zart und nachdenklich interpretierte Sarabande von Johann Sebastian Bach.
Auch im zweiten Teil dieses Konzertnachmittags in der Philharmonie erklang Musik aus England, von einem Komponisten, der auf dem Kontinent leider noch mehr vernachlässigt wird als Elgar, nämlich Ralph Vaughan Williams.
Von diesem großartigen Komponisten wurde die zweite Sinfonie gespielt, entstanden ganz kurz vor dem Ersten Weltkrieg.
Der Schluss der Sinfonie, die mysteriös im vierfachen Piano verklingt, scheint das Ende des British Empire zu erahnen – gerade wenn man noch Ralph Vaughan Williams’ Anspielung auf den Text aus TONO-BUNGAY vor Augen hat. Diese mysteriösen – aber nicht eigentlich unheimlichen – Nebelschwaden stehen auch am Beginn der Sinfonie, bevor dann, (nach den von der Harfe intonierten Glockenschlägen Westminsters) lärmend eine niedersinkende Flut an Tönen des gesamten Orchesters einsetzt. Diese fallende Tonfolge erscheint noch mehrmals, drängt sich in die heiteren Rhythmen – und kommt einem sehr bekannt vor. Sie gleicht auffallend dem effektvollen Beginn von Andrew Lloyd Webbers Erfolgsmusical PHANTOM OF THE OPERA – Lloyd Webber war mit der Musik von Vaughan Williams bestimmt sehr vertraut.
Karl-Heinz Steffens und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin verstanden es vortrefflich, die Stimmungen der erwachenden Großstadt zu evozieren, volksliedhafte Einsprengsel und rasante Klangsteigerungen zu mischen, den herrlich gespielten solistischen Passagen prominent Raum zu geben (Bratsche, Englischhorn, Klarinette, Solovioline, Trommel), gleißende Kulminationspunkte zu setzen, welche abrupt in ein Diminuendo mündeten. Wunderschön herausgearbeitet waren auch die wiederkehrenden „Glockenschläge“, welche die Harfe über dem murmelnden Fließen und Wispern der Streicher im Schlusssatz spielte, bevor dann alles unter der Führung der Solovioline wieder im Nebel versank und die Zuhörer mit einem zarten Fragezeichen in die Dunkelheit entließ.
Die Philharmonie war an diesem dritten Adventssonntag nicht ausverkauft, doch das anwesende Publikum bedankte sich mit anhaltendem, herzlichem Applaus für diese bereichernde Entdeckungsreise zu spannenden Werken der beiden bedeutendsten Komponisten Englands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.