
Die groteske Oper Die Liebe zu den drei Orangen von Sergej Prokofjew ist für die Phantasie von Regisseuren eine Goldgrube. Das haben in Bremen 1989 Andras Fricsay und im letzten Jahr Frank Hilbrich bewiesen. Nun legte das Stadttheater Bremerhaven zur Spielzeiteröffnung mit einer Inszenierung von Julius Theodor Semmelmann nach. Und auch hier ist es gelungen, Chaos, Witz, Satire und Märchenhaftes zu einem absurden Gesamtereignis voller Charme zu bündeln. Gesungen wurde in deutscher Sprache.
Im Prolog streiten sich (auf der Bühne und im Zuschauerraum) verschiedene Gruppen, ob eine Tragödie, eine Komödie, eine Romanze oder eine Klamotte gezeigt werden soll. Prokofjews Werk ist von allem etwas. Es geht um einen depressiven Prinzen, der nicht lachen und durch nichts aufgeheitert werden kann. Und es geht um die Macht im Königreich, die das intrigante Paar Leander und Clarice an sich reißen wollen. Dazu muss allerdings der Prinz beseitigt werden. Der Zauberer Tschelio kämpft für den Prinzen, die Hexe Fata Morgana für Leander. Als Fata Morgana unglücklich stürzt, kann der Prinz doch lachen und wird dafür von ihr verflucht: Er soll sich in drei Orangen verlieben. Es beginnt eine phantasievolle Reise durch ein Märchenland, die ihn und seinen Freund Truffaldino in das Reich einer Köchin (bei ihr sind die Orangen versteckt), in eine dürre Wüste und zurück in den Königspalast führt.

Regisseur und Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann hat tief in seine Ideenkiste gegriffen., schreckt auch vor (geschmackvollem) Klamauk nicht zurück. Bevor es richtig losgeht, sieht man eine Ingrid-Steeger-Kopie vor dem Vorhang. Eine „Zuschauerin“ verlässt telefonierend das Theater. Tschelio und Fata Morgana liefern sich in luftiger Höhe ein Duell mit Spielkarten, Farfarello erzeugt mit einem riesigen Föhn beträchtliche Windstärken und die Köchin wirkt durch eine Videoprojektion noch gefährlicher.
Im Wüstenbild sieht man (ähnlich wie in Bremen) drei riesige Orangen, aus denen die Prinzessinnen schlüpfen. Der Hofstaat wird köstlich karikiert, etwa wenn ein überforderter Lakai die lange Schleppe des Königs auch bei hektischem Lauf tragen muss. Der große Mond am Himmel sieht auf den ersten Blick romantisch aus, ist aber gleichzeitig augenzwinkernde Ironie. Viele Beleuchtungseffekte, bei denen auch der Zuschauerraum mit einbezogen wird, sind gelungener Teil der Regie. Die Kostüme von Devin McDonough sind sehr phantasievoll ausgefallen. Tschelio etwa könnte auch bei Harry Potter auftreten.
Getragen wird der Abend von einer soliden Ensembleleistung, darunter Timothy Edlin (König und Köchin), Kai Preußker (Leander), Andrew Irwin (Truffaldino) Marcin Hutek (Farfarello) und Frederic Mörth (Tschelio). Meredith Hoffmann-Thomson beeindruckt als fulminante Fata Morgana mit kraftvollem Sopran und der chinesische Tenor Weilian Wang kann als Prinz mit höhensicherer, etwas gleißender Stimme überzeugen. Boshana Milkov verleiht der Verschwörerin Clarice punktgenaue Komödiantik und Victoria Kunze ist eine anmutige Prinzessin Ninetta.

Ein Sonderlob gebührt dem großartig und klangvoll singenden (und agierenden) Chor in der Einstudierung von Edward Mauritius Münch. Dem von Marc Niemann geleiteten Philharmonischen Orchester zu lauschen, war eine reine Freude. Niemann ging mitunter ordentlich „in die Vollen“, etwa bei dem berühmten Marsch, konnte aber auch den Witz und die Feinheiten der Musik exemplarisch verdeutlichen. Wer die Oper in Bremen verpasst hat, sollte jetzt einfach mal nach Bremerhaven fahren.
Wolfgang Denker, 14. September 2025
Die Liebe zu den drei Orangen
Oper von Sergej Prokofjew
Stadttheater Bremerhaven
Premiere am 13. September 2025
Inszenierung : Julius Theodor Semmelmann
Musikalische Leitung: Marc Niemann
Philharmonisches Orchester Bremerhaven
Weitere Vorstellungen: 21.September, 4., 16. 24. Oktober, 21. November, 28. Dezember 2025