Kurz nach der Premierenfeier singt Peggy March – das war 1969 – im TV ihren Hit In der Carnaby Street. Peggy March sang seinerzeit auch den Song Mister Giacomo Puccini. London und Puccini, geht das zusammen?
Es geht sehr gut zusammen – denn im Landestheater Niederbayern, d.h.: im wunderschönen Fürstbischöflichen Opernhaus, hat man Gilbert & Sullivans Trial by Jury von 1875 und Puccinis Gianni Schicchi von 1918 sinnvoll miteinander verkuppelt: zwei juristische Komödien, zwei Meisterwerke. Der regieführende Intendant Stefan Tilch fragt zu Recht, ob einem auf den Bühnen schon einmal diese beiden Einakter an einem Abend begegnet seien. Sind sie nicht, Euer Ehren. Und also schauen wir auf zwei sehr komische wie tiefsinnige „Gerichts“-, genauer: „Justizdramen“, in denen es sich hier – bei den Engländern – um eine Sozialsatire, dort – bei den Italienern – um eine menschlich grundierte Spitzbubenkomödie handelt. In beiden cases werden die Beziehungen eines Mannes zu einer Frau verhandelt: In Trial by Jury weigert sich ein Mann, ein Ehegelöbnis einzuhalten, bevor der Richter selbst das Problem löst, indem er die Frau heiratet, in Gianni Schicchi stünde die Liebe eines jungen Paares auf dem Spiel, wenn sich die Titelfigur nicht einen genialen Trick einfallen ließe, um ein Testament zu fälschen. In beiden Fällen herrscht beim Kollektiv der Geschworenen bzw. der Hinterbliebenen eine exzellente Doppelmoral in Bezug auf das, was man als „bürgerliche Moral“ zu bezeichnen pflegt. Hier wie dort entlarven sich die Geschworenen, der Eheversprechenbrecher, die geldgierige Frau und der Richter wie die schließlich weinenden Erben und der Testamentsfälscher als unverstellt egoistische Figuren – nur, dass man bei Gianni Schicchi weiß, für wen er letzten Endes den Betrug begeht, auch wenn er weiß, dass Laurettas Ankündigung, im Fall des Falles in den Arno zu springen, nur eine List ist. In der Dramatic Cantata wie in der Opera geht es musikalisch schnell und vollsaftig daher. Nicht wenige Gilbert & Sullivan-Kenner halten Trial by Jury (die zweite Operette von Gilbert & Sullivan) für das beste Werk des Autorenteams, ja: für die erfolgreichste britische Kurzoperette. Gianni Schicchi gilt als eine der besten Opernkomödien ever. Grund genug also, die beiden Stücke zu verbinden, wenn man nicht, wie ursprünglich angedacht, das Trittico inszenieren kann; dafür ist das kleine Opernhaus am Inn leider nicht finanzkräftig genug.

In Passau wird die Verbindung nicht allein durch die beiden betont sachlichen und spieltechnisch höchst praktischen, Oben und Unten verbindenden Bühnenbilder von Karlheinz Beer gestiftet, der mit dieser Arbeit nach 28 Jahren sein vermutlich letztes Bühnenbild für das Landestheater Niederbayern entworfen hat. Die Verbindung wird schon durch eine Gestalt hergestellt, die man aus Monty Python’s Flying Circus kennt: ein Ritter mit totem Huhn, der gelegentlich mit demselben herumwedelt und die Protagonisten schlägt. Der Sinn? Es gibt keinen – sonst wär’s ja auch keine Anspielung auf die britische Komikertruppe. Während Trial by Jury eine fast tänzerische Beweglichkeit offenbart, wie sie durch die Vaudeville-Musik vorgegeben wird (natürlich könnte man, wenn man Christoph Marthaler oder Robert Wilson hieße, das Ganze auch statisch inszenieren), glänzen in Gianni Schicchi die Personen durch eine individuelle Körpersprache und Mimik, aber natürlich kommt’s in erster Linie auf die Sängerinnen und Sänger an. Der Richter, der in seinem berühmten Selbstdarstellungs-Song fröhlich all jene Verfehlungen bekennt, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden, ist Peter Tilch, er spielt auch den Marco, Emily Fultz ist Angelina und Nella, Edward Leach Edwin, der Angeklagte, später Rinnuccio. Leni Bäumler ist die „Frau im Schrank“, sie ist die Regieassistentin der Produktion – und tritt in einer kurzen, stummen und sehr witzigen Statistenrolle als Lady im Dessous auf: gewiss keine trauernde Hinterbliebene des gerade verstorbenen Buosi Donati. Das Passauer Ensemble zeichnet sich durch große Homogenität und Spielfreude aus – und besitzt mit Manuel Pollinger als Gerichtsdiener und Simone („O Simone? Simone?…“), William Diggle als Anwalt der Klägerin und Gherardo und mit Oscar Marin-Reyes als um Würde bemühter Sprecher der Geschworenen und dauerbekiffter Betto di Signa weitere einsatzkräftige Solisten.

Der Produktion kommt es natürlich zupass, dass mit Fultz, Leach und Diggle gleich drei native speaker den ersten Einakter bevölkern. Dafür wird der Schicchi von Byung Jun Ko gesungen: beifallprovozierend, wie man nicht erst nach dem Schlussakkord merkt. Mit seinem kräftigen Bariton und einer relativ zurückhaltenden, aber charmanten vis comica erobert er nicht nur die Herzen von Tochter und zukünftigem Schwiegersohn, auch die des Publikums, das den Abend zurecht als amüsante wie gut gemachte Ensembleleistung feiert – und Natasha Sallès’ Lauretta, als prima inter pares, einen Sonderbeifall spendet, weil die junge Sopranistin alles mitbringt, um aus der kleinen, aber bedeutenden Partie etwas Besonderes zu machen. Dass Tilch sie auch besonders witzig inszeniert hat, versteht sich durchaus nicht von selbst; wenn Lauretta, die vom Papa fortgeschickt wird, damit sie nicht zur Zeugin seines Betrugs wird, auf der oberen Etage vor sich hin rockt und Sportübungen macht (die Beine!), passt’s perfekt zu Puccinis rhythmisch akzentuierter Musik. Wie schwer im Übrigen auch diese Oper ist, merkt man, wenn der gute Edward Leach seine schöne Arietta, den herrlichen Lobpreis auf Florenz und die Fremden, die Florenz groß gemacht haben, gut singt und die letzten beiden Spitzentöne denn doch nicht ganz erreicht. Umso bemerkenswerter das gesamte musikalische Ergebnis des Abends, in dem neben den bereits genannten Solistinnen und den hier Ungenannten die Zita der Lucie Ceralová und die Ciesca der Sabine Noack genannt werden müssen, die sich stimmlich und spielerisch, hör- und sichtbar vergnüglich, in die Chose werfen.

Die Niederbayerische Philharmonie spielt im Übrigen unter Basil H. E. Coleman einen lustigen Sullivan und einen witzig-leidenschaftlichen Puccini, dem man gern zuhört, da nicht allein die sprudelnden Soli und markanten Dialoge, sondern auch so etwas Mirakulöses wie die Parodie auf ein hochemotionales und echt opernhaftes Concertato mit dem Chor und dem gesamten Ensemble gelingt, wie man es von Verdi kennt. Gilbert & Sullivan ließen mit „We have a nice dilemma“ eine zwei Minuten lange große Nummer über die Comedy-Bühne rollen, wozu es aller guten Kräfte bedarf. In Passau zeigt auch der von Guiran Jeong einstudierte Chor des Landestheaters Niederbayern, wie so etwas zu klingen hat. Wie gesagt: eine Ensembleleistung, die nicht nur das harmonisch wohlklingende Terzett der drei Damen im Gianni Schicchi zu einem Vergnügen machen. Einzelnes wie die zauberhaften Solostreicher in der Testamentsszene des Schicchi ist besonders berückend. Man merkt da von Neuem, welch hohe Spielkultur auch an den sogenannten kleinen Opernhäusern herrscht.

Genau an dieser Stelle schlägt die Lichtstimmung um, plötzlich stehen alle in einem magischen Dunkelblau und der Bodennebel beginnt zu wabern. Ähnliches wird im Gianni Schicchi an einer anderen Stelle aufleuchten. Die Regie hält sich mit Mätzchen zurück – der Monty-Python-Ritter läuft außer Konkurrenz durch die Szene –, man übt sich stattdessen in guten Witzen: Der endlich glücklich dahingeröchelte Buoso Donati, einst ein Guru, der mit seiner „Clean your Karma“-Firma dank seiner „Mönche“ gute Geschäfte gemacht hat, wird unterm Bett versteckt, was diverse Probleme mit sich bringt (der Mann ist einfach zu lang), im Gerichtssaal wie im Sterbezimmer werden per Diaprojektor Bilder an die Wand geworfen, die hier die unschuldige Angelina und den treulosen Bräutigam, dort die Kostbarkeiten Florenz’, den großnasigen Schicchi und die Ponte Vecchio zeigen, von der sich das Töchterchen stürzen könnte. Der Gerichtsdiener kämpft mit der Technik, die Verwandtschaft findet alle möglichen Waffen im Haus des karmabeseelten Geschäftemachers – und einen Dildo. Zwischendurch aber herrscht die pure Poesie: die Flower Maidens, die Angelina in den Gerichtssaal kommen lässt, und der von den drei Rheintöchtern – pardon: den drei Damen als Donati umgekeidete Schicchi entbinden, auf je verschiedene Weise, durchaus zarte wie heiter-ironische Töne, wie sie auch in komische Operetten und Opern gehören. Und die Inszenierung verrät sie nicht.
Also alles richtig gemacht im Fürstbischöflichen Opernhaus, wo London und Torre de Lago, britischer und italienischer Witz völlig zwanglos zusammenkamen.
Frank Piontek, 10. November 2025
Trial by Jury / Gianni Schicchi
Gilbert & Sullivan / Giacomo Puccini
Stadttheater Passau
Premiere: 8. November 2025
Inszenierung: Stefan Tilch
Musikalische Leitung: Basil H. E. Coleman
Niederbayerische Philharmonie