Tecklenburg: „Titanic – Das Musical“, Maury Yeston

Jeder weiß, wie die Geschichte endet, doch gerade das verleiht dem Musical Titanic eine besondere Note. Es ist das besondere Zusammenspiel einer der besten Musical-Kompositionen der letzten 30 Jahre mit einer Geschichte über die vielen einzelnen Schicksale der Personen an Bord der Jungfernfahrt der RMS Titanic, das tief berührt. Das Schiff brach am 10. April 1912 in Southampton auf, erreichte sein Ziel New York jedoch nie. Von den über 2.000 Menschen an Bord kamen mehr als 1.500 ums Leben, weshalb der Untergang der Titanic bis heute zu den größten Unglücken der Seefahrt zählt.

© Daniel Lagerpusch

Die hohe Zahl der verstorbenen Passagiere wirkt besonders beklemmend, wenn man sich diese in Tecklenburg vor Ort einmal genauer vergegenwärtigt. Die Freilichtbühne bietet insgesamt 2.300 Sitzplätze, die bei der besuchten Vorstellung fast alle belegt waren. Selbst die nicht überdachten Sitzplätze am Rand waren trotz der durchwachsenen Wetterprognose nahezu ausverkauft. Somit entspricht die Zuschauerzahl in etwa der Anzahl der Menschen an Bord des Schiffes. Wenn diese große Zuschauerzahl in einem Moment der absoluten Stille gebannt der Geschichte folgt, dann hat Regisseur Ulrich Wiggers wohl alles richtig gemacht. Und in der Tat gelingt ihm hier eine rundum gelungene Inszenierung, die mit sehr genauen Personenzeichnungen glänzt. Jede Figur wird detailliert dargestellt, keine Rolle bleibt schemenhaft. Der erste Gänsehaut-Moment nach wenigen Minuten sorgt auch gleich für die richtige Grundstimmung: Das Ensemble betritt bei Zu allen Zeiten in Schwarz gekleidet die Bühne und erstarrt beim Einsatz der vielleicht eingängigsten Musik des Abends für einen kurzen Moment, bevor die Geschichte mit dem Beladen des Schiffes beginnt. Allgemein ist die fast 15-minütige Eröffnungsnummer des Musicals bereits ein treffender musikalischer Vorgeschmack auf den Abend, die in der besuchten Vorstellung von den Zuschauern frenetisch bejubelt wurde.

© Daniel Lagerpusch

Das Bühnenbild von Jens Janke besteht hauptsächlich aus den vier markanten gelb-schwarzen Schornsteinen des Schiffes, die sich über die gesamte Breite der Bühne verteilen. In der Mitte befindet sich der Steuerraum des Schiffes mit einem großen Lenkrad. Weitere (teilweise verschiebbare) Metalltreppen sorgen für passende Übergänge zwischen den Decks und Handlungsorten. Somit wird die große Naturbühne komplett zur RMS Titanic. Verschiedene Gitter, die elegant die Reling des Schiffes bilden, runden das Bild ab. Die passenden Kostüme der Kostümabteilung unter Fabienne Ank sorgen für ein historisches Flair. Hinzu kommen Videoprojektionen, die im ersten Akt lediglich einzelne Bereiche des Schiffes auf der weißen Wand andeuten. Nach der Pause, bei Einbruch der Dunkelheit, werden sie jedoch zu einem Highlight der Inszenierung. Das von Ulrich Wiggers zusammen mit dem Digital Artist Bonko Karadjov entwickelte Lichtdesign macht Titanic in Tecklenburg allein sehenswert. Dabei soll an dieser Stelle auch gar nicht zu viel verraten werden, doch allein, wie die Wassermassen am Ende das Schiff fluten, ist sensationell umgesetzt. Da auf Grund dieser Bildgewalt bei der Premiere offenbar einige Leute das gute Benehmen vergessen haben, erfolgten vor der Vorstellung und nach der Pause „aus aktuellem Anlass“ weitere eindrückliche Hinweise, auf Foto- und Videoaufnahmen zu verzichten. Denn durch dieses rücksichtslose Verhalten wird anderen Besuchern die Freude am Abend verdorben, wenn diese statt auf die wunderbaren Projektionen auf viele kleine Bildschirme diverser Handys vor sich schauen müssen. Diese Ansagen wurden nicht nur lautstark beklatscht, es hielten sich sogar fast alle Zuschauer daran, was an dieser Stelle durchaus auch mal lobend erwähnt werden darf.

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Da in den rund drei Stunden Spieldauer – wie bereits erwähnt – sehr viele verschiedene Personen im Zentrum der Geschichte stehen, würde es an dieser Stelle den Rahmen sprengen, auf alle Rollen einzugehen, wie immer ist die Besetzung in Tecklenburg aber bis in die kleinsten Nebenrollen überzeugend. Auch in den Hauptrollen ist man stark besetzt. Benjamin Eberling verkörpert den markanten Kapitän E. J. Smith, der vom Direktor der White Star Line, Joseph Bruce Ismay, immer wieder unter Druck gesetzt wird, die Geschwindigkeit des Schiffes zu erhöhen, um mit der Jungfernfahrt Schlagzeilen als schnellste Transatlantik-Schiffsreise zu machen. Felix Martin verkörpert diesen unsympathischen Charakter ganz wunderbar. Als Schiffskonstrukteur Thomas Andrews steht Alexander di Capri auf der Bühne. Sehr schön ist hierbei auch, wie er immer wieder durch sein Schiff läuft, um es während der Fahrt genau zu untersuchen. Ein weiterer Pluspunkt der Inszenierung ist ganz allgemein, dass auch abseits der jeweiligen Haupthandlungen immer wieder verschiedene Personen in ihrer Rolle am Rande des Geschehens beobachtet werden können.

© Daniel Lagerpusch

Til Ormeloh zeigt als Heizer Frederick Barrett einmal mehr, dass hier ein junger Darsteller auf der Bühne steht, der eine große Karriere vor sich hat. Bereits bei der Titanic-Inszenierung der Folkwang-Universität der Künste in Kooperation mit dem Theater Solingen war er als Mitglied des Abschlussjahrgangs 2024 in dieser Rolle zu sehen, die er nun auf der großen Bühne noch etwas mehr ausspielen durfte. Sein Duett mit dem Funker Harold Bride (Tobias Bieri) ist darüber hinaus ein musikalisches Highlight im ersten Akt. Große Sympathien erhält bei allen Titanic-Inszenierungen stets das Ehepaar Isidor und Ida Straus, das nach vierzig gemeinsamen Ehejahren lieber zusammen stirbt, als dass Ida alleine weiterleben möchte. So rührt auch das Duett von Anton Rattinger (Isidor) und Masha Karell (Ida) das Publikum in Tecklenburg wieder zu Tränen. Auch das Duett Drei Tage der frisch verliebten Jim Farrell (Michael B. Sattler) und Kate McGowan (Laura Araiza Inasaridse), das zur Deutschlandpremiere des Stücks im Jahr 2002 in Hamburg neu hinzugefügt wurde, geht zu Herzen. Humorvoller ist dagegen die Beziehung von Alice und Edgar Beane: Der arme Edgar (Patrick L. Schmitz) versucht immer wieder, seiner neugierigen Ehefrau (Bettina Meske) klarzumachen, dass sie in der ersten Klasse nichts zu suchen haben, doch sie mischt sich nur allzu gerne unter die Reichsten der Reichen. Am Ende möchte man diese Aufzählung noch lange fortführen. Der große Applaus am Ende des Abends galt somit auch der hervorragenden Ensembleleistung mit teilweise bis zu 70 Leuten auf der Bühne.

© Daniel Lagerpusch

Hierbei seien auch der Chor und das Orchester der Freilichtspiele Tecklenburg unter der musikalischen Leitung von Juheon Han einbezogen, die die wunderbare, ins Ohr gehende Musik auf jede einzelne Note treffend umsetzten. In Tecklenburg wird im Übrigen die gelungene deutsche Übersetzung von Wolfgang Adenberg aufgeführt, die von allen Akteuren klar verständlich auf die Bühne gebracht wird, sodass man dem Geschehen drei Stunden lang gebannt folgen kann. Aufgrund des bislang sehr positiven Kartenverkaufs sind vor wenigen Tagen zwei Zusatzvorstellungen in den Verkauf gegangen. Allerdings sollte man mit dem Ticketkauf nicht zu lange warten. Titanic ist in dieser Tecklenburger Inszenierung ein Musical-Highlight des Jahres 2025, das jedem Theaterfreund nur wärmstens empfohlen werden kann.

Markus Lamers, 27. Juli 2025


Titanic – Das Musical
Musical von Maury Yeston (Musik) und Peter Stone (Libretto)

Freilichtspiele Tecklenburg

Premiere: 25. Juli 2025
besuchte Vorstellung: 26. Juli 2025

Inszenierung: Ulrich Wiggers
Musikalische Leitung: Juheon Han
Orchester und Chor der Freilichtspiele Tecklenburg

Weitere Aufführungen: div. Termine bis zum 14. September 2025