Premiere: 11.2.2019
Diesen hinreißenden Abend sollte jeder Opernfliebhaber erlebt haben – unbedingt Reiseempfehlung des OPERNFREUNDs
Glückwunsch! Nach Gounods „Roméo et Juliette“ ist dem Theater Aachen mit seinem Bernstein-Abend ein neuer Coup gelungen und eine schöne Hommage für den Komponisten (und Dirigenten, Pianisten, Musikerzieher und, und …) zum 100. Geburtstag. Über Bernsteins grenzsprengende Musikgenialität sind neue Elogen kaum zu verlieren. Aber in seinem Leben gab es auch Schmerzstellen. Mit sinfonischen Werken hatte Bernstein angemessenes Glück, aus dem Musical „West Side Story“ wurde gar ein Dauerbrenner, und das theatralische Zwitterwesen „Candide“ wird heute verstärkt aufführt. Aber Bernstein sehnte sich stets danach, eine genuin amerikanische Oper zu schreiben. Menottis „Konsul“, Barbers „Vanessa“ oder Weills „Street Scene“ sind hier ja eher als Vorstufen zu betrachten.
„Trouble in Tahiti“ war Bernsteins erster Versuch, sein Ideal zu verwirklichen (er fungierte auch als Librettist). Die Resonanz auf die Uraufführung 1952 an der Brandeis Universität in Waltham (Massachusetts) fiel zurückhaltend aus; weitere Produktionen gab es offenbar nicht. Das wurmte den Komponisten und veranlaßte ihn 1980, auf das Sujet mit einer Fortsetzungsgeschichte („A Quiet Place“) zurückzukommen und in dieses neue Werk den Einakter „Trouble in Tahiti“ zu integrieren (in Aachen ist er der 2. Akt).
Die erkaltete Ehe von Sam und Dinah wird durch den Tod der Letzteren neu beleuchtet und einer späten Überprüfung unterzogen. Die Kinder der beiden (Dede und Junior) ergänzen dabei das Personarium mit ihrer eigenen, widersprüchlichen Psychologie.
Da die Handlung beider Werk vielleicht nicht allgemein bekannt ist, zu ihr einige Stichworte. Sam geht in seiner geschäftlichen Tätigkeit auf, Dinah flüchtet in die Welt des Films, um sich in ihren Gedanken ein eigenes Paradies zu erschaffen. Ihr nicht gänzlich geklärter Tod bei einem Autounfall (vermutlich freiwillig) läßt, neben diversen Verwandten und Freunden, am Sarg auch die Nachfolgegeneration in Erscheinung treten: Tochter Dede mit ihrem Gatten Francois und der Sohn Junior, alle drei erotisch miteinander verbunden. Sämtliche Situationen spiegeln in irgendeiner Form Autobiografisches von Bernstein, darunter auch seine ambivalente Sexualität. Die Beerdigung Dinahs gibt Anlaß, alte und neue Beziehungen auf den Prüfstand zu stellen. Ungeachtet verbleibender Kommunikationsschwierigkeiten findet die Familie neu zueinander, deckt dabei manch verschüttete Gefühle auf. Sam wird in seiner späten Trauer um Dinah zu einer Mittelpunktsfigur. Der Trend zur allgemeinen Versöhnung ufert am Schluß etwas aus, aber es ist eine besondere Kunst der jungen Regisseurin Nina Russi, dies nicht über Gebühr aufdringlich wirken zu lassen.
Zusammen mit ihrem Ausstatter-Team (Bühne: Mathis Neidhardt, Kostüme: Annemarie Bulla) hat sie ein Inszenierungskonzept ersonnen, welches Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander verzahnt, Gefühle von einst und jetzt auf fast zärtliche Weise in Beziehung setzt. Da gibt es beispielsweise das unmittelbare Nebeneinander des alten und des jungen Sam, Junior wird als ganz kleiner Junge bereits stumm in die Handlung von „Trouble in Tahiti“ einbezogen, und die tote Dinah erscheint zur musikalischen Introduktion des 3. Aktes von „A Quiet Place“ nochmals auf der Bühne, um ihren geliebten Garten in Augenschein zu nehmen, um den sich jetzt Dede auf etwas ruppige Weise kümmert. Mit solchen Querverbindungen, die mitunter ganz schön ans Herz greifen, bietet Nina Russi eine ganz, ganz große Regiearbeit. Dabei spielt das Bühnenbild eine besondere Rolle. Die ganz auf Sams Haus konzentrierte Handlung spielt sich auf einer Drehbühne ab. Große und kleine Räume mit immer neu gestalteten Interieurs gleiten ständig am Auge des Zuschauers vorbei. Mitunter meint man, bei all diesen Bildwechseln einem Film beizuwohnen. Hinzu kommt eine lebendige und psychologisch brisante Personenführung. Köstliches Detail bei den Beerdigungsfestivitäten: eine junge Dame läßt sich unverfroren neben der toten Dinah fotografieren. Das Aachener Publikum war erkennbar von all diesen optischen Reizen angetan. Berechtigterweise stürmischer Beifall.
Das mit Gästen durchsetzte Ensemble agiert nachgerade sensationell. Vorab ist zu erwähnen, daß am Premierenabend zwei Sänger krankheitsbedingt ausfielen. Sie agierten zwar auf der Szene, wurden aber von der Seitenbühne her vokal gedoubelt, eine Novität für Aachen, die gänzlich reibungslos verlief. Die griechische Sopranistin Evmorfia Metaxaki, welche die Partie der Dede bereits in Lübeck verkörpert hat, lieh ihre Stimme Katharina Hagopian, welche auf der Bühne die Rolle mit viel Koketterie, aber auch großem Gefühlsernst spielte. Für den jungen Sam bot der Spanier Sebastià Peris einem besonders wohltönenden Bariton auf (Rolle bereits an der Oper Zuid), Roman Collett, bis vor kurzem in Stuttgart engagiert, spielte die Partie mit der gebotenen emotionalen Neutralität.
Mit großer Mezzo-Würde gestaltet Fanny Lustaud die Dinah, Patrick Cook überzeugt mit seinem kräftigen, hellen Tenor als Francois, Wieland Satter, Mitglied des Ensembles in Kaiserslautern, bietet mit dem alten Sam eine wahrhaft großformatige, in vielen Momenten erschütternde Leistung. Als ein echter Wirbelwind in Gesang und Darstellung begeistert Fabio Lesuisse (Junior).
Auf eine Namensnennung der weiteren Mitwirkenden (z.T. aus dem Opernchor, der – einstudiert von Jori Klomp – auch als Kollektiv präsent ist) muß aus Platzgründen leider verzichtet werden. Ebenfalls bei dem Jazz-Trio, welches mit seinen Einlage-Auftritten in “Trouble in Tahiti“ die musicalhafte Dramaturgie des Werkes unterstreicht. Seine stark melodiöse Prägung wird von Bernstein in den letzten Akten von „A Quiet Place“ aufgegriffen, während der erste aggressivere, schneidendere Klänge bietet. Das alles bekommt Christopher Ward mit dem Sinfonieorchester Aachen bestens in den Griff. Der Dirigent hat sich nota bene für die Kammermusikfassungen Garth Edwin Sunderlands entschieden, welche 2009 bzw. 2013 entstanden und beispielsweise der CD-Aufnahme Kent Naganos von 2017 zugrunde liegen. Bernsteins Dirigat an der Wiener Staatsoper 1986 (beide Werke), gleichfalls auf CD festgehalten, bieten die originale Orchestrierung.
Ein Besuch dieser Produktion (sie bleibt bis Mai auf dem Spielplan) kann nur dringlichst empfohlen werden.
Christoph Zimmermann 11.2.2016
Bilder (c) Theater Aachen