Wien: „Das schlaue Füchslein“ Leoš Janáček

Man fährt als Berichterstatter mit großer Spannung und Vorfreude mit den U-Bahnen 1 und 3 zum Museumsquartier, den ehemaligen barocken Hofstallungen. Aber diese Freude wird bereits vor der Vorstellung durch etwa 20% der Fahrgäste in diesen beiden Öffis getrübt, die einfach keine FFP2-Maske tragen. Wozu auch, die Stadt Wien kontrolliert ohnehin nicht! Der zweite, weitaus stärkere Störfaktor war aber jener Herr in der 9. Reihe auf Platz 12, der ungeniert während der ganzen Aufführung mit seinem hellleuchtenden Smartphone ganze Sequenzen der Aufführung filmte. Und das unbemerkt von der Platzanweiserin, die die Vorstellung gespannt vom Rand der Halle E aus verfolgte. Falls jene Karte mit Kreditkarte gekauft worden war, wird es der neuen Direktion des Theaters an der Wien ein Leichtes sein, den Namen des Käufers zu ermitteln und wegen Verletzung des Urheberrechtes zu belangen oder mit einem Hausverbot zu belegen! Ich persönlich fühlte mich in meiner Konzentration empfindlich gestört und erachte dieses rücksichtslose Vorgehen des mittelalterlichen Besuchers als skandalös!

Nun aber zum Bericht über die zweite Vorstellung. Mit seiner Antrittsinszenierung ist der neue Hausherr Stefan Herheim seinem bisherigen Stil der Aneinanderreihung von Assoziationsketten treu geblieben. Natürlich kann man das „Schlaue Füchslein“ heute nicht mehr in den naturalistischen Bildern der Staatsoperninszenierung von Otto Schenk aus dem Jahr 2014 auf die Bühne stellen, schließlich soll der Intellekt des Publikums doch etwas gefordert werden. Nicht neu ist da Herheims Idee, den Komponisten Leoš Janáček (Ya-Chung Huang) im typisch weißen Anzug und mit Gehstock ausgestattet, das hereinströmende Publikum beobachten zu lassen, um wenig später Teil des Bühnenlebens als Schulmeister, Mücke, Dackel, Hahn oder Specht zu werden. Diese Verwandlungen gelingen schnell, denn es bedarf dazu keines Ganzkörperkostüms, sondern lediglich eines typischen Attributes dieser Tiergestalten.

©Monika und Karl Forster

Die Handlung der drei Akte changiert sodann zwischen den Ebenen des Waldes und der Natur mit seinen (vermenschlichten) Tieren und der Metaebene einer Kulissenwerkstatt, in der eine blaue Libelle gerade zusammengebaut wird. Später zieht sich dann der Komponist in die Herzkammer eines dort gebauten
Herzens zurück. Abrupte Wechsel desillusionieren idyllische Szenen und die Betrachtenden erfahren damit hautnah, dass hier ein Spiel im Spiel gezeigt wird, bei dem alles nur Schein ist. Im Finale des ersten Aktes werden dann die Hühner als Näherinnen, wie in Wagners fliegendem Holländer, vorgeführt und dürfen vom Füchslein mit überdrehtem Humor erwürgt werden, was mich unwillkürlich an das PC-Spiel vom dummen Moorhuhn erinnerte, das man einfach gnadenlos killen musste…

Eine wenig sinnvolle Pause teilte dann den zweiten Akt, man hätte sie durchaus streichen können, wenn selbst ein Rheingold mit zuletzt 2 Stunden 40 Minuten an der Staatsoper in Berlin unter Thielemann ohne Unterbrechung gezeigt wurde. Nach der Pause folgt die herzergreifende Begegnung zwischen Füchslein
Schlaukopf (Mélissa Petit) und Fuchs (Jana Kurucová). Zur Hochzeit der beiden samt ihrem jungen Nachwuchs (die gewöhnliche Tragzeit einer Füchsin von 51-54 Tagen war für die Handlung nicht relevant), lässt Herheim ein Defilee berühmter Liebespaare aus den Opern Zauberflöte, La Bohème, Madama Butterfly, Tosca, Turandot, Aida, Otello, aber auch den standhaften Zinnsoldaten und seine angebetete Prinzessin, sowie Octavian und Sophie und manch eine Donizetti-Königin (Kostüme: Doris Maria Aigner), auftreten. Und dann erfolgt eine richtige Blutorgie, allerdings nur mit gedachtem Blut, indem die Männer der vorgeführten Paare ihre Partnerinnen hinschlachten, die schlussendlich vom Wilderer Harašta mit einem riesigen Mähdrescher, wie er in Staffel 11 Folge 1 (Wenn der Morgen graut, im
Original: Shot At Dawn) der britischen Serie Inspector Barnaby, zusammengeklaubt werden. Der Förster lässt nun einen „menschlich“ aussehenden Körper als blutigen Köder für die Füchsin zusammennähen. Diese aber verspottet ihn und den Wilderer, indem sie den Mähdrescher auf sie hinlenkt und wird dabei erschossen.

©Monika und Karl Forster

Das Ende der Oper zeigt uns wieder die Kulissenwerkstatt, in der sich der Komponist in die
Herzkammer eines überdimensional großen Herzens (Bühne: Silke Bauer) zurückzieht und dort verstirbt. Das Herz entweicht dann nach dem Bühnenhintergrund. Gedankenverloren über den Kreislauf der Natur schreitet der Förster erneut durch den Wald…

Die Wiener Symphoniker unter der 1989 in Vilnius geborenen litauischen Dirigentin Giedrė Šlekyte entfalteten Janáčeks Musik eindringlich und mit großer Stringenz. Die französische Sopranistin Mélissa Petit glänzte in der Titelrolle als emanzipierte Füchsin Schlaukopf, die slowakische Mezzosopranistin Jana Kurucová, als indisponiert angesagt, ließ sich als temperamentvoller Fuchs nichts anmerken. Der in Zürich geborene Bassbariton Milan Siljanov hatte den richtigen stimmlichen Zugang zur Rolle des Försters und der taiwanesische Tenor Ya-Chung Huang gefiel sowohl als stummer Komponist als auch als Karten spielender Schulmeister, als Mücke, trauriger Dackel und stolzer Hahn. Der aus Siebenbürgen stammende ungarische Sänger Levente Páll unterlegte seinen wohlklingenden Bass der Rolle des Pfarrers. Die tschechische Mezzosopranistin Alžběta Vomáčková ergänzte noch zufriedenstellend in den Rollen der Försterin, Schopfhenne, Eule und Frau Pásek, der Frau des Gastwirtes Pasek, gesungen von Zacharias Galaviz, einem Mitglied des Arnold Schoenberg Chores. Als Harašta gefiel der 1980 geborene ungarische Bassbariton Marcell Bakonyi. Das übrige Personal der Oper rekrutierte sich ebenfalls aus dem von Erwin Ortner einstudierten Arnold Schoenberg Chor sowie Solisten der St. Florianer Sängerknaben. Beate Vollack besorgte die rasche Choreografie des Hochzeitdefilees.

©Monika und Karl Forster

Hausherr Stefan Herheim hat mit dieser Inszenierung seinen gelungenen Einstand im neuen MusikTheater an der Wien gegeben. Man kann gespannt sein auf die neue Ära unter seiner Führung. Am Ende gab es viel Applaus für alle Mitwirkenden vom Publikum der beinahe restlos ausverkauften Halle E im Museumsquartier.

Harald Lacina, 18.10.2022


Leoš Janáček – Das schlaue Füchslein / Premiere am 15. Oktober 2022 Theater an der Wien, Museumsquartier

Inszenierung: Stefan Herheim

Musikalische Leitung: Giedrė Šlekyte

Wiener Symphoniker

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