Mönchengladbach: „Die Faschingsfee“

Premiere: 23.9.2017

Großer Ehrgeiz, kleine Schwächen

Die schon oft tot gesagte Operette hat an der Komischen Oper Berlin eine Vitaminspritze bekommen. Dem Intendanten Barrie Kosky ist es gelungen, die von ihm gewählten Werke von Verkrustungen zu befreien, ihnen Relevanz zu geben und ihre Lust an Unterhaltung neu zu legitimieren. Dabei bewegt er sich allerdings in einem Repertoire, welches nicht auf den Urvater der Operette, Jacques Offenbach, zurückgreift, zumindest bislang nicht. Offenbach war ein Meister satirischer Zuspitzung und subversiver Gesellschaftskritik. Dass das Genre Jahrzehnte später bei einem tränenreichen Werk wie „Land des Lächelns“ landete, ist eine fatale Entwicklung ebenso wie die vielen Bearbeitungen, welche die eigentliche Substanz von Werken übertünchten und verkleisterten.

Das wird auch von Carsten Süss so gesehen, weiterhin im Tenorfach zu Hause (u.a. an der Wiener Volksoper), aber schon seit einiger Zeit auch als Regisseur tätig. Er weist zudem darauf hin, dass sich die Operette im Spielplan gehalten hat, vor allem dem von mittleren und kleineren Häusern, was dem Wunsch vieler Theatergänger entgegen kommt. Freilich stellt sich die Frage, ob das angesichts eines zwangsläufigen Generationenwechsels so bleiben wird.

Süss hebt in einem sehr eloquenten Programheftbeitrag für die von ihm inszenierte „Faschingsfee“ Emmerich Kálmáns zwei Momente hervor, welche dem Genre besonders zugesetzt und sie des Offenbach-Stachels beraubt haben. Beide haben mit dem „Tausendjährigen Reich“ zu tun. Zum einen wurden die Operetten einem „deutschen Reinheitsgebot“ unterzogen, die Werke jüdischer Komponisten (zu ihnen zählt auch Kálmán) gleich völlig aus dem Verkehr gezogen. Nach 1945 war Vergessen gewünscht, was man auch Verdrängung nennen kann. Die Schallplatte tat der Operette gleichfalls nicht nur Gutes an. Der Rundfunk arbeitete in der Regel seriöser, hatte sich freilich nicht dem Problem einer angemessenen optischen Bebilderung zu stellen.

Carsten Süss ist der von vielen anderen Regisseuren geteilten Auffassung, dass Stoffe des Musiktheaters (also auch Operetten) an einer „Verjüngungskur“ nicht vorbei kommen, wobei er freilich einer „wahllosen Modernisierung“ eine Absage erteilt. Hat er sich selber daran gehalten? Dass er die vor dem Ersten Weltkrieg spielende Handlung des 1917 uraufgeführten Werkes in die Jahre nach 1945 verlegt, ist durchaus legitim, wobei an die Ausstatter Siegfried E. Mayer (Bühnenbild) und Dietlind Konold (Kostüme) freilich einige Fragen in punkto Zeitstimmigkeit zu richten wären. Der Transfer bringt im übrigen nicht so viel Gewinn wie erhofft. Karnevalsbegeisterung ist als „Vergessensmaßnahme“ immerhin glaubhaft, die Herz-Schmerz-Euphorien bleiben jedoch Operettenklischee, zumal im melodramatisch überbordenden 2. Akt. Dass es die Fürstin Alexandra (in Mönchengladbach entfällt der Adelstitel) in eine ausgelassene Jubelfeier verschlägt, müsste übrigens nicht vom Zufall einer Autopanne herrühren, da könnte auch eigenes Begehren mitwirken wie in Lehárs „Lustiger Witwe“ oder Falls „Madame Pompadour“.

Aber Alexandra ist in Mönchengladbach trotz ihres Bekenntnisses, dass sie das „Bravsein nervös“ mache, keine Kokotte, nicht einmal eine besonders Kokette. Mehrfach wird im renovierten Dialogtext auf das vorgerückte Alter Alexandras angespielt, was der Bühnenerscheinung der offenbar ewig jungen Debra Hays freilich widerspricht. Aber warum wird daraus nicht wirklich eine inszenatorische Konsequenz gezogen?

Für das Finalbild wählt Carsten Süss mit seinen Ausstattern ein Nobeletablissement, wie es unmittelbar nach dem Kriege derart gestylt nicht gegeben haben dürfte. Man erlebt eine steif-vornehme Mahlzeit bei Rittmeister von Grevlingen mit alter Dame im Rollstuhl und einem pubertären Schnösel, der dauernd zu kiffen scheint. Das wäre doch schon eher ein Bild für die spätere Wohlstandsgesellschaft. Wie auch immer: hier möchte die dem Rittmeister anverlobte Alexandra wirklich nicht begraben sein. Auf einmal stürzt ihr euphorischer Verehrer, der Maler Victor Ronai, herein, nimmt sie bei der Hand und befreit sie aus ihrem Unglück. Wirkt reichlich fix.

Die Figur des Dr. Mereditt, offiziell ein honoriger Sponsor, in Wirklichkeit aber vor allem ein unsympathischer Grapscher, interpretiert Süss als unverbesserlichen Nazi. Seine Szene im 3. Akt (wo die kraftvolle, angenehm timbrierte Stimme von Juan Carlos Petruzziello besonders aufhorchen lässt) wird mit BDM-Mädchen garniert. Das hat konzeptionell eine gewisse Schlüssigkeit, wirkt aber reichlich drastisch. Und wenn dann noch ein Richard-Wagner-Porträt von der Wand fällt und dahinter das Konterfei von Hitler auftaucht – naja.

Großartig hingegen der 1. Akt, wo es in den Faschingsturbulenzen wirklich kein Aufhalten gibt, was nicht zuletzt dem einsatzfreudigen Chor zu danken ist. Hier und da mal ein Stillstand, dort eine hervorgehobene Privatszene in eingedimmtem Licht – das sind wirkungsvolle Zäsuren. Im Folgeakt dörrt das Verfahren allerdings etwas aus.

Der Gesang von Debra Hays und dem tenorstählernen Michael Siemon (Victor) stößt mitunter etwas an Wohlfühlgrenzen, wirkt aber stets rollengerecht und wird von darstellerischem Elan unterfüttert. Glänzend besetzt ist das Buffopaar Lori/Hubert (Hubsi) mit Gabriela Kuhn und Markus Heinrich, letzterer rhetorisch besonders brillant. Hayk Dèinyan erheitert als Lubitscheck, Intendant Michael Grosse hat die eher unscheinbare Sprechrolle des Rittmeisters übernommen. Unter Diego Martin-Etxebarria spielen die Niederrheinischen Sinfoniker mit Schwung und Pfiff.

Christoph Zimmermann (24.9.2017)

Bilder (c) Stutte / Theater Krefeld & Mönchengladbach