Im Mittelpunkt steht Isolde, ihr Hass, ihr Leid. KS Kristiane Kaiser bescherte dem begeisterten Publikum eine, bei aller Durchschlagskraft ihres jugendlich-dramatischen Soprans, sehr differenzierte Isolde, die immer wieder zarte Piani einsetzte und so ein bewegendes Portrait gestaltete. Ein Höhepunkt war ihr wunderbar auf Linie gesungener Liebestod, in dem sie nochmal mit großer Intensität die Stimme über dem Orchester schweben ließ.

Ihr gegenüber hat es Brad Cooper als Tristan nicht immer leicht, zur Geltung zu kommen. Es fehlt der hellen, klar fokussierten Stimme etwas an Durchschlagskraft, um neben der rollenimmanenten Stimme der Isolde bestehen zu können. Allerdings macht der Tenor dies durch seine Legato-Kultur und den Einsatz vieler zarter Zwischentöne und einer großen schauspielerischen Präsenz mehr als wett. Bis zum Schluss singt er ohne erkennbare Ermüdungserscheinungen klangschön und deutlich im Ausdruck.

Das Meer als Symbol für das Leben, die Reinheit, aber auch als vernichtendes Element durchzieht die gesamte Inszenierung. Das erzeugt im ersten und letzten Akt viel Atmosphäre in den großartig gestalteten, düsteren, an einen Schiffsrumpf erinnernden Bühnenbildern von Dieter Richter. Das wunderbare Vorspiel dieser Oper zu bebildern, um Isoldes Traumata mit diversen Methapern und geradezu sachdienlichen Hinweisen für alle, die das Stück nicht kennen, anzureichern, hat etwas Belehrendes.
Das im Vorspiel projizierte weiße Reh, Unschuld symbolisierend, wird im zweiten Akt von König Marke, mit sonorer Bassfülle und intensivem Ausdruck von KS Wilfried Staber gesungen, während des Liebesduetts ausgeweidet. Das hat keinerlei erhellende Wirkung. Im dritten Akt dient es dann als Reflexionsfläche für Tristans Alpträume. Erklärungen gibt es dafür nicht. Die gedankliche und emotionale Unschuld von Tristan und Isolde ist schon am Anfang nicht mehr vorhanden.
Vieles bleibt in der fatalistischen Sicht der Regisseurin Clara Kalus stecken. Der Blick auf die Geschichte von Tristan und Isolde, stellvertretend für die Gegenüberstellung von Mann und Frau, negiert die Kernaussage des Stücks. Das bedingungslose einander Lieben und gemeinsam den Tod als Erlösung Suchende von Tristan und Isolde vermittelt sich zu wenig.
Es sind die vielen Nebenhandlungen, Symbole und Projektionen, die immer wieder von der Kraft der Musik ablenken oder ihr entgegenstehen.

Den zweiten Akt dominiert auf der Bühne die Projektion von Géricaults monumentalem Bild „Floß der Medusa“ im goldenen Prunkrahmen. Vernichtung, Entmenschlichung, Untergang heraufbeschwörend, erschließt sich dieser Einfall im Zusammenhang mit dem zentralen Thema der Oper, der alle Konventionen sprengenden Liebe, nicht.
Was fehlt, sind die Emotionen. Nur auf die Nachtseite, den Hass und die Rache in der Geschichte zu sehen, ist zu kurz gedacht. Die Begegnung von Tristan und Isolde verlangt im zweiten Akt nach Ekstase und Hingabe, nicht nach symbolbehafteter Bebilderung.
Auf der anderen Seite überzeugt die Regisseurin mit Einfällen, die im Gedächtnis haften bleiben, z.B. mit Brangänes Auftritt im zweiten Akt, wenn sie, eine Fackel tragend, bei verdunkelter Bühne hinter dem Gemälde von Géricault sichtbar wird und die Liebenden zur Wachsamkeit mahnt. Mit großem emotionalem Einsatz begeistert Wioletta Hebrowska als Brangäne. Ihr nimmt man die tiefe Verzweiflung über das Vertauschen der Tränke ab. Mit ihrer exquisit timbrierten Stimme gestaltet sie besonders den Wachtgesang im zweiten Akt wunderbar mit langem Atem und starkem stimmlichen Ausdruck. Einer der musikalische Höhepunkt des Abends. Auch das Finale des Aktes überzeugt durch die gekonnte, mit Spannung aufgeladene Personenführung.

Johan Hyunbong Choi empfiehlt sich mit seiner Darbietung als Kurwenal für weitere Wagner-Partien. Sein ebenmäßig geführter Bariton gibt ihm die Möglichkeit, sowohl die innerlichen Passagen als auch die jubelnde Begeisterung mit überwältigender stimmlicher Ausdruckskraft zu gestalten.
GMD Golo Berg zelebriert diese außergewöhnliche Partitur, setzt auf langsame Tempi und einen geradezu kammermusikalischen Ton, ohne das Rauschhafte und Überwältigende der Musik zu vernachlässigen. Er ist seinen Sängern ein aufmerksamer Begleiter und entlockt dem Sinfonieorchester Münster einen wunderbar luziden Klang. Einige Wackler im Blech mögen der Premierenspannung geschuldet sein. Besonders das „O sink hernieder, Nacht der Liebe“, wunderbar sensibel dirigiert und von KS Kristiane Kaiser und Brad Cooper ganz verinnerlicht gesungen, und Brangänes Wachtgesang schufen wunderbare Augenblicke, in denen die Zeit still zu stehen schien.
Die Sänger der kleineren Partien und der Chor unter der Leitung von Anton Tremmel ließen keine Wünsche offen.
Am Ende viel Applaus und Bravorufe für die musikalische Darbietung, verhaltener, von einigen Buhrufen durchsetzter Applaus für das Regieteam.
Axel Wuttke, 6. November 2025
Tristan und Isolde
Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik Richard Wagner
Theater Münster
Premiere 2. November 2025
Regie: Clara Kalus
Musikalische Leitung: Golo Berg
Sinfonieorchester Münster
Weitere Vorstellungen: 8. und 22. November, 14. Dezember 2025, 11. und 25. Januar 2026