
Es hat Seltenheitswert, dass beim Verbeugungsritual nach der Vorstellung das Regieteam den stärksten Applaus einheimsen kann – und das diesmal zu Recht. Regisseur Tobias Ribitzki, Ausstatter (B + K) Stefan Rieckhoff, Videokünstler Paul Barritt sowie Lichtdesigner Florian Weisleitner beglückten das Publikum mit einer szenisch äußerst gelungenen Umsetzung von Leos Janaceks satirisch-fantastischer Oper um den Prager Kleinbürger Matèj Broucek, der tagein, tagaus sein Stammlokal aufsucht, um sich an den kulinarischen Spezialitäten wie Bier, Würste und Sauerkraut zu delektieren sowie über die säumigen Mieter seiner Wohnungen zu ereifern. In seinem Alkoholdusel erträumt er sich einmal auf den Mond, ein anderes Mal in die Zeit der Hussitenkriege.
Für seine 5. Oper nahm sich der „Opernspätzünder“ Janacek ungewöhnlich viel Zeit (1907 – 1918), die Uraufführung fand 1920 in Prag statt und gestaltete sich als eher verhaltener Erfolg. Die deutschsprachige Erstaufführung fand erst 1959 in München mit einem erlesenen Ensemble (Lorenz Fehenberger, Wilma Lipp, Fritz Wunderlich – welch ein Besetzungsluxus!) statt, ein Live-Mitschnitt ist auf CD erschienen.
Es ist der Leitung des TLT hoch anzurechnen, dieses selten aufgeführte Werk auf den Spielplan zu setzen und dafür ein ideales Leading Team zu verpflichten. Ribitzki verzichtet gottlob auf Modernismen und lässt das alte Prag mit seinem Charme auferstehen. Die Personenführung zeichnet sich durch viel Liebe zum Detail aus, das Kafkaeske der Randszenen kommt ebenso zum Tragen wie die zauberhafte Sequenz auf dem Mond und das Kriegerische beim Ausflug in das frühe 15. Jahrhundert. Die offene Bühne kommt mit wenigen Requisiten aus, die Kostüme sind äußerst geschmackvoll gewählt und erfreuen das Auge. Die Beleuchtung ist stimmungsvoll und unaufdringlich, die Animationen auf der Leinwand während der Szenenwechsel erzeugen beim Beschauer Schmunzeln und sind von einem wahren Könner umgesetzt worden. Von diesem Team wünschte man sich – um den slawischen Faden der Intendanz fortzuspinnen – zum Beispiel „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromir Weinberger.

An Janaceks prächtiger, vielschichtiger Partitur wurde merklich viel Vorbereitungseifer investiert, das Ergebnis war ein orchestraler Farbenrausch, wofür Matthew Toogood und dem bestens disponierten Tiroler Symphonieorchester Innsbruck zu danken ist. Lediglich die erste Szene hätte etwas weniger Lautstärke vertragen. Mit dem Broucek scheint Florian Stern, langjähriges Mitglied des Hauses, eine neue Paraderolle gefunden zu haben. Er bewältigte die gesanglich höchst anspruchsvolle Partie souverän und stellte den kauzigen Typen, der auch seine guten Seiten hat, perfekt dar. Hazel Neighbour, seit dieser Saison neu am Hause, verkörperte ihre drei unterschiedlichen Rollen (Malinka/Etherea/Kunka) mit viel Charisma und gelegentlich zu ausufernder Sopran-Fülle. Der dem Staatstheater Cottbus entliehene Tenor Alexey Sayapin (als Mazal/Sternenfried/Peter) strapazierte seine Stimmbänder (und die Gehörgänge sensibler Zuhörer) über Gebühr, die häufig geforderten Höhen klangen grell und gepresst. Bei beiden mangelte es bedauerlicherweise an der Textverständlichkeit. Marcel Brunner (Sakristan/Mondkristan/Domsik) sowie Erwin Belakowitsch (Würfl/Zauberlicht/Schöffe) waren darstellerisch und gesanglich zufriedenstellend besetzt. Ungewohnt dünnstimmig erklang Anastasia Lermans Edelsopran in den Partien Piccolo/Wunderkind/Student. Drei Chorsolisten bewährten sich in kleineren, aber für das Verständnis der Handlung wichtigen Rollen vorzüglich. Ihre Namen: Jungwhan Lee, Esewu Nobela und Qi Wang. Der mit prachtvollem Alt gesegneten Abongile Fumba als Kedruta waren nur wenige Gesangsphrasen vergönnt. In bestechender Form präsentierten sich Chor und Extrachor des Tiroler Landestheaters, von Michel Roberge wie immer mustergültig einstudiert. Besonders der Herrenchor konnte im 2. Teil des Abends seine Qualität mit „Wir sind Gottes Knechte“ unter Beweis stellen. Da waren speziell die Tenöre gefordert und sie entledigten sich der schwierigen Aufgabe ausgezeichnet.
Das Haus war zu schätzungsweise 70 % besetzt, dafür fiel der Schlussapplaus besonders herzlich und intensiv aus. An dieser lohnenden Produktion sollten die Raritätensammler und Opernliebhaber nicht vorüber gehen.
Dietmar Plattner 9. November 2025
Besonderer Dank an unsere Freunde und Kooperationspartner vom MERKER-online (Wien)
Die Ausflüge des Hernn Broucek
Leoš Janáček
Innsbruck/Tiroler Landestheater
2. November 2025
Regisseur: Tobias Ribitzki
Dirigat: Matthew Toogood
Tiroler Symphonieorchester Innsbruck