Düsseldorf: „Hérodiade“, Jules Massenet

Im Dezember 1881 fand in Brüssel die Uraufführung der Oper Hérodiade von Jules Massenet statt. Hierin wird in vier Akten die Geschichte von Salomé und Herodes erzählt, basierend auf der Novelle Hérodias von Gustave Flaubert. Im Gegensatz zur Richard-Strauss-Oper Salome mit einer identischen Thematik wurde Hérodiade zwar gegen Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts an einigen Opernhäusern aufgeführt, dennoch hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht wirklich viele vollständig inszenierte Aufführungen dieses Werkes gegeben. Die Deutsche Oper am Rhein setzte dieses Werk nun zum Ende der Spielzeit als letzte große Opernpremiere auf den Düsseldorfer Spielplan.

© Hans Jörg Michel

Kurz ein paar Worte zur grundlegenden Personenkonstellation: Um ihren Schwager Hérode zu heiraten, verließ Hérodiade seinerzeit ihre Tochter Salomé im Kindesalter. Inzwischen ist Salomé zu einer jungen Frau herangewachsen und macht sich auf die Suche nach ihrer ihr unbekannten Mutter. Gleichzeitig entbrennt ihr Herz für den Prediger Jean, Johannes der Täufer, der wiederum durch Kritik an Hérodiade beim Herrscherpaar in Ungnade gefallen ist. Aus Angst vor den Reaktionen des Volkes verweigert Hérode aber vorerst den Wunsch seiner Frau, Jean hinrichten zu lassen. Gleichzeitig schwärmt der Tetrarch für die junge Salomé, ohne zu wissen, dass es die Tochter seiner Ehefrau ist. Hérodiade ist blind vor Eifersucht und sieht in Salomé nur eine Rivalin und nicht ihre eigene Tochter. Zu diesen familiären „Problemen“ gesellt sich die allgemeine politische Lage im Land. Während der in der Wüste lebende Sternendeuter Phanuel noch vor einem brodelnden Konflikt warnt, erscheint der römische Konsul Vitellius. Um den Einfluss Jeans zu vermindern, gesteht er dem Volk diverse Freiheiten zu, das sich daraufhin schnell mit der staatlichen Macht arrangiert.

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Aus diesen mehrschichtigen Handlungssträngen schuf Massenet eine Oper, die sich gleichzeitig mit den großen Themen Religion, Familie, Liebe und Macht befasst. Obendrein brachte er eine große Portion Orientalismus ins Werk ein, was zur Entstehungszeit der Oper zur guten Unterhaltung diente. Leider vertraut Regisseur Lorenzo Fioroni dieser Geschichte nicht wirklich. Stattdessen möchte er die unterschiedlichen Erzählstränge „nicht unter einen Bogen zwingen, sondern im Gegenteil das Kaleidoskopartige des Stückes ernst nehmen“. Dies geht leider gründlich daneben. Mit inzwischen rund zwölf Stunden Abstand zur Aufführung hat mein Kurzzeitgedächtnis die meisten der unzähligen Regie-Einfälle zum Glück wieder vergessen, da sie das Gehirn automatisch als nicht wichtige Erinnerung eingestuft hat. Die komplette Mischung von Zeiten, Räumen und kulturellen Kontexten mag zwar gewünscht sein, verursacht über den gesamten Abend aber sehr häufig nur ungläubiges Kopfschütteln. Und dabei ist Salomé als moderne Rucksacktouristin, die auf eine Pariser Bevölkerung aus der Entstehungszeit der Oper trifft (die gleichzeitig das hebräische Volk verkörpern soll) und unter die sich dann wiederum der Sternendeuter Phanuel in altertümlich weißem Gewand mischt, noch das kleinste Übel. Man möchte fast sagen, da hat jemand das Kaleidoskop wohl doch viel zu heftig geschüttelt, denn dadurch ist es leider kaputt gegangen, und am Ende erkennt man außer einzelnen kleinen Teilchen gar nichts mehr. Auch dass man Hérode noch einen hinzu gedichtetes Alter Ego zur Seite gestellt hat, das diese Figur in verschiedene Zeiten überträgt, funktioniert in dieser Form leider gar nicht.

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Die vielen Kostüme sind ebenfalls in diesem gescheiterten Kontext zu sehen, von Katharina Gault aber immerhin sehr aufwendig und detailliert gestaltet. Dies gilt auch für das Bühnenbild von Paul Zoller. Es gibt wirklich viel zu sehen mit häufig wechselnden Bildern und dem vollen Einsatz des gesamten Bühnenapparates. Besonders beeindruckend sind drei große bewegliche Marionetten, die die volle Bühnenhöhe einnehmen. Das sieht alles wunderbar aus und bietet viel fürs Auge. Dennoch werden auch hier immer wieder bewusst diese Kopfschüttel-Momente durch die Regie erzeugt, was die Freude an der technischen Umsetzung der Bühne deutlich trübt. Hochwertig und teuer sehen auch die Videoeinspielungen von Christian Weissenberger aus, doch was nützt hier die beste Umsetzung? Muss man die Ouvertüre wirklich bebildern, indem ein wohlhabender Bourgeois in altertümlicher Kleidung durch das heutige Paris wandert und man dem Zuschauer somit den Charakter des „zweiten Hérode“ vorstellt? Dabei zeigte die Einleitung zum vierten Akt doch exemplarisch, wir stark die Musik ganz ohne Bühnenablenkung wirken kann. Der wohl einzige Moment des Abends, wo sich Regisseur Lorenzo Fioroni mal zurückgehalten hat und die Bühne schwarz lässt. Recht treffend formulierte es zuvor in der Pause bereits eine Dame neben mir, indem sie betonte, dass die Musik toll sei, die Inszenierung aber „eine einzige Katastrophe“. Entsprechend verließen nach rund drei langen Stunden Nettospielzeit (zuzüglich Pause) viele Besucher fluchtartig den Theatersaal, noch bevor die Darsteller zum ersten Applaus auf die Bühne kamen. Auch deutlich vernehmbare Buh-Rufe unmittelbar zum Schlussvorhang sind in Düsseldorf eher selten zu erleben. Diese steigerten sich deutlich beim Auftritt des Regieteams und mischten sich unter den ansonsten eher höflichen Schlussapplaus. Zwei bis drei Zuschauer meinten, mit besonders lauten Bravo-Rufen gegen halten zu müssen, was insgesamt für eine etwas bizarr wirkende Situation sorgte.

© Hans Jörg Michel

Einig war man sich aber über die musikalische Seite der Oper, die als sehr gelungen betrachtet werden kann. Die Düsseldorfer Symphoniker spielten unter der Leitung von Sébastien Rouland die wunderbare Musik von Massenet traumhaft schön. Angereichert mit Passagen für Opern- und zusätzlichem Kinderchor und einer großen musikalischen Bandbreite mit vollem Orchestereinsatz liefert Hérodiade alles, was das Opernherz beglückt. Auch die gesanglichen Leistungen waren allesamt in die Kategorie „gelungene Premiere“ einzustufen und das, obwohl sich Luiza Fatyol bei einem Unfall vor wenigen Tagen verletzt hatte und die Rolle der Salomé mit bandagiertem Arm vom Bühnenrand ein-singen musste, während die Regieassistentin Lotte Zuther die Rolle ausdrucksstark auf der Bühne verkörperte. In den weiteren Rollen überzeugten Bogdan Baciu als Hérode, Ramona Zaharia als Hérodiade, Sébastien Guèze als Jean, Luke Stoker als Phanuel und Jorge Espino als Vitellius. Ein großes Lob hier an die Darsteller und das Düsseldorfer Publikum, das die gesangliche Leistung trotz der erwähnten erheblichen Mängel der Inszenierung am Ende mit großem Applaus bedachte.

Markus Lamers, 28. Mai 2023


Hérodiade

Oper von Jules Massenet

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf

Besuchte Premiere: 27. Mai 2023

Inszenierung: Lorenzo Fioroni

Musikalische Leitung: Sébastien Rouland

Düsseldorfer Symphoniker

Weitere Vorstellungen: 4. Juni / 8. Juni / 18. Juni / 23.Juni / 25. Juni

Trailer