Köln: „Der Kaiser von Atlantis“, Viktor Ullmann

Premiere am 24. Februar 2018

Wenn der Tod streikt

Was ist es für Opernfreunde in Köln eine Freude, wieder den Weg zum Offenbachplatz einzuschlagen um in die Oper zu gehen. Zwar ist man auch noch weiterhin genötigt den mächtigen Riphahn-Bau links liegen zu lassen, aber immerhin öffnet die sogenannte „Außenspielstätte am Offenbachplatz“, die in ferner Zukunft die kleine Bühne des Schauspiels sein wird, derzeit ihre Pforten für das Musiktheater.

Viktor Ullmanns Kammeroper „Der Kaiser von Atlantis“ steht auf dem Programm und konnte bei der Premiere einen wahren Beifallssturm entfachen. Diese Oper, die gerade mal eine knappe Stunde dauert, ist – und das mag man sich heute kaum vorstellen – unter den barbarischen Bedingungen nationalsozialistischer Schreckensherrschaft im Ghetto Theresienstadt entstanden. Ullmann war hier interniert und durfte aber, da man dort zu Propagandazwecken ein kulturelles Leben von Machthaberseiten zuließ, komponieren. So entstand dieses Werk, das von beißendem Spott, Ironie und Groteske durchzogen ist. Zur Aufführung kam es zu Lebzeiten Ullmanns nie, nach der Generalprobe wurde das Werk von den Nazis verboten und der Komponist wurde 1944 im KZ ermordet. Erst dreißig Jahre später fand das Werk den Weg auf die Bühne und wird seitdem immer wieder vereinzelt gespielt, nun also auch in Köln.

Im Untertitel trägt die Oper den Zusatz „Die Tod-Verweigerung“ und dieser fasst die Handlung eigentlich schon kurz und bündig zusammen. In Atlantis (die Metapher des untergegangenen Reichs steht hier auch für das versunkene „gute“ Deutschland), herrscht Kaiser Overall. Dieser befiehlt einen Krieg, bei dem jeder gegen jeden kämpfen soll – das ist dem Tod zu viel. Er verweigert die Arbeit und niemand kann mehr sterben. Soldaten schießen aufeinander, aber sie bleiben nicht tot auf dem Schlachtfeld liegen, sondern blicken sich in die Augen und erkennen sich als Menschen (im Falle eines Soldaten und des weiblichen Soldaten Bubikopf entspinnt sich sogar eine kurze Liebesgeschichte). Der Tod nimmt erst wieder die Arbeit auf, als der Kaiser zustimmt, der erste zu sein, den der Tod ins Jenseits führen darf.

Dieses Werk ist natürlich voll von ironischen, ja zynischen Anspielungen auf die Machtverhältnisse im dritten Reich. Ein Herrscher, der nicht mehr bei seinem Volk ist, aber den totalen Krieg befiehlt und nur noch mittels Lautsprecher mit seinen Untergebenen kommuniziert, grotesk sind die Figuren, die Szene, wenn der Tod mit einem Harlekin über das Leben philosophiert, absurd die Liebesszene auf dem Schlachtfeld. Regisseurin Eike Ecker, die schon zahlreiche kleinere Produktionen für die Kölner Oper realisieren konnte, arbeitet sich brav durch das Stück. Sie arbeitet akkurat mit der Musik, traut sich aber nur selten, die Groteske des Stücks auch in die Szene zu übersetzen. Ullmann greift immer wieder zum sehr dicken Pinsel, Ecker traut sich nur selten das auch in ihrer Inszenierung zu tun. Charmant ist ein Ballett der Statisterie, mit kleinen glitzernden Sensen zu fetzigen Swing-Rhythmen aus dem Graben, Soldaten die eimerweise rotes Konfetti schaufeln – solche Bilder hätte man sich mehr gewünscht. Was Ecker freilich ganz exzellent gelingt ist die Zeichnung der Figuren und der Blick für die ruhigen, lyrischen Momente der Oper, denn auch die gibt es und hier entstehen wirklich berührende Momente.

Bühnenbildner Darko Petrovic, der auch für die wilden, prächtigen Kostüme verantwortlich zeichnet, hat für die nicht gerade üppigen Platzverhältnisse der Spielstätte ein Setting geschaffen, bei dem das Orchester in der Mitte der Bühne in einer Vertiefung sitzt, durch dessen Mitte ein Steg mit einer kleinen, erhöhten Plattform führt. Über dem Orchester schwebt bedrohlich, omnipräsent und letztendlich hervorragend überzeichnet der riesige Schalltrichter eines Lautsprechers. Und genau aus diesem sind auch die ersten Worte des Abends zu hören, denn Ullmann sieht die Rolle des Lautsprechers explizit vor. Diese übernimmt auf dem Off Lucas Singer, der auf der Bühne aber auch die Hauptrolle spielt: er ist der Tod. Und diese Rolle verkörpert er mit Macht. Mit seinem tiefen, sonoren Bass vermag er die dämonischen Momente dieser Figur auszuleuchten, er vermag aber auch zutiefst zu rühren, wenn er die Sinnhaftigkeit von Leben und Tod in Frage stellt. Dabei sind höchste Textverständlichkeit und Präzision im Ausdruck bemerkenswert. Ihm zur Seite steht aber ein durch die Bank weg hervorragendes Ensemble. Martin Koch gibt einen Harlekin der an Spielfreude und Ausdruck kaum zu übertreffen ist. Sicher in allen Höhen und Tiefen dieser Partie, agil auf der Bühne füllt er die Rolle mit der ihr eigenen tragikomischen Penetranz. Nikolay Borchev gibt einen soliden Kaiser Overall, bleibt aber in der Darstellung etwas zurückhaltend. Dino Lüthy, Mitglied des internationalen Opernstudios der Oper Köln, singt die Rolle des Soldaten mit viel Verve und weiß sich bestens neben seiner Bühnenpartnerin Claudia Rohrbach, fast schon ein Urgestein am Kölner Opernhaus und hier mit der eher kleinen Rolle des Bubikopfs betraut, zu behaupten. Beide meistern ihre Rollen souverän und klangschön. Judith Thielsen vermag in der Rolle des Trommlers nur bedingt zu überzeugen: so schön ihre Stimme ist, die Textverständlichkeit ist leider kaum gegeben.

Bemerkenswert ist sicherlich auch die Leistung der 14 Musiker des Gürzenich-Orchesters unter der Leitung von Rainer Mühlbach. Die Musiker musizieren die Farbigkeit und Vielseitigkeit der Partitur bis in die letzten Nuancen perfekt aus und das ist nicht ohne, denn Ullmann greift auf ganz verschiedene Elemente der Musikgeschichte zurück und präsentiert eine unglaublich facettenreiche Partitur. Vom mit Harmonium begleiteten Rezitativ, über melodramatische Moment, von barocken Tanzformen, über freitonale Passagen bis hin zu mitreißenden Jazzmomenten, vom harmonisch verfremdeten Deutschlandlied (bei der Ankündigung des „totalen Kriegs“ stehe einem hier wirklich die Haare zu Berge) bis zum Luther-Choral – was in dieser Partitur steckt ist eine Menge und die Musiker stellen sich dieser Herausforderung mal wohltönend, mal wild und zügellos aber immer hoch präzise und immer den richtigen Klang entfaltend. Letztendlich, das sei am Rande bemerkt, macht das Werk auch neugierig sich mehr mit dem Schaffen Ullmanns zu beschäftigen, denn auch wenn einiges seines Oeuvres in den Wirren des zweiten Weltkrieges verloren gegangen ist, sind doch viele Werke enthalten, die es zu hören lohnt.

Mit dem „Kaiser von Atlantis“ ist der Kölner Oper eine interessante und berührende Produktion gelungen, die sich um ein Werk verdient macht, das man sich häufiger in den Spielplänen der Opernhäuser wünscht und das ein packendes Statement gegen die Absurditäten von Krieg und Machtmissbrauch ist.

Dank an Paul Leclaire (c) für die schönen Bilder

Sebastian Jacobs 25.2.2018