Ludwigshafen: „Attila“

Premiere am Pfalztheater: 17.09.2017

Undurchsichtiges Konzept

Lieber Opernfreund-Freund,

in Luwigshafen steht seit beinahe 50 Jahren der Pfalzbau, ein Theater- und Konzertgebäude, das auch für Kongresse genutzt wird. Er verfügt über kein eigenes Ensemble, wird aber immer wieder mit Gastspielen anderer Theater bespielt und so war gestern in der größten Stadt der Pfalz Verdis "Attila" zu sehen, eine Produktion des Pfalztheaters im rund 60 km entfernt gelegenen Kaiserslautern, an dem Verdis neunte Oper schon im Herbst vergangenen Jahres Premiere hatte. Der Stoff hatte Verdis Interesse geweckt, weil schon die literarische Vorlage von Zacharias Werner kommentierende Chöre im Stil einer antiken griechischen Tragödie vorgesehen hatte. Der Librettist seines erfolgreichen "Nabucco",Temistocle Solera, begann, den Stoff um den berühmten Hunnenkönig in ein Opentextbuch zu gießen, ehe er mit seiner Frau nach Spanien zog, woraufhin Verdi Francesco Maria Piave mit der Fertigstellung beauftragte und fortan eine Zusammenarbeit mit Solera ablehnte.

Worum geht’s? Attila war 452 mit seinen Horden in Italien eingefallen und hatte Aquilea, die Hauptstadt Venetiens, zerstört und den Herzog getötet. Der ehrgeizige Feldherr Ezio versucht, Attila zu einem Verzicht auf Italien zu bewegen. Odabella, die Tochter des getöteten Herzogs, sinnt auf Rache, kann sich aber Attilas Charisma nicht entziehen. Dieser wirbt um sie und zieht damit den Hass ihres Verlobten Foresto auf sich. Alle Protagonisten wollen also den Tod des Hunnenkönigs – freilich aus unterschiedlichen Motiven heraus – und letztendlich tötet Odabella ihn. Leider merkt man dem Libretto an, dass es nicht aus einem Guss entstanden ist. Beinahe willkürlich reihen sich die Szenen aneinander, von dramatischer Entwicklung keine Spur.

Bedauerlicherweise scheint Regisseur Bruno Klimek dieses Manko zu seinem Mantra erhoben zu haben, so wenig Struktur steckt in seiner Inszenierungleibehr an der Oberfläche. Dabei ist der Ansatz, die Handlung im Zeitlosen zu verorten, die Sänger in graue Alltagskleidung unserer Tage zu stecken (Kostüme: Alexandra Tivig) und die Protagonisten jeweils aus dem Chor auftauchen zu lassen, gar nicht mal schlecht. Die Sängerschar spuckt die Handelnden gewissermaßen auf der kargen Bühne aus, für die ebenfalls der Regisseur verantwortlich zeichnet. Doch wirkt die Reduzierung auf wenige symbolbeladene Requisiten wie Schwert, Krone oder das Blut des getöteten Herzogs, mit dem Attila sich allenthalben Gesicht und verwaschenes Unterhemd beschmieren muss, dermassen plakativ und beinahe enervierend, dass sie zum Verständnis des konfusen Werkes nicht beitragen kann. Hier hätte ich mir ein wenig mehr Regie gewünscht, die Beziehungen und Konflikte deutlich aufzeigt und so versucht, das Werk einzuordnen oder zumindest die Geschichte zu erklären.

Also müssen es einmal mehr die Musiker und Sänger richten. Und das gelingt ihnen durch die Bank vorzüglich. Ensemblemitglied Wieland Sattler genießt die Titelpartie sichtlich und füllt sie mit beeindruckendenm und voluminösem Bassbariton voll satter Kraft. Yasmina Maamars Stimme ist reichlich nachgedunkelt, seit ich sie das letzte Mal habe hören dürfen. Nun kommen zu sicherer Höhe und Ausdrucksstärke eine makellose Modulation durch die Register und eine betörende Tiefe, mit der sie die Odabella zu einem Erlebnis macht. Paulo Ferreira bringt das Theater im Pfalzbau als Foresto mit metallischem Klang, wunderbarem Glanz und schier endlosem Atem zum Schmelzen. Michael Bachtadze gibt den Ezio weltmännisch und imposant, Daniel Kim formt mit feinem Tenor den Uldino. Lediglich vom toten Vater Odabellas, der als Gespenst umhergeistert, hätte ich mir bei Alexis Wagner ein wenig mehr Gespenstisches in der Stimme erhofft. Der Chor ist wichtiger Teil des Abends, wurde von Johannes Köhler sorgsam auf die Partie vorbereitet und begeistert mit feinen Tönen ebenso wie in den heroischen Passagen.

"Attila" mag Verdis patriotischste Oper sein, der Erfolg ist sicher auch den seinerzeit aufkommenden Einheitsbestrebungen im zerrissenen Italien geschuldet – am Ende des Prologes wird beispielsweise die Zeile "Du magst das Universum haben, doch überlass Italien mir" ganze 15 Mal von Ezio vorgetragen. Demzufolge ist die Partitur weniger von fröhlich-tänzerischen Melodien oder schwelgerischen Chören durchzogen, vielmehr zeichnet sie sich durch großen Pathos und viel Hymnisches auf der einen und gefühlvolle Kantilenen auf der anderen Seite aus. Das Theater im Pfalzbau verfügt über eine bemerkenswert gute Akustik, so dass GMD Uwe Sandner die klangschöne Musik zusammen mit den hervorragenden Musikerinnen und Musikern des Orchesters des Pfalztheaters fein herausarbeiten kann und am 116. Todestag des Meisters einen veritablen Verdi präsentiert.

Ihr Jochen Rüth / 28.01.2017

Foto (c) Pfalztheater / Thomas Brenner.