Pforzheim: „Lohengrin“

Premiere: 6.6.2015

Politische Utopien und dezente Anspielungen

Der Premierenabend von „Lohengrin“ am Theater Pforzheim endete mit Standing Ovations für den Regisseur. Die hatte sich Wolf Widder, dessen Amtszeit als Pforzheimer Operndirektor mit Ende der aktuellen Saison nach sieben erfolgreichen Spielzeiten ausläuft, auch redlich verdient. Widder hat dem Publikum im Laufe der Jahre eine Reihe bemerkenswerter Inszenierungen beschert, die allesamt auf große Zustimmung der Besucher und der Kritik gestoßen sind. Mit Wagners dritter romantischer Oper ist ihm nun der krönende Abschluss seiner Pforzheimer Regiearbeiten gelungen, der den Wunsch erzeugt, dass er dem Haus auch künftig als Gastregisseur verbunden bleiben solle.

Reto Rosin (Lohengrin), Davide Degano (Schwan)

„Lohengrin“ ist für Widder ein sehr zeitgenössisches Stück, in dem es nach seinem Bekunden um die „Baustelle Demokratie“ und um politische Utopien geht. Eine auf der Schwelle zu einer neuen Ära stehende Gesellschaft versucht neue Wege zu finden und träumt sich eine charismatische Leitfigur herbei, die dann auch erscheint, aber so gänzlich anders als erwartet, gar nicht als der herkömmliche strahlende Held. Wenn Widder Lohengrin als ausgemachten Penner in Cordhose mit ebensolcher Jacke, im grauen Hemd und Schal sowie in Turnschuhen darstellt, dessen Traum von einem sorgenfreien Leben in der Oberliga, zu dem im zweiten und dritten Aufzug auch ein eleganter schwarzer Anzug gehört, sich zu guter Letzt nicht erfüllt, stößt er mit dieser Deutung gekonnt in die Gefilde des modernen Regietheaters vor und erntet für diesen Ansatz, der der derzeitigen Rezeption der Figur durchaus entspricht, von dem zeitgemäßen Interpretationen durchaus aufgeschlossenen Auditorium dann auch große Zustimmung.

Reto Rosin (Lohengrin), Tiina-Maija Koskela (Elsa)

Eine genaue Verortung seines politischen Ansatzes nimmt Widder allerdings nicht vor. Das von Joanna Surowiec, die auch für die gelungenen Kostüme verantwortlich zeichnete, auf die Bühne gestellte stählerne Gerüst bleibt diesbezüglich neutral. Es könnte den äußeren Rahmen für so manche Oper bilden. Nicht auf aktuelle politische Probleme und Konflikte des Alltags kommt es Widder an, sondern auf eine allgemeine Wesenheit der Politik, verkörpert in erster Linie in den in schicke schwarze Anzüge gekleideten Brabantern und dem lediglich ein Sprachrohr darstellenden Heerrufer, der den Text seiner ihm von dem jungen, elegant uniformierten König aufgetragenen Ansprachen einem Laptop sowie Spickzetteln entnimmt.

Anna Agathonos (Ortrud), Hans Gröning (Telramund)

Hier dämmert eine neue Demokratie herauf, die Ortrud als letzte Repräsentantin der alten Ordnung auf jeden Fall verhindern will. Bei Widder ist sie entsprechend Wagners ureigenstem Postulat ein „politisches Weib“, das die Masken ihrer alten Götter Wotan und Freia im Gepäck mit sich führt. Ihr dunkles Kleid reflektiert das Wesen ihrer Seele. Bei der Münsterszene des zweiten Aufzuges, die von einem riesigen stilisierten Kreuz, vor dem ein Bischof niederkniet, dominiert wird, erscheint sie als schwarzer Schwan, während Elsa im Brautkleid als weißer Schwan zur Hochzeit geht – eine gelungene Anspielung auf Tschaikowskys „Schwanensee“, die indes nicht mehr neu ist. Das hat man in Bayreuth bei Hans Neuenfels auch schon so gesehen – desgleichen, dass Telramund als innerlich schwaches, leicht manipulierbares Werkzeug Ortruds erscheint. Widder und Surowiec lassen ihn im braunen Straßenanzug agieren und sehen ihn wohl als rechtsgerichteten Parteiführer.

Tiina-Maija Koskela (Elsa), Damenchor

Die Farbe Braun legt den Schluss nahe, dass der Regisseur an der Figur des brabantischen Grafen, der hier gleich Hitler aus der Mittelklasse stammt, als Vehikel für den im Hintergrund bereits aufdämmernden Nationalsozialismus benutzt. Ganz deutlich wird Widder dabei indes nicht, sondern belässt es bei einer dezenten Andeutung. Genauso geht er bei Elsa vor, bei deren gänzlich unkonventionellem, aus einem wildbunten Rock bestehendem Outfit man ohne weiteres auf den Gedanken kommen könnte, dass sie weniger eine Herzogstochter als vielmehr eine Angehörige der von den Nazis verfolgten Sinti und Roma sei. Aber auch diesbezüglich wird Widder nicht allzu deutlich und belässt es bei einem bloßen Fingerzeig. In diesen Punkten zeigt er sich eher vorsichtig, obwohl eine derartige Interpretation mit Blick auf die Rezeptionsgeschichte des Werkes und den Missbrauch, den die braunen Machthaber gerade mit ihm bei den Bayreuther Festspielen 1936 getrieben haben, durchaus legitim wäre. In diesem politisch geprägten Ambiente würde ein echter Schwan reichlich deplatziert wirken. Darüber ist sich Widder im Klaren. Aber auch dafür hat er eine überzeugende Lösung gefunden: Er zeigt ihn als von dem Tänzer Davide Degano dargestellten, fast nackten und glatzköpfigen Jüngling, der sich in wunderbar choreographierten Bewegungen ergeht und dabei auch etwas doppeldeutig wirkt. Diese Sichtweise ist dann beim Publikum auf große Zustimmung gestoßen, wie auch die ganze Produktion, zu der man Wolf Widder nur gratulieren kann.

Tiina-Maija Koskela (Elsa), Anna Agathonos (Ortrud)

Eine hervorragende Leistung ist GMD Markus Huber am Pult zu bescheinigen, der sich zusammen mit der prachtvoll aufspielenden Badischen Philharmonie Pforzheim wieder einmal voll in seinem Element zeigte. Dass er zu den musikalischen Werken der Romantik offenbar eine hohe Affinität hat, wurde bereits bei früheren Gelegenheiten offenkundig, so vor einigen Jahren bei seinem famosen „Freischütz“. Und dass ihm der „Lohengrin“ sehr am Herzen liegt, das wurde an diesem Abend nur zu offensichtlich. Er setzte nicht auf einen ätherisch abgehobenen A-Dur-Gralsklang, sondern gab der Musik einen sehr bodenständigen Charakter. Von Anfang an bevorzugte er einen recht kompakten, prägnanten und intensiven Duktus, wobei er recht zügige Tempi anschlug. Hier dominierte nicht das Spirituelle, sondern das Weltliche. Auch im zweiten Aufzug zeichnete sich sein Dirigat durch einen sehr direkten Zugriff auf das Werk aus. Im Vorspiel dieses Aktes animierte er die unheimlich brodelnden tiefen Streicher und die famosen Holzbläser zu grandiosen Fis-Moll-Steigerungen mit ausladenden Crescendi und weit gesponnenen Spannungsbögen von großer Eindringlichkeit. Bravo!

Davide Degano (Schwan), Reto Rosin (Lohengrin), Chor

Durchwachsen zeigten sich die vokalen Leistungen. Reto Rosin sang den Lohengrin in der Mittellage durchaus solide. Hier klang er voll, rund und ausdrucksstark. Zur Höhe hin verlor sein mehr vom Lyrischen als vom Dramatischen kommender Tenor indes manchmal an guter Fokussierung, woraus in diesem Bereich ein etwas dünnerer Stimmklang resultierte. Auch die Linienführung ließ dann und wann zu wünschen übrig. Dass ihm immer wieder die Luft nicht reichte, um eine Phrase auf einem Atem auszusingen, war einer guten Phrasierung abhold. Ein Problemfall war die Ortrud von Anna Agathonos, die man wahrlich schon besser gehört hat. Da wo sie sich in der Mezzolage bewegen konnte, sang sie tadellos. Sobald sie sich aber in hochdramatische Sopranhöhen aufschwingen musste, bekam sie ernstliche Probleme. Angesichts der sehr schrillen Tongebung, die sie bei „Entweihte Götter“ und „Fahr heim du stolzer Helde“ an den Tag legte, kann man ihr nur empfehlen, die sie doch von der Tessitura her stark überfordernde Rolle nicht mehr zu singen, wenn sie in Zukunft noch etwas von ihrer Stimme haben will. Erheblich besser war es um die Elsa von Tiina-Maija Koskela bestellt, die ein großes Versprechen für die Zukunft abgab. Zwar ging sie den einen oder anderen Spitzenton noch etwas vorsichtig an, überzeugte insgesamt aber mit ihrem warm und gefühlvoll geführten, dabei trefflich tief gestützten Sopran. Die eine oder andere kleine Unebenheit ist wohl auf Premierennervösität zurückzuführen. Insgesamt haben wir es hier mit einer vielversprechenden jungen Sängerin zu tun, von der man in Zukunft sicher noch viel erwarten kann. In guter Form zeigte sich der schon oft bewährte Hans Gröning, der den von der Regie durchaus nicht unsympathisch gezeichneten Telramund mit volltönendem, kräftigem und markant geführtem klangvollem Bariton ausstattete. Matthias Degen bewältigte die hohe Tessitura des König Heinrich solide, blieb trotz soliden Sitzes seiner Stimme aber etwas farblos. An diesem Abend an einigen Stellen etwas unstet klingend und mit etwas zu viel Vibrato in der Stimme gab Aykan Aydin den Heerrufer. In den kleinen Partien der vier brabantische Edlen waren Steffen Fichtner, Karel Pajer, Spencer Mason und Brian Garner zu erleben. Auf ansprechendem Niveau bewegte sich der von Salome Tendies perfekt einstudierte Chor und Extrachor des Theaters Pforzheim. Schade war die oftmalige Ansetzung des Rotstiftes.

Fazit: Ein würdiger Abschied, den Wolf Widder seinem treuen Pforzheimer Publikum beschert hat. Der OPERNFREUND wünscht ihm für seinen weiteren Weg alles nur erdenklich Gute!

Ludwig Steinbach, 10.6.2015

Die Bilder stammen von Sabine Haymann