Pforzheim: „Die Entführung aus dem Serail“

Besuchte Aufführung: 6.1.2015 (Premiere: 15.11.2014)

Bassa Selims Traum bleibt Utopie

Nach einer gelungenen „Cosi“ in der vergangenen Saison steht am Theater Pforzheim auch in dieser Spielzeit wieder ein Werk Mozarts auf dem Programm: „Die Entführung aus dem Serail“. Da Mozart beim Publikum immer zieht, war die Aufführung sehr gut verkauft. Die Besucher zollten allen Beteiligten am Ende großen Beifall und waren augenscheinlich auch mit der Inszenierung zufrieden.

Elif Aytekin (Konstanze)

Indes schien Ihrem Kritiker nicht alles überzeugend, was man an diesem Abend zu sehen und zu hören bekam. Das begann schon bei der Inszenierung von Andrea Raabe im Bühnenbild und den Kostümen von Julia Schnittger. Hoch anzurechen ist dem Regieteam, dass es aus Mozarts Singspiel keine altbackene Türkenoper mit exotischem orientalischem Flair gemacht hat, sondern ihm den Stempel des Surrealen aufgedrückt hat. Vielmehr wird der Zuschauer von Frau Raabe in eine Traum- und Phantasiewelt entführt. Im vorderen Teil der Bühne ist ein transparenter Zwischenvorhang angebracht, auf den irgendwann der in der Wüste liegende Landsitz des Bassa Selim projiziert wird und durch den immer wieder in sequenzartigen, schemenhaften Bildern Handlungsträger und Chor kurz zu sehen sind. Zuerst bildet die schmale, von einem querlaufenden Rinnsal eingenommene Vorderbühne die Spielebene. Der hier noch ausgesprochen junge, seinen komischen Charakter nicht verleugnende und lila gekleidete Osmin legt sich da für ein kurzes Schläfchen zu Ruhe, während der ganz in Weiß gekleidete Belmonte in Anwendung eines Brecht’schen Elements aus dem Zuschauerraum auftritt und gleich darauf mit seinem türkischen Widersacher in Streit gerät.

Elif Aytekin (Konstanze), Dario Krosely (Bassa Selim)

Wenn der Vorhang nach etwa einer halben Stunde ganz hochfährt, fällt der Blick auf den Innenraum eines zerstörten Herrenhauses. Hier hat augenscheinlich eine Bombe eingeschlagen. In der Decke klafft ein riesiges Loch, der Boden ist schräg und die Wände sind aufgerissen. Das Domizil des Bassa ist offenbar Kriegswirren zum Opfer gefallen – ein Aspekt, der von der Regisseurin leider im Folgenden nicht weiter verfolgt wird. Auch versagt sie sich sonstige Anspielungen auf aktuelle Gegebenheiten. Den brisanten aktuellen Zündstoff, den das Stück enthält, hätte man hier besser abhandeln können. Davon nimmt die Leiterin des Instituts für Musiktheater an der Karlsruher Musikhochschule jedoch Abstand. Sie lässt Oper noch Oper sein und begnügt sich damit, die Geschichte mal mehr, mal weniger aufregend nachzuerzählen. Dabei bilden die eher modernen Kostüme nur eine Fassade für eine eher konventionelle Erzählweise. Von eindringlichem modernem Musiktheater bleibt ihre Erzählweise deutlich entfernt.

Maria Perlt (Blonde), Edward Lee (Pedrillo)

In erster Linie ist es Frau Raabe um die Aufzeigung der zwischenmenschlichen Beziehungen zu tun. Den einzelnen Personen und ihren individuell sehr unterschiedlich ausfallenden Verhaltensweisen im Umgang mit ihrer miesen Lage gilt ihre besondere Aufmerksamkeit. Dabei scheinen ihr die heiteren Charaktere mehr zu liegen als die ernsten. Mit großer Liebe kreiert sie für den etwas bübchenhaft gezeichneten, windigen und Saltos schlagenden Pedrillo und die im gelben Sommerkleid auftretende, toughe Blonde, die auch mal einen Kopfstand machen darf, ein reichhaltiges Reservoire an ausgelassenen Bewegungsmustern, die manchmal aber etwas übertrieben und nicht nur einmal überflüssig wirken. Hier wäre weniger mehr gewesen. Während die Regisseurin bei dem Buffo-Pärchen zu sehr auf eine ausgewogene, abwechslungsreiche Personenführung setzt, so ist eine solche bei dem hohen Paar nur rudimentär vorhanden. Dass Konstanze mit ihrem Schicksal hadert, andererseits für den jungen und sehr charismatisch gezeichneten Bassa durchaus Gefühle entwickelt hat, wird zwar deutlich. Ihr Bewegungsrepertoire ist aber alles andere als ausgeprägt. Oft steht sie nur einfach da und pflegt pures Rampensingen. Dagegen ist beispielsweise Belmontes zweite Arie, in deren Verlauf Pedrillo ihm Photos von Konstanze zeigt und er schließlich mit einem leichten homoerotischen Touch beglückt die Beine des treuen Dieners umklammert, besser durchinszeniert. Nicht klar wurde indes, was Konstanze an diesem eher blass wirkenden jungen Schönling, der mit der Situation gänzlich überfordert ist, eigentlich findet. Das Zusammenspiel der beiden war darüber hinaus alles andere als knisternd und spannungsgeladen. Ihre Charakterisierung blieb gleichsam auf halber Strecke stecken. Schade.

Dario Krosely (Bassa Selim), Elif Aytekin (Konstanze)

Am überzeugendsten ist Frau Raabe die Figur des Bassa Selim gelungen, der nach der vereitelten Flucht das Verhalten der mit Hilfe von über den Kopf gestülpten Säcken blind gemachten Paare gleichsam von einer abgehobenen Warte aus beobachtet und schließlich traurig realisieren muss, dass sein Wunsch, Konstanzes Liebe zu erringen, Utopie bleiben muss. Nachdem er aus dieser Erkenntnis heraus die Liebenden freigegeben hat, klingt aus dem Off noch einmal Konstanzes Arie „Ach ich lebte, war so glücklich“ auf – gleichsam als Reminiszenz an hoffnungsvolle vergangene Tage. Hatte man bereits im ersten Akt nachgesonnen, ob das Ganze vielleicht nur ein Traum sei und wer der Träumer ist – in Frage kamen Osmin und Belmonte -, zeigt das bedächtige Ende nun des Rätsels Lösung: Das Geschehen entsprang gänzlich der Phantasie des Bassa. Dieser hatte sich zu einem früheren Zeitpunkt ja auch schon gefragt, ob das Ganze vielleicht nur ein Traum sei. Jetzt weiß man es. Das war noch der gelungenste Aspekt in einer insgesamt nur mittelmäßigen Produktion, die keinen sonderlichen Eindruck hinterließ.

Sängerensemble

Das aufgebotene Solistenensemble ließ größtenteils zu wünschen übrig. Am besten vermochte noch Maria Perlt zu gefallen, die eine aufgeweckte, kecke und nicht gerade auf den Mund gefallene Blonde war und mit ihrem gut fokussierten, frischen, höhensicheren und farbigen Sopran der Zofe auch gesanglich voll entsprach. Als Konstanze war die mittlerweile in Meiningen fest engagierte Elif Aytekin an den Ort ihres ehemaligen Wirkens Pforzheim zurückgekehrt. In der Zwischenzeit ist ihr Sopran noch weiter gewachsen. Die Stimme klingt kräftiger und robuster als früher. Insbesondere bei der Martern-Arie konnte Frau Aytekin auch mit dramatischer Koloraturgewandtheit bis zu den extremen Spitzentönen punkten. Ihr Ausdrucksspektrum war früher, insbesondere bei Gilda und Traviata, aber größer. Die Konstanze sang sie nicht sehr differenziert und pflegte fast durchweg einen monotonen mittellauten Einheitston. Erst im letzten Akt fand sie auch zu etwas gefühlvolleren und leiseren Tönen. Durch die Bank nicht ansprechend waren die Herren. Markus Francke blieb in der Rolle des Belmonte schon darstellerisch farblos und vermochte auch gesanglich mit seiner kopfigen Stimme nicht zu gefallen. Ebenfalls eine viel zu hohe Stütze wies der Tenor von Edward Lee auf, der den Pedrillo ausgesprochen dünn sang. Schauspielerisch schnitt er erheblich besser ab. Das gilt auch für den durch alle Lagen hinweg flach und halsig singenden Osmin von Cornelius Burger. Gut gefiel der dem Sprechtheater entstammende Dario Krosely, der aus dem Bassa Selim keinen um Liebe flehenden Weichling machte, sondern einen starken, gut aussehenden Aristokraten auf die Bühne stellte. Solide präsentierte sich der von Salome Tendies einstudierte Chor.

Am Pult erbrachte Robin Davis zusammen mit der Badischen Philharmonie Pforzheim eine ordentliche, wenn auch keine außergewöhnliche Leistung. Er erwies sich als routinierter Kapellmeister, der die Musiker sicher durch den Abend führte, in interpretatorischer Hinsicht aber noch etwas zu wünschen übrig ließ. So wären z. B. etwas mehr Zwischentöne schön gewesen.

Ludwig Steinbach, 7.1.2015
Die Bilder stammen von Sabine Haymann