Pforzheim: „Ein Maskenball“

B-Premiere am 24. 9. 2013, (Premiere: 21. 9. 2013)

Scheinwelt einer sich selbst entfremdeten Gesellschaft

Einen gefälligen Eindruck hinterließ die Neuproduktion von Verdis „Maskenball“, mit dem das Theater Pforzheim jüngst in die neue Saison startete. Es ist eine gelungene Reverenz an den Jubilar, der demnächst 200 Jahre alt geworden wäre. Die Aufführung vermochte in jeder Beziehung zu überzeugen und legte wieder einmal beredtes Zeugnis davon ab, wie hoch das künstlerische Niveau an dem schon oft bewährten kleinen Pforzheimer Theater doch ist.

Operndirektor Wolf Widder versuchte mit seiner gelungenen Inszenierung jedem Geschmack gerecht zu werden und präsentierte ein gelungenes Gemisch von modernen und konventionellen Elementen. Sibylle Schmalbrock, von der auch die modernen Kostüme stammen, hat ihm eine auf einer schiefen Ebene nach hinten ansteigende, romanisch anmutende marmorne Halle auf die Bühne gestellt, in der sich die Geschichte um Liebe, Hass, Verrat und Mord geradlinig abspielt. Widder hat die Handlung weder verfälscht noch irgendwie radikalisiert, sondern das Geschehen in eher traditionellen Bahnen angesiedelt. Mit den in Müllsäcken aufbewahrten und von Männern in Strahlenanzügen abtransportierten Leichen auf dem Galgenberg greift er indes ein wenig die Stilmittel von so mancher Produktion des modernen Regietheaters auf und warnt vor den Folgen einer Atomkatastrophe à la Fukushima, ein konkret fassbarer aktueller Bezug, der sicher seine Berechtigung hat. Der historischen Begebenheit um die Ermordung des eine Beziehung zu seinem Pagen pflegenden Schwedenkönigs Gustav III im Jahre 1792 trägt der Regisseur dabei insoweit Rechnung, als er dezent ein homoerotisches Verhältnis zwischen dem anscheinend bisexuell veranlagten Riccardo zu der Zwitterfigur Oscar, der sich am Ende als Einziger um den tödlich verletzten Herrscher kümmert, pflegen lässt. Dabei inszeniert er stets im Einklang mit der Musik. Was die Führung von Personen angeht, hat er schon immer ein gutes Händchen gehabt. Auch dieses Mal war seine Personenregie logisch und flüssig und nahm insbesondere im dritten Akt richtig Fahrt auf. Aber dass Widder sein Handwerk versteht, hat man ja schon immer gewusst.

Wesentliche Bedeutung kommt in Widders Interpretation soziologischen Gesichtspunkten zu. Ausgehend von einer operntypischen Dreierkonstellation, die hier in Riccardo, Amelia und Renato ihren Ausdruck findet, wirft er ein kritisches Licht auf eine lediglich oberflächliche und leerem Genuss frönenden Gesellschaft, die sich selbst entfremdet ist. Eine solche Gemeinschaft vermag nicht Dinge ernsthaft zu hinterfragen und ihnen auf den Grund zu gehen. Aus dieser Unfähigkeit, bis zum Kern eines Problems vorzustoßen, flüchten sich diese Menschen in eine Scheinwelt, der alle Tiefgründigkeit abgeht. Das hat auch Auswirkungen auf die Beziehungen der Personen untereinander.

Die Mitglieder von Riccardos Hofstaat sind unfähig, einen Blick in das Innere ihrer Mitbürger zu werfen. Das Kollektiv ist gestört und besteht nur noch aus lediglich auf sich selbst bedachten Individuen. Sich ihres fragwürdigen Verhaltens durchaus bewusst, setzt sich diese Gesellschaft eine Maske auf, mit deren Hilfe der Schein über das Sein triumphiert. Diese symbolische Larve bildet den überzeugenden geistigen Gehalt der Produktion. Die pompösen Verkleidungen beim eigentlichen Maskenball sind letztlich nur bedeutungsloses schmückendes Beiwerk, das für die Erfassung des Wesensgehaltes von Widders Deutung bedeutungslos ist, eben weil es nur hohler Schein ist, den allein Amelia durchschaut. Groteskes und Tragik gehen hier Hand in Hand und werden von Widder zielstrebig auf das Ende zugesteuert, an dem nach Ableben des Gouverneurs auch sein Mörder Renato getötet wird.

Sehr beeindruckend war wieder einmal GMD Markus Huber, der Verdis Oper zusammen mit der bestens disponierten und hoch konzentriert aufspielenden Badischen Philharmonie Pforzheim mit ausgeprägter Italianita und sehr vielschichtig präsentierte. Die verschiedenen Situationen auf der Bühne wusste Huber durch einfühlsame Differenzierungen und schöne Nuancen auch musikalisch geschickt voneinander abzugrenzen. So ließ er die herrliche Liebesmelodie Riccardos sehr innig und gefühlvoll aufblühen, präsentierte dagegen beispielsweise die Orchesterschläge vor der Ulrica-Szene in ihrer ganzen Schicksalhaftigkeit mit ungeheurer Wucht und Härte. Die Gegenüberstellung von dramatischen Ausbrüchen und emotional angehauchten Kantilenen gelang Huber vorbildlich. Auch den fast durchweg erstklassigen Sängern war er ein umsichtiger Begleiter.

An erster Stelle ist hier Eric Fennell zu nennen, der einen erstklassigen Riccardo sang. Schon darstellerisch überzeugend, vermochte er insbesondere gesanglich nachhaltig für sich einzunehmen. Er verstand seinen prächtigen, italienisch geschulten Tenor einfühlsam und elegant zu führen und bewältigte bei aller Stimmkraft die zahlreichen Verzierungen mit großer Leichtigkeit. Bei pfleglichem Umgang mit seinem kostbaren Material steht ihm eine große Karriere bevor. Mächtig ins Zeug legte sich auch Susanna Levonen, die als Amelia besonders mit ihren beiden impulsiv und gut gestützt vorgetragenen Arien sowie in ihrem Duett mit Riccardo im zweiten Akt punkten konnte. Große vokale Intensität seines kultivierten Baritons, lyrische Eleganz und edles Auftreten zeichneten den Renato von Heikki Kilpeläinen vom Staatstheater Mainz aus, der seine Leistung seit der Mainzer Produktion des Stückes von Januar 2012 noch verfeinert hat. Gut gefiel auch Franziska Tiedtke, die einen frischen, flexiblen und leicht ansprechenden, dabei in jeder Lage trefflich focussierten Sopran für den Oscar mitbrachte, dem sie auch schauspielerisch ein überzeugendes Profil gab. Etwas zu viel Vibrato wies der Mezzosopran von Anna Agathonos’ Ulrica auf. Sie sollte die Luft nicht gegen den Kehlkopf schlagen. Ein Versprechen für die Zukunft gab der kräftig und prägnant singende Georg Lickleder in der kleinen Partie des Silvano ab. Hier wächst ein ausgezeichneter Bariton nach. Von den Verschwörern gefiel der bestens im Körper singende Tom von Axel Humbert besser als Cornelius Burger s flachstimmiger Samuel. Auch Steffen Fichtner (Primo Giudice) und Holger Wecht (Servo) sollten daran arbeiten, ihre Stimmen in den Körper zu bekommen. Beachtlich präsentierte sich der von Salome Tendies einstudierte Chor.

Ludwig Steinbach, 29. 9. 2013 Die Bilder stammen von Sabine Haymann.