Sankt Gallen: „Il trovatore“

Klosterhof St. Gallen, Premiere am 28.06.2019

Einführungsvideo

Mit bildgewaltiger Kraft setzen Aron Stiehl (Regie), Frank Philipp Schlössmann (Bühne), Mechthild Seipel (Kostüme), Bärbel Stenzenberger (Choreografie) und Franck Evin (Licht) Verdis IL TROVATORE auf der Cinemascope-Bühne im Klosterhof St.Gallen in Szene.

Genau wie Verdi versuchen sie erst gar nicht, die komplexe Handlung zu „erzählen“, sondern verlassen sich auf die bühnensichere Wirkung der dramatisch zugespitzen Szenen, welche den Komponisten zu seinen melodisch so begeisternden und mitreissenden Inspirationen motiviert hatten. Stiehl und seinem Team gelingt somit ein bühnenwirksames Theater, das manchmal an allegorisches Welttheater, dann wieder and endzeitliches, surreales Mysterienspiel erinnert. Dabei kreist die Inszenierung um die Themen Tod, Todessehnsucht, Rache, Dämonie und darum, dass wir vielleicht alle nur Marionetten einer höheren Macht oder eines diabolischen Unterbewussteins oder eines mefistofelischen Strippenziehers sein könnten. Denn als ein solcher Strippenzieher betätigt sich Ferrando. Von Beginn weg dominiert er die Szene, führt den ganzen Abend hindurch mit diabolischem Grinsen, grell rot geschminktem Mund, schwarzer Uniform und am Ende mit Todesflügeln und Schamanenfrisur durch die einzelnen Szenen. Ein gefährlicher Mephisto – und wenn er dann gar zum Miserere-Chor auf dem Balkon zwischen den Doppeltürmen der spätbarocken Ostfassade der Stiftskirche hoch über der Bühne auftaucht, hat das eine ungeheure, Gänsehaut erregende Wirkung.

Das ehemalige Ensemblmitglied des Theaters St.Gallen, Tijl Faveyts feiert mit dieser Basspartie eine triumphale Rückkehr in die Gallusstadt – sängerisch und darstellerisch eine überwältigende Leistung. Sein Bass strömt mit fantastischer, sonorer Qualität, sein Spiel wird den Anprüchen an diese enorme Aufwertung der Rolle voll gerecht: Fies und teuflisch, mit einer gehörigen Portion Sarkasmus! Der politische Bruderzwist und die private Rivalität (wobei die beiden Anführer nicht wissen, dass sie Brüder sind) wird von den Kostümen her mit den Farben Rot (Manricos Anhänger) und Blau (Lunas Gefolge) markiert, man sieht die beiden Kontrahenten auch immer immer wieder als Knaben über das gespenstische Schlachtfeld und den Soldatenfriehof schreiten und toben. Dieses mit Kreuzen übersäte Schlachtfeld stellt die gigantische Spielfläche der Bühne dar, hinten gegen die Stiftskirche begrenzt durch einen gigantischen, Schrecken evozierenden Todessengel, in dessen flammendem, von Dolchen durchbohrtem Herzen eine rundeTür für Auftritte und Abgänge eingelassen ist. Ausgeleuchtet wird diese Bühne mal grell weiss, dann wieder ganz in Rot oder in unheimlichem Dämmerlicht, eine spannende Lichtdramaturgie unterstütz die einzelnen Szenen. Und selbstverständlich begeistert und berührt der szenische Einbezug der Barockfassade der Stiftskirche durch sparsam, aber umso wirkungsvoller, eingesetzte Lichteffekte, so in der Klosterszene oder im Finale, wo beim Suizid Leonoras der Stern auf dem Mittelteil der Fassade hell in der Dunkelheit erstrahlt und Leonora unten von La morte (Valérie Junker) in eine andere Welt – eine hoffentlich hellere – geleitet wird.

Diese Figur von La Morte stellt eine Gegenfigur zum teuflischen Strippenzieher Ferrando dar, ein Wesen, das einzig Leonore zugedacht scheint. Natürlich können sich die Protagonisten auf dieser immensen Bühne nicht in charakterisierendem, intimem Kammerspiel bewegen, sondern müssen zur grossen (konventionellen) Gestik greifen. Doch immer wieder entdeckt man auch Überraschendes, etwa wenn Ferrando mithilfe eines umgedrehten Kreuzes die grosse Arie des Luna (Il balen del suo sorriso) als Cello spielender Pantomime begleitet. Alfredo Daza singt den Conte di Luna mit herrlich direkt ansprechender Baritonstimme, markant, präsent und mit vorzüglicher Phrasierung, grandios in die Cabaletta (Per me, ora fatale) einschwenkend. Gerade in dieser Klosterszene überzeugt das szenische Arrangement von Nonnen in fantasievollen Trachten – besonders die Hauben (eher schon Kopfputze) erregen Aufmerksamkeit – und Soldaten. Gross ist natürlich die Aufgabe für die Chöre, neben dem erwähnten Nonnenchor müssen der Chor des Theaters St.Gallen, der Opernchor St.Gallen, der Theaterchor Winterthur und der Prager Philharmonische Chor (Einstudierung: Michael Vogel) auch als Soldaten und Zigeuner (hier szenisch an den Gefangenenchor aus FIDELIO gemahnend) agieren und singen – und sie machen das stimmlich sehr gut, einzig bei den beiden Soldatenchören kam es zu Wacklern zwischen Orchester und Chor.

Die Distanz zum Dirigenten ist ja auch enorm, denn wie immer bei den Festspielen auf dem Klosterhof ist das Orchester nicht vor der Bühne platziert und der Kontakt zum Dirigenten ist nur über zwei grosse Leinwände und Monitore möglich. Michale Balke hält jedoch die Fäden zwischen Bühne und dem feurig und differentziert spielenden Sinfonieorchester St.Gallen mit nie überhasteten Tempi gut zusammen. Im Schlussteil offenbaren sich musikalisch nochmals alle begeisternden Vorzüge dieser Produktion: Für den absoluten musikalischen Höhepunkt sorgen die beiden Damen – Hulkar Sabirova als Leonore und Okka von der Damerau als Azucena. Hulkar Sabirova kann bereits in ihrer Auftrittsarie (Tace la notte) mit herrlichem An- und Abschwellen des Tons, berückenden Piani und fein intonierten Höhen überzeugen, doch was sie dann in ihrer zweiten Arie (D’amor sull’ali rosee) den begeisterten Zuschauern bietet, ist beinahe nicht von dieser Welt. Welch ein lyrischer, unforcierter Ansatz, welche Luftigkeit, welch eine fantastische Agilität. Belcanto ohne protziges Röhren – von Intensität und berührender Interpretation erfüllt! Brava! Ebenso berührt Okka von der Damerau, erst in Stride la vampa im zweiten Teil und dann in ihrer schlichten, aber so wunderschön komponierten Szene im Schlussbild (Ai nostri monti). Das ist zum Weinen schön, ehrlich und rein gesungen, von den Tontechnikern mit ganz wenig dezentem Hall versehen – eine starke Wirkung erzeugend. Überhaupt kann man die Tontechniker der Festspiele in St.Gallen einmal mehr für ihre Arbeit loben (Stephan Linde und Benjamin Schultz). In den undankbaren, wenig ergiebigen Rollen der Ines und des Ruiz (sie dienen vor allem als Stichwortgeber für Cabaletten der Protagonisten) sind Gergana Geleva und Riccardo Botta gut besetzt.

Doch einer ist da noch – der „Titelheld“ Manrico, der Troubadour. Timothy Richards glänzt mit einer wunderbar ebenmässig timbrierten Tenorstimme, viril, sicher, bruchlos und selbstbewusst in die gefürchtete Stretta Di quella pira einsteigend, empfindsam die Schlussszene mit Azucena gestaltend, wo beide beinahe liedhaft sauber und schön intonierend im Gefängnis des nahen Todes harren. Er wird zuerst vom diabolischen Ferrando erschossen, dann sagt Azucena dem triumphierenden Luna ins Gesicht … era tuo fratello um in den erschütternden Ausruf zu münden Sei vendicata, o madre! Gänsehaut pur – wie in vielen Momenten dieser überwältigenden Produktion.

Kaspar Sannemann, 30.6.2019

copyright: Tanja Dorendorf