Wunsiedel: „Die Hochzeit des Figaro“

Premiere: 22.8. 2014, Gastspiel der Landesbühne Sachsen

Feingewirkte Musikdramatik

Schon die Landschaft eignet sich für den Garten-Akt. Tatsächlich erreicht ein Sänger, der oben auf dem Felsen steht, der wie ein Krokodilfelsen aussieht, mit normaler Stimme das ganze Auditorium. Es liegt gewiss nicht daran, dass man hier die Oper auf deutsch gibt. In diesem Fall steht Cherubino im Wald der Luisenburg: ein junger Mann mit Lackledercorsage.

Mozarts „Hochzeit des Figaro“ ist, wie Joachim Kaiser einmal gesagt hat, „einer der spirituellen Höhepunkte der Musikgeschichte“ – also muss man die Meisteroper auch auf der Luisenburg spielen. Die Natur trifft auf die Zivilisation, die latente Zeitlosigkeit von Wald und Fels auf jene der Inszenierung. Die Landesbühne Sachsen, die ansonsten in der Felsenbühne Rathen spielt, und die Regisseurin Anja Sünermann, die mit scheinbar leichter Hand die detailreiche Handlung inszenierte, behaupten nicht, dass die Komödie des ausgehenden Ancien Régime heute spielt. Sie würden auch nicht darauf beharren, dass sie kurz vor 1789 angesiedelt ist; die Kostüme zeigen uns eine fantastische Welt zwischen Gestern und Heute, in die der Schwarze Graf, der am Ende trotz ergreifendster Verzeihungsgeste stolz bleibt, ebenso hineinpasst wie die Frauen mit den Polyesterröcken und Pseudo-Rokoko-Oberteilen. Steil und „geil“ sind hier nicht nur die erigierten Frisuren der sehr komisch agierenden Marcellina und des Don Bartolo, steil ist vor allem der Graf, auf den Susanna erotisch stärker reagiert, als es sich Mozart und Da Ponte vorgestellt haben. Ansonsten triumphiert hier nicht das sog. Regietheater: eine Fernbedienung, mit der man auch Türen sprengen kann, ist neben vier zusammenschiebbaren Kunststofftischen, der Hälfte einer metallenen „Half pipe“ und einem Quicky das einzige modernistische Requisit. Man zeigt hier vor allem, wie schon zuvor in der „Zirkusprinzessin“, ein sehr bewegliches, gelegentlich bewegendes Spiel.

Bewegend ist vor allem eine Stimme: Stephanie Krone (nomen est omen) ist eine Gräfin, deren dynamisch volle, reizvoll tremolierende Stimme die melancholischen Gefühle der Contessa ideal transportiert. Nur ganz weit oben rutscht sie manchmal allzu schnell in die Höhe. Keiner der Sänger – mit Ausnahme Miriam Sabbas, die eine entzückend lustige wie traurige Susanna gibt – hat eine Stimme, die an diesem Abend alle Ansprüche eines Stimmfetischisten befriedigt, aber jede vermag zu zeigen, dass auf sächsischen und fränkischen Felsenbühnen gute Oper gemacht wird. Kazuhisa Karumadas Graf, Paul Gukhoe Songs Figaro, Silke Richter Marcellina und Hagen Erkraths Basilio müssen keine Wettbewerbe gewinnen, um das Publikum davon zu überzeugen, dass „Figaros Hochzeit“ auf der Luisenburg nicht weniger stark wirken mag als in der Wiener Staatsoper – und das Orchester agiert unter Jan Michael Horstmann so erstklassig, wie es Mozarts feingewirkte Musikdramatik verlangt.

Frank Piontek, 23.8. 2014

Foto: Robert Jentzsch