Annaberg-Buchholz: „Zum Großadmiral“

Absolute Lortzing-Rarität

Annaberg-Buchholz liegt mit seinen etwa 20.000 Einwohnern im idyllischen Erzgebirge ziemlich am Rande der Republik, fast an der tschechischen Grenze. Außer dem ehemaligen Bergbau, Kunsthandwerk und jeder Menge an schöner Landschaft, gibt es da auch noch das Eduard-von Winterstein-Theater, ein Haus von aktuell 302 Sitzplätzen, das seit knapp eineinviertel Jahrhunderten für das kulturelle Überleben in der Provinz sorgt. Das klingt jetzt sicherlich etwas ironisch, ist jedoch sehr liebevoll gemeint, denn wenn man sich in der Stadt umhört, merkt man den Stolz auf "ihr Stadttheater". Das Haus hat, trotz moderner Beleuchtungskörper, viel von seinem historischem Charme behalten, und gefällt mit lindgrün-goldener Optik im Zuschauerraum. Soweit zu den Grundtangenten meines ersten Besuches am Ort.

Natürlich fährt ein Kritiker nicht einfach zu einer "Tosca" oder einem "Bettelstudenten" an einen recht entlegenen Ort, das weiß auch der langjährige Intendant, Ingolf Huhn, und so hat er eine Reihe von Opernraritäten mit etwa einer pro Spielzeit angesetzt, die die "Spezialisten" nach Annaberg locken soll und lockt ! Vorwiegend kümmert man sich dort um das vergessene, deutsche Repertoire, so hatte man sich, nach "Die Rolandsknappen", zum zweiten Mal an eine Rarität von Albert Lortzing gewagt: "Zum Großadmiral" dürfte selbst eingefleischten Kennern kein echter Begriff sein. Schade, eigentlich, denn was man erleben durfte, machte Appetit, das Werk öfter zu sehen und zu hören. Die Handlung ist eine typische komische Oper ihrer Zeit und hat eine absolut schlüssig funktionierende Dramatugie.

Am englischen Hofe regiert der leichtlebige Thronerbe Heinrich (eigentlich ist damit Karl II. gemeint) und vernachlässigt seine Gemahlin Katharina (Vorbild Figaro-Gräfin), die sich wiederum mit dem berüchtigten Lord Rochester verbündet, um ihren Gatten an seine Pflichten als kommender Regent zu erinnern. Page Eduard schlägt das Gasthaus "Zum Großadmiral" als Ort dafür vor, wo seine geliebte Betty, als Nichte des Wirtes Cobb Movbrai (ein ehemaliger Freibeuter und Bassbuffo) lebt. Zwischen Seeleuten schürzt Rochester nicht nur die Intrige, sondern entdeckt in Betty auch die Tochter seiner verschollenen Schwester. Im dritten Akt fügt sich alles, wie es soll: die royalen Gatten finden (wenigstens pro forma) zueinander, der königliche Liederjan hat vom Volk die Wahrheit über sich erfahren und der Page bekommt seine Betty, natürlich nachdem sich alle mal so richtig blamiert haben. Lortzings Musik klingt schon in der Ouvertüre etwas französischer als sonst, der Rest ist bester Lortzing mit fein komponierten Ensembles, gut gestalteten Arien und der liedhaften "Volkstümlichkeit". Also Alles im Allem sehr spielenswert.

Ingolf Huhns Konzept bei den Ausgrabungen heißt, sie erst einmal so spielen, wie sie geschrieben wurden. Für Freunde konventionellen Musiktheaters die pure Freude, Garant dafür ist er selbst als Regisseur. Keine Experimente, also gibt es von Tilo Staudte einen sehr schönen englischen Hof in cremefarben auf die Bühne gezaubert, mit blauen Tüchern verhängt und bizarren, ausgestopften Fischen samt Krokodil wird eine Hafenkneipe daraus, die sich bei offener Bühne "Ruckzuck" wieder zurückverwandeln lässt. Brigitte Golbs entwarf dazu die passenden historischen Kostüme . Die Personenregie funktioniert ordentlich, könnte jedoch in Details mehr Zwischenmenschliches unter der Personnage entstehen lassen, so bleiben die Figuren der Handlung doch eher "Figurinen".

Wie immer bei Lortzing sind die einzelnen Rollen richtiges Schauspieler- und Sängerfutter: Den rechten Lustspielton erwischt vor allem Jason Lee als quirliger Thronfolger mit etwas dünner Höhe, gelingt es ihm den Gesinnungswandel des kommenden Regenten zu beglaubigen.

Gemahlin Katharina mit majestätischer, reifer Frauenwürde ist bei Bettina Grothkopf in rechten Händen. Jason-Nandor Tomory hat als Figaro/Rochester musikalisch einiges zu bewältigen und macht das auch mit imponierendem Bariton, hier wäre jedoch eine gewichtige Hand gegen seine szenische Steife noch nötig. Copp Movbai ist der Bass-Buffo, Làszlò Varga schafft mit relativ hell klingendem Bassbariton und sportlicher Erscheinung eine eigenwillige, doch adäquate Deutung, statt dem üblichen "Bassbuffo". Anna Bineta Diouf als Betty wäre die Soubrette, Liebreiz, Koketterie und Charakter sind mehr als stimmig, doch das sehr (angenehme) tiefe Timbre, lässt mich vermuten, das hier eigentlich ein Mezzosopran statt eines Sopranes singt. Der Page Eduard wäre im Original eigentlich der Tenorbuffo, doch Madelaine Vogt gibt ihn als Hosenrolle (rückt ihn so in Cherubino-Nähe) und gefällt mit munterem Spiel und frischem Sopran. Die Nebenrollen sind durchweg gut besetzt. Ganz großartig die Chöre (Jens Olaf Buhrow , choreographisch Sigrun Kressmann), die besonders klangprächtig mit leuchtenden Höhen und viel spielerischem Talent und Engagement herausstechen. GMD Naoshi Takahashi am Pult stellt die Originalität und das gediegene Handwerk Lortzings bestens heraus. Im Graben spielt "Erzgebirge Aue", natürlich nicht die Fußballmannschaft, sondern die Erzgebirgische Philharmonie Aue auf, bis auf ein paar Hornpatzer auch sehr erfreulich.

Fazit: eine Fahrt nach Annaberg-Buchholz lohnt sehr, sowohl die Aufführung, wie natürlich das Kennenlernen eines so selten gegebenen Werkes. Auch die etwas veränderten Besetzungen aus dem Ensemble heraus entsprechen den Gegebenheiten zu Lortzings Zeiten und erlangen dadurch theaterpraktische Authenzität. Trotzdem würde ich der Oper "Zum Großadmiral" auch gerne noch einmal an anderen Bühnen begegnen, verdient hätte sie es. Vielleicht auch als Hochschulproduktion, denn gerade an der Spieloper können junge Sänger doch viel lernen.

Martin Freitag 15.5.2019

Fotos (c) Dirk Rückschloß