Annaberg-Buchholz: „Tanhäuser“, Carl Amand Mangold

Mittelalterliche Szenen mit Tanhäuser und dem getreuen Eckart – Eine wirklich überraschende Ausgrabung

Das ehemalige Annaberger Stadttheater (heute Eduard-von Winterstein-Theater nach dem gleichnamigen Schauspieler) in der alten Bergbaustadt gehört zu den kleinsten unter den knapp 80 öffentlichen Opernhäusern in Deutschland. Zu überraschenden szenischen Wiederentdeckung dieser romantischen Oper sind etliche Opernfreunde, so auch Ihr Kritiker, in diesen Winkel im westlichen Erzgebirge gereist – aus Neugierde für die Ausgrabung, aber auch für das Theater im Osten der Republik, wo man sonst häufig eher auf Operetten setzt, um Publikum anzuziehen. Aber schauen Sie ruhig von Zeit zu Zeit aufs Programm des Theater Annaberg-Buchholz; immer wieder gibt man neben Standardrepertoire und auch Operetten erstaunliche Ausgrabungen für Opernsammler.

Dass zwei Komponisten sehr ähnliche biographische Daten haben (Wagner: 1813 bis 1883; Carl Amand Mangold: 1813 – 1889) ist schon nicht besonders häufig, aber dass sie noch zur gleichen Zeit unabhängig das gleiche Sujet veropern, ist eine große Ausnahme. Der Darmstädter Mangold wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren. Anders als Wagner genoss er eine sehr gründliche musikalische Ausbildung in Deutschland und Frankreich und war in die damalige musikalische Welt bestens und weitestgehend konfliktfrei vernetzt. Mangold war ein eher konventioneller Geist. Er schöpfte den Opernstoff zusammen mit seinem Librettisten Eduard Duller aus „Der getreue Eckart und der Tannhäuser“ von Ludwig Tieck (1799) anders als Wagner, der den Tannhäuser-Stoff in einer seiner eigenen Dichtung mit dem Sängerkrieg auf Wartburg verband, in deren Nähe im Hörselberg der Sänger der Sage mit der Venus im Lotterbett lag. Der Tannhäuser-Stoff war in der deutschen Romantik sehr beliebt. 1836 erschien Heinrich Heines Gedicht mit dem ironischen Ende. Wagner hatte sich zum zweiten Mal bei Heine bedient; der nahm’s gutmütig, war er doch zu der Zeit berühmter als Wagner.

Volksfest in Eisenach

Tanhäuser stand nur in Darmstadt nach der UA 1845 für einige Jahre auf dem Spielplan; einer weiteren Verbreitung standen schon damals offensichtlich die Wagnerianer entgegen. Die Oper verfiel in Vergessenheit. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahdts. wurde sie unter dem Titel „Der treue Eckart“ dort noch einmal vorgestellt; ohne Folgen, bis sie 2006 wiederum in Darmstadt noch mal ausgegraben und konzertant gegeben wurde. Die Annaberger Produktion bezieht sich das Musikalische Material dieser konzertanten Aufführung und stellt die erste Produktion der musikalischen Neuzeit dar. – Hauptpersonen der Geschichte im Tanhäuser sind der Titeleld, Innigis, Tochter von Eckhart, seinem Dienstmann und derselbe. Trotz Tanhäusers Eskapaden im Venusberg liebt sie ihn heimlich und hält ihm die Treue, auch als er nach einer Erlösungsreise zum Patriarchen Urban von Jerusalem ergebnislos zurückkehrt. Erlösung wird Tanhäuser schließlich durch eine schone rote Rosenblüte am dürren Patriarchen-Stabe angezeigt. Innigis befreit aus dem Hörselberg auch die Kinder, die Venus dort gefangen hielt, womit eine Querverbindung zum Rattenfänger von Hameln gegeben ist.

Venus und Tanhäuser im Bade

Der Intendant des Erzgebirgischen Theaters hat die Inszenierung vorgenommen. Dabei hält er sich dankenswerterweise ganz eng am Libretto, so dass sich der Zuschauer nicht mit stofffremden Deutungsversuchen konfrontiert sieht. Die Handlung des Tanhäuser verläuft ziemlich linear ohne größere Verwicklungen. Der Ausstatter Tilo Staudte stellt als Bühnenbild eine einfache Burg aus Holz auf einem Drehteller zur Verfügung. Die ist zunächst für das Volksfest in Eisenach gedacht, eröffnet aber nach Drehung den Blick auf den Sündenpfuhl im Hörselberg. Tannhäuser und Venus, letztere umgeben von einer ganzen Reihe rothaariger Miezen, fühlen sich wiederholt in einem großen dampfenden Badezuber wohl: mittelalterlicher Badekomfort statt Massagesalon. Das gemeine feiernde Volk ist in einfache ans Mittelalter erinnernde Kostüme gesteckt, Tanhäuser und sein Gefolgsmann Eckart in Rüstungen. Innigis‘ unschuldiges Wesen zeigt sich durch ihr weißes Kleid. Auf der kleinen Bühne mit Chor und Extrachor und einem kleinen Ballett, herrscht nicht viel Platz für Bewegungsregie. Urbanus, Patriarch von Jerusalem steht hoch über der Bühne in einem Turm und schleudert Tanhäuser den vertrockneten Stab entgegen. Wie an dem keine Rosen mehr erblühen können, kann auch Tanhäuser keine Begnadigung erfahren. Anders als bei Wagner wird diese Szene gespielt und nicht erzählt. Tanhäuser kehrt aber tatsächlich (wie bei Heine) zu Frau Venus zurück. Erlöst wird der in dieser Version durch die aufopfernde Liebe der Innigis. (Das ist ja gar nicht mal so weit weg von Wagner.) Und natürlich blüht die Rose dann doch auf… Diese Inszenierung ist gut anzuschauen und ermangelt nicht eiger Feinheiten und Anspielungen.

Der getreue Eckart, Venus im Bade, Tanhäuser, Innigis

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue stellt das Opernorchester für das Theater. An diesem Abend stand es unter der Leitung von Kapellmeister und Studienleiter Karl-Friedrich Winter. Der gestaltete die handwerklich ordentliche Partitur sehr kräftig mit groben Pinselstrichen. Die Musik des vieraktigen Werks mit kaum mehr als eindreiviertel Stunden reiner Spielzeit ist gemäß dem romantischen Hauptstrom der Entstehungszeit hörnerlastig gesetzt. Nachdem die Hörner sowohl der Ouvertüre als auch nach Wiederbeginn im dritten Akt mit der Intonation zu kämpfen hatten, kamen sie im Verlauf dann jeweils gut zurecht. Was man sich indes fragen muss, ist, ob das Orchester ein unentwegtes undifferenziertes forte spielen muss. Das trifft mutatis mutandis auch auf den klangstarken Chor zu, verstärkt durch den Extrachor. Die präzise Einstudierung hat Uwe Hanke übernommen. Tanhäuser ist eine Chor-Oper; fast ständig sind die Chöre auf der Bühne. (Landleute, Jerusalem-Pilger).

An den solistischen Qualitäten gab es nichts auszusetzen, außer, dass auch hier in dem kleinen Theater (gut 300 Plätze) dauernd gepowert wurde. Frank Unger sang die Titelpartie mit der schier unerschöpflichen Kraft seines bronzenen Tenors. Sehr wirkungsvoll mit kernig-kräftigem Bass (Bariton) gestaltete László Varga die Rolle des Eckart. Madelaine Vogt als Innigis gefiel mit ihrem strahlenden Sopran, allerdings etwas monochrom im ständigen forte. Auch Bettine Grothkopf als Venus nahm sich nicht zurück, so dass insgesamt eine etwas ermüdende Lautstärke zustande kam. Marcus Sandmann mit sonorem Bariton hatte die beiden Rollen des Sängers und des Anführers der der Wallfahrer übernommen. Etwas besser und dunkler fundiert hätte der von Jason Nandor-Tornory als Patriarch Urbanus sein können.

Das Theater war nicht besonders gut besucht. Die Wiederaufnahme-Serie neigt sich auch ihrem Ende entgegen. Der Beifall war aber langanhaltend und herzlich. Aber ob die Ausgrabung Folgen zeitigt, muss sich erst noch zeigen. Tanhäuser kommt in Annaberg noch am 22.02. und 28.03.

Manfred Langer, 26.01.2015
Fotos: Dirk Rückschloß