Bad Wildbad: „Adelaide di Borgogna“

Treuer deutscher König im italienischen Hinterhalt – in 1000 Jahren nichts Neues – in der Oper aber mit lieto fine

Von der Handlung der Oper fühlt man sich in eine Barockoper von Händel zurückversetzt; auch musikdramaturgisch gibt es da Ähnlichkeiten. Rodelinda, Lotario und Ottone sind Titel von Händel-Opern, die aus einem ähnlichen historischen Umfeld kommen; nur entspricht das Libretto für Rossinis Adelaide (Giovanni Schmidt) eher „historisch informierter“ Setzung. Adelheid von Burgund war die zweite Frau Ottos I (des Großen), der er sogar die Mitregentschaft über das Reich zugestanden hat. Durch die Ehe mit ihr hatte er sich dynastisch legitim in den Besitz der alten langobardischen Krone Italiens gebracht, was seine Kaiserkrönung beflügelte.

Ort der Handlung ist die Festungsburg Canossa, die Schmidt an den Gardasee verlegt hat, weil das vom deutschen Tirol leicht zu erreichen ist. Der Bösewicht Berengario hat Adelheids Mann Lotario ermorden lassen und will seinen Sohn Adelberto mit der so verwitweten Adelaide verheiraten, damit dieser den Thron Italiens gewinne. Zudem liebt Adelberto Adelaide, die aber von ihm nichts wissen will und heimlich den deutschen König Ottone zu Hilfe gerufen hat. Der erscheint mit großer Gefolgschaft, befreit Adelaide aus den Händen der Usurpatoren, verfällt in Liebe zu ihr und arrangiert sogleich die Hochzeit. Inzwischen hat aber Berengario wieder Mannen versammelt, die den König während des Festes überrumpeln und aus der Burg vertreiben sowie Adelaide gefangen nehmen. Wen wundert es, dass Ottone sich erneut gegen Berengario durchsetzt, diesen gefangen setzen lässt und als Geisel gegen Adelaide austauschen will. Adelberto sieht seine Felle davonschwimmen. Berengarios Frau Eurice lässt Adelaide laufen. In einer entscheidenden Schlacht werden die Italiener geschlagen. Berenguario erhält zum Trost ein nichtssagendes Königreich; Adelberto geht leer aus. Großer Jubel; Ende der Oper. (Historisch: König Otto und Adelheid gründen eine Familie; die Dynastie der Ottonen ist gesichert.)

Margarita Gritskova (Ottone); Chor

Die Bühnentechnik in der Trinkhalle in Bad Wildbad ist bescheiden. Regisseur und Ausstatter Antonio Petris verfügt über kaum mehr als vier Beleuchtungsbrücken. So ist ein Einheitsbühnenbild angesagt, was kein großer Nachteil ist. Denn die meisten Spielorte der Oper kann man sich gut auf Burg Canossa vorstellen; nur einmal geht es unvermittelt hinaus in Ottones Heerlager. Seitlich ist die Bühne auf beiden Seiten mit einigen einfachen schwarzen Kulissen versehen; in der Mitte befindet sich ein großes Bett; rechts und links daneben weiße Gartentische und Stühle; in der Mitte hinten eine Flügeltür, durch deren Öffnung der Blick auf Projektionen frei wird, die nicht den jeweiligen Handlungsort verdeutlichen, sondern die Elemente der Handlung verstärken: meist Projektionen von Fotos mit kriegerischem Geschehen – kulminierend in einer Sonnenkorona in der Überrumpelungsszene, als die Mannen beider Seiten mit den Stühlen aufeinander einschlagen. „Gebt uns Stühle!“ ist zu einem Prinzip der Opernregie geworden – Stühle sind wohlfeil, leicht zu horten und zu bewegen, man kann darauf sitzen, sie ungestüm umwerfen und damit aufeinander losgehen. Alles das ist auch hier zu sehen. Dass ein Machtspiel betrieben wird, beglaubigt der schachbrettförmige Boden der Bühne; dass Liebe im Spiel ist, verdeutlicht das Bett. Auf diesem liegt zu Beginn Adelaide in weißem Gewand mit roten Kreuz (farbliche Umkehrung des lomardischen Kreuzes und humanitäres Symbol nach der Schlacht von Solferino in der Lombardei) in ihrem Kummer von ihren Damen umgeben; am Schluss liegen darauf Otto und Adelaide; so einfach ist das. Der Damenchor ist in Schwarz gekleidet wie in Oper konzertant; der Herrenchor, ob er nun die Gefolgschaft des einen oder anderen darstellt, tritt in gleichen Uniformen auf, deren Jacken jeweils das camouflierte Unterhemd nur halb bedecken. Vielleicht soll das ausdrücken, dass sie mal auf der einen, mal auf der anderen Seite kämpfen. Was macht das beim Gemetzel schon aus? Zwischendurch veranstalten Berengarios Milizionäre im Zeichen ihres Überrumpelungserfolgs Komasaufen und Frauenbetatschen. Die anderen männlichen Protagonisten stecken durchweg in modernen Uniformen, der König natürlich in der schönsten. Bei der Realisierung der Kostüme wirkte Claudia Möbius mit.

Gheorghe Vlad (Adelberto); Margarita Gritskova (Ottone)

Insgesamt ist die Regiearbeit routiniert und gekonnt, aber eher statisch und zurückgenommen und letztlich auch fantasiearm. Es fehlen Pfeffer und Salz. Die Personenregie bleibt spärlich und statisch; die Chorführung monoton: auf die Bühne durch die große hintere Tür und wieder hinaus durch die gleiche Tür. Dazu kommen etliche Regiestereotypen. Sowie in dieser ernsten Belcanto-Oper die leicht verständliche Handlung nur das Vehikel für etwas Wichtigeres ist, nämlich den Gesang, dient auch die Inszenierung letztlich keinem anderen Zweck und lenkt nicht von der Hauptsache ab, der ebenso einfachen, aber hinreißenden Musik.

Rossinis 1817 in Rom uraufgeführter Oper war kein großer Erfolg beschieden; sie ist im Ausland unbekannt geblieben und auch in Italien vergessen worden, bis sie in Pesaro wieder ausgegraben wurde. Rossini hat einen Großteil der Musik zwar zweitverwertet, aber wieder nur in Opern, die kaum mehr aufgeführt werden (Eduardo e Cristina) oder verloren gegangen sind (Ugo, re d’Italia), so dass die Ohren nicht auf Altbekanntes stoßen. Der Bad Wildbader Aufführung liegt mangels eines authentischen Autographs der Oper eine zeitnahe Abschrift des Originals zugrunde. Vor der Bühne hatte wieder das Orchester Virtuosi Brunenses aus Brünn Platz genommen, das unter der Leitung von Luciano Acocella musizierte. Er lieferte mit den sehr konzentriert spielenden Musikern ein recht scharf konturiertes Dirigat ab, das die Ernsthaftigkeit des Stoffs beglaubigte und dem die frivole Leichtigkeit der Buffen abging. Man fühlte sich an Stendals Feststellung erinnert (sinngemäß): Mozart wäre bei längerem Leben ein Italiener geworden, während sich Rossini immer mehr zum Deutschen entwickelt. (Das lag allerdings schon vor seiner Kurzeit in Wildbad und Kissingen). Klangprächtig, präzise mit flotten Tempi und tatsächlich ein wenig teutonisch kam die Musik daher, die in ihren vordergründigen Effekten bei „Krieg und Kriegsgeschrei“ sehr eingängig ist. Sauber wurden auch die zahlreichen Soli der Holzbläser musiziert. Der ausgewogenen Klang des Orchesters ruhte in einer satten, aber filigranen Streichergrundierung, die auch die polyphonen Stellen der Partitur schön hörbar machte. In der sehr präsenten Akustik der Trinkhalle wirkte dabei ein pp wie ein p und ein mf wie ein f. Ein Kompliment auch an den Chor, die Camarata Bach Chor Posen, die von Ania Michalak präzise auf den Punkt einstudiert war und ebenso klangstark wie -schön beeindruckte. Lediglich in einer Szene, in welcher der Chor aus den Kulissen sang, kam es zu Koordinationsproblemen. An einem historischen Hammerflügel begleitete Michele d’Elia die secco-Rezitative.

Ekaterina Sadnikova (Adelaide); Chor

Das hat die Oper auch noch aus dem alten metastasianischen Prinzipen erhalten: die Rezitative sind handlungstreibend, die Arien kontemplativ. Und aus der Barockzeit wurde auch die Besetzung des männlichen Helden mit einer hohen Stimme übernommen. Das zentrale Figurentrio besteht aus Adelaide (Sopran), dem Helden Ottone (Mezzo) und dem zum Scheitern verurteilten Adelberto (Tenor). Nur kurze Zeit später sind solche Dreierkonstellationen mit Primadonna (Sopran), Held (Tenor) und Gegenspieler (Bariton oder Bassbariton) besetzt worden.

Chor: im Siegestaumel

Gefeierte Solistin des Abends war die russische Mezzosopranistin Margarita Gritskova in der Rolle des Ottone. Ihre attraktive Bühnenerscheinung blieb vom Regisseur naturbelassen; keine Brustquetsche – eine Frau bleibt nun mal eine Frau. Was sie stimmlich zu bieten hatte, war phänomenal. Sauber und kraftvoll sang sie bis in die Tiefen ihres Registers und zeigte sich dort stimmlich ebenso fokussiert wie in ihren wie gestochenen klaren Linien im hohen Register. Von ihrer stimmschönen Kraft über den ganzen Tonumfang konnte man wahrlich nicht genug hören. Leuchtend in den Höhen, ohne jemals spitz, kristallklar ohne metallisch zu wirken. Mit Ekaterina Sadovnikova begeisterte eine weitere Russin in der Titelrolle. Zwar war sie stimmlich nicht so spektakulär wie ihre Partnerin (besser: Ihr Partner), aber mit ihrem warmen runden lyrischen Sopran von hoher Ausdrucks- und Nuancierungskraft stand sie ihr in nichts nach. Darstellerisch würden sicher beide Sängerinnen auch bei einer mehr fordernden Inszenierung bestehen. Der Adelberto des Gheorghe Vlad bewies die Qualitäten seines mittelhellen Tenors und in seiner weichen ansprechenden Mittellage mit leichtgängigen Belcanto-Koloraturen und schön geführten Linien. Guter darstellerischer Einsatz. Die Rolle des Bösewichts Berengario ist von dramaturgisch großer Bedeutung; auch hat er eine große Bühnenpräsenz und wirkt bei etlichen Ensembles mit, aber er hat nur eine Arie in der Oper. Der kasachische Bassbariton Baurzhan Anderzhanov gestaltete diese rollenspezifisch mit finster kräftiger Stimme. Die spanische Sängerin Miriam Zubieta, gerade mit ihrer Ausbildung fertig gefiel mit ihrem weich ansprechenden, leicht eingedunkelten Sopran als Eurice. Yasushi Watanabe gab den Burgherrn Iroldo verlässlich mit gefälligem Tenor, und als Ottones Leiboffizier Ernesto wirkte Cornelius Lewenberg mit leichtem, elegantem Bariton, aber verbesserungsfähiger Ausstrahlung.

Ekaterina Sadovnikova (Adelaide); Margarita Gritskova (Ottone); Chor

Das Publikum im so gut wie ausverkauften Saal bedankte sich für die Aufführung mit lang anhaltendem jubelndem Beifall. Die Oper wurde für Deutschlandradio Kultur aufgenommen und wird im nächsten Jahr wie die meisten Wildbader Produktionen bei Naxos als CD erscheinen.

Manfred Langer, 28.09.2014
Fotos: Patrick Pfeiffer