Berlin: „Schwestern im Geiste“, Thomas Zaufke

Eine musikalische Zeitreise – Produktion der Universität der Künste Berlin

Bereits die 158. Uraufführung und gewiss eine der besonders guten ist die von Thomas Zaufkes (Musik) und Peter Lunds (Libretto) „Schwestern im Geiste“ mit dem Untertitel „Eine musikalische Zeitreise“ in der Neuköllner Oper. Schwestern sind einmal die berühmten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts Charlotte, Emily und Anne Brontë und andererseits aus unserer Zeit die Lehrerin Lotte mit ihren Schülerinnen Milly und Aydin. Beide Gruppen leiden unter Zwängen, die Schwestern unter dem Verdikt, in der Heirat und nicht etwa in einer beruflichen Tätigkeit, schon gar nicht als Autorin ihr Glück zu suchen; die Türkin unter dem Beschluss der Familie, sie wenige Wochen vor dem Abitur mit einem Cousin zu verheiraten und in die Türkei zu schicken; die Lehrerin unter dem Zwang, die lesbische Liebe zu einer Schülerin zu verleugnen, die sich ihrerseits keinerlei Zwang auferlegt, sogar die Lehrerin erpresst und von ihr die Auslieferung des Abiturthemas fordert.

Keine der Brontë-Schwestern wurde auch nur 35 Jahre alt, vor Vater und Bruder mussten sie ihre schriftstellerische Arbeit verbergen, der Roman „Jane Eyre“ war Skandal und Riesenerfolg zugleich. Im Verlauf des Stücks siechen der Bruder Branwell sowie Emily und Anne dahin, Charlotte schickt sich in die Ehe mit dem als bigotte Karikatur angelegten Arthur. Aylin macht schließlich doch das Abitur, während Milly darauf verzichtet. Zum Personal gehört auch das Dienstmädchen Tabby, das an die Intrigantin Despina erinnert und die sexuellen Nöte des Reverend Arthur für sich zu nutzen weiß.

Sind zu Beginn die Spielebenen streng voneinander getrennt, links auf größerer Fläche das Zimmer der Schwestern, rechts das Klassenzimmer, verlaufen auch die Handlungsstränge parallel, ohne sich zu kontaktieren, so gibt es zunehmend ein Einandertangieren der beiden Ebenen, bis schließlich nicht nur in dem eingängigsten, sehr originell schmissigen Stück „Skandal, Skandal“ alle ein Ensemble bilden, sondern es später auch Berührungspunkte gibt, wenn die tote Anne der zögernden Aylin Mut zuspricht, ihren Willen durchzusetzen. Zwar wirken die beiden jetztzeitigen Mädchen samt Gutmenschenlehrerin etwas klischeehaft angelegt im Vergleich zu den Brontë-Schwestern, das relativiert sich aber im Zusammenspiel mit den letzteren. Die schlichte, mit Worten aus den Werken der Schwester beschriebene Bühne stammt von Ulrike Reinhard, deren Idee, mit einer Videowand einen Ort der Sehnsucht, aber auch des Jenseits zu schaffen, dem Ablauf des Geschehens sehr dienlich ist. Die typisierenden Kostüme hat Anna Hostert kreiert. Eine Band, bestehend aus drei Streichern, drei Bläsern und Klavier, von welchem aus Hans-Peter Kirchberg auch die musikalische Leitung ausübt, begleitet und bringt die Musik, deren Instrumentierung fein auf Situationen und Personen ein- und so über den gängigen Musicalsound hinausgeht, zur Geltung. Zuständig für die Choreographie ist Neva Howard.

Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit der Hochschule der Künste, Abteilung Musical, und die jungen Sänger leisten Erstaunliches, lassen, was besonders schwierig sein dürfte, auch die Figuren der drei Schwestern überaus glaubwürdig erscheinen, was sicherlich auch ein Verdienst der Regie von Peter Lund ist. Einen starken Eindruck hinterlässt Rubini Zöllner als Milly durch intensives Spiel und viel Power in den Gesangsdarbietungen. Zu schönen Modulationen des Tons fähig ist Teresa Scherhag als Lotte, und sie weiß auch das Hin- und Hergerissensein zwischen Pflicht und Neigung eindrucksvoll zu vermitteln. Jaqueline Reinhold ist ebenso überzeugend die Türkin Aydin. Eher als Karikatur angelegt ist der Arthur von Denis Edelmann, der seiner Figur angenehme Baritontöne zukommen lässt. Einen durchdringenden Charaktertenor und ein überaus gewandtes Spiel steuert Andres Esteban als Branwell bei. Am bewundernswertesten allerdings sind die Darstellerinnen der drei Schwestern, denen es gelingt, den Zuschauer in eine andere Zeit mit anderen Charakteren und deren Problemen zu versetzen, und das, obwohl sie durchweg typische Musicalstimmen (übrigens durchweg verstärkt) einsetzen, wie es das Stück vorgibt. Keren Trüger (Charlotte), Dalma Viczina (Emily), Katharina Abt (Anne) sind durchweg Mädchen wie aus einer vergangenen Zeit und doch ganz individuell angelegt, was Charakter und dazu gehörenden Stimmtyp anbelangt. Als Kontrast zu ihrem Befangensein in ihrer Zeit spielt und singt Sabrina Reischl den kessen Dienstbolzen mit lustiger, erfrischender Hemmungslosigkeit.

Ein Besuch der Aufführung, noch in März wie April möglich, ist dringend zu empfehlen, ganz besonders auch für Schulklassen, die allerdings nicht, wie das Stück vortäuscht, jemals mit den Brontë-Schwestern im Deutschunterricht in Berührung kommen werden.

14.3.2014 Ingrid Wanja
Fotos Matthias Heyde