Minden: „Die Walküre“

Wenn Zuschauer bereit sind für ihre Karten 150 Euro bezahlen, aber nach Beginn der Vorstellung weiter drauflos tuscheln, könnte man denken, man sei bei den Salzburger Festspielen. Das Publikum im westfälischen Minden schafft dies aber auch: Bei der B-Premiere von Wagners „Walküre“ platzt einem Zuschauer während des Walkürenritts über das Gequatsche um ihn herum sogar der Kragen, dass er lautstark „Ruhe jetzt“ forderte.

Der Großteil des Publikums folgte der Aufführung, die vom Mindener Wagner-Verband organisiert wird, jedoch konzentriert, gefesselt und begeistert. Nach jedem Akt gibt es begeisterten Applaus, so dass man bedauert, dass die Akteure erst am Ende der Vorstellung den Beifall entgegen nehmen.

Regisseur Gerd Heinz erzählt den „Ring“ als Menschheitsgeschichte, was nichts Neues ist. In Detmold (Kay Metzger), Bonn (Siegfried Schoenbohm) oder Kassel (Michael Leinert) hat man dies schon gesehen. Heinz startet mit dem „Rheingold“ in der Steinzeit und springt mit „Die Walküre“ ins Mittelalter, weil das Schwert Nothung das zentrale Requisit ist. Heinz erfindet die Geschichte nicht neu, sondern erzählt sie zuverlässig und aus der Psychologie der Figuren.

Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann hat die Spielfläche auf Vorbühne positioniert, auf der Hauptbühne befindet sich die Nordwestdeutsche Philharmonie Herford unter der Leitung von Frank Beerman hinter einem durchsichtigen Vorhang. Das Orchester spielt in den dramatischen Passagen mit kompakter Wucht auf. Beermann lässt in großem Duett des ersten Aktes aber auch viel Platz für die Lyrik der Partitur, und lässt Wotans Erzählung im zweiten Akt und die Todesverkündigung mit der nötigen Ruhe spielen.

Ein gigantischer Ring, nimmt das Portal ein. Im ersten Akt dient ein zerbrochenes Ringsegment als Esche, im zweiten Akt befinden sich die Segmente als Stelen auf der Bühne. Im dritten Akt ist eine runde Scheibe ein neues Bühnenelement. Auf ihr legen erst die Walküren ihre Waffen und Rüstungsteile der Helden als Opfergaben nieder, bevor Brünnhilde hier schließlich in den Schlaf gebettet wird.

Hin und wieder hat Heinz auch originelle Ideen: Sieglinde hüllt das frisch gezückte Schwert Nothung in Decken wie ein Baby. Am Ende des ersten Aktes torkelt der schlaftrunkene Hunding über die Bühne und entdeckt beim Schlussakkord den Diebstahl des Schwertes.

Aufgrund der sängerfreundlichen Platzierung des Orchesters hätten in Minden auch leichtere Stimmen eine Chance, jedoch hat man Interpreten engagiert, die auch an großen Häusern wie Essen, Karlsruhe und Leipzig singen. Der Siegmund von Thomas Mohr ist ein echter Hörgenuss. Er verfügt über beachtliche Kraftreserven, gleichzeitig glänzt er mit einer phänomenal durchdachten Artikulation der Partie, die differenziert wie bei einem Schubert-Lied ist.

Eine Brünnhilde wie aus dem Bilderbuch ist Dara Hobbs: Nicht nur dass sie die Figur schauspielerisch glänzend durchdringt, sie verfügt auch über eine metallisch leuchtende Stimme, die gleichzeitig in der Tiefe gut fundiert ist. Warum ihre Karriere bisher nicht ähnlich erfolgreich ist wie die von Rebecca Teem oder Sabine Hogrefe, ist vollkommen unverständlich.

Kathrin Göring ist eine höchst selbstbewusste Fricka mit raumgreifender Stimme. Die Arroganz der Rolle, die immer wieder durch Gestik und Mimik von der Regie unterstrichen werden, wirkt aber übertrieben. Das trifft auch den penetrant defensiven Wotan von Renatus Mészár zu, der seine Rolle mit einer wuseligen Kleinteiligkeit spielt. Selbst im 3. Akt ist dieser Gott nie Herr der Lage. Stimmlich legt Mészár seine Rolle respektabel an, doch besitzt er zu wenig Bassfundament, um ein autoritärer Wotan zu sein. Von anderen aktuellen Vertretern der Rolle ist man da ein anderes Kaliber gewohnt.

Mit heller und kräftiger Stimme singt Magdalena Anna Hofmann eine attraktive und dramatische Sieglinde. Tijl Faveyts gibt mit schneidendem Bass einen gewohnt unsympathischen Hunding. Die Walküren-Riege ist gut zusammen gestellt: Die Stimmen klingen solistisch angenehm und mischen sich zudem in den chorischen Szenen sehr harmonisch. Was die Sänger in Minden leisten, ist höchst beachtlich, denn in 15 Tagen absolvieren sie sieben Vorstellungen.

Wer einen gut erzählten „Ring“ abseits modischer Regie-Mätzchen erleben will, ist in Minden gut aufgehoben. Gleichzeitig ist dieses Projekt auch Ansporn und Inspiration für kleine Häuser sich an einen eigenen „Ring“ oder andere Wagner-Opern zu wagen. Bei einer Anordnung des Orchesters auf der Bühne, kommen auch leichtere Stimmen gut den Weg zum Publikum und müssen sich nicht verausgaben. Häuser wie Hagen, Aachen, Gießen oder Koblenz könnten sich daran orientieren.

Rudolf Hermes 21.9.16