Minden: „Das Rheingold“

Festspielwürdiges an der Weser

„Ei nun, er wagt´s“ kann man über den Richard Wagner Verband Minden und seine ausserordentlich tatkräftige Vorsitzende Dr. Jutta Winckler mit den Worten von Kunz Vogelgesang aus den „Meistersingern“ sagen. Er wagt´s nämlich, zusammen mit Frank Beermann und der Nordwestdeutschen Philharmonie im kleinen Stadttheater von Minden in vier Jahren hintereinander den gesamten „Ring des Nibelungen“ aufzuführen. Für die Regie wurde Gerd Heinz gewonnen, früher Intendant des Züricher Schauspielhauses und später Opernregisseur und Musikprofessor in Freiburg.

Der „normalen“ Reihenfolge entsprechend wurde in diesem Jahr mit dem Vorabend „Das Rheingold“ begonnen..

Da wie bei früheren Wagner-Aufführungen das Orchester hinten auf der Bühne spielte, blieb vorne nur wenig Spielfläche für die szenische Darstellung. Trotz dieser Einschränkung für die abwechslungsreiche Handlung des Vorabends zeigte Gerd Heinz, daß Wagner am spannendsten wird, wenn seiner Tonsprache gemäß inszeniert wird und nicht eigene Phantasien des Regisseurs zu seiner Musik ausgelebt werden. Jeder Auftritt und jede Bewegung paßten, angefangen von den verführerischen Rheintöchtern bis hin zu den grossen dramatischen Szenen wie Alberichs Fluch oder der Ermordung Fasolts durch Fafner mit einem gewaltigen Schlag seines Holzpfahls in Zeitlupe. Es wurde deutlich, daß hier Welttheater stattfand und nicht eine Geschichte vom unbezahlten Häuschen. Ohne überflüssige Zutaten wurde so auch die Kritik am Frühkapitalismus für jeden Zuschauer verständlich.

Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann – Bayreuth-erfahren – bestand aus einem das ganze Bühnenportal einnehmenden Quadrat mit einem darin befindlichen riesigen Ring, dessen Innenseite entsprechend der jeweiligen Handlung beleuchtet wurde. Über eine Treppe links konnten die Rheintöchter zu Beginn und die Götter zum Schluß sich nach oben bewegen. Frank Philipp Schlößmann entwarf auch die Kostüme und kleidete mit wenigen Nuancen Rheintöchter. Riesen, Götter und Nibelungen in „grämliches Grau“, in ihrer Gier nach Macht sind alle ähnlich ausser Erda. Grossen Eindruck hinterliessen die Videos von Matthias Lippert, immer auch in Form von Ringen und Quadraten, die jeweils passend zur Handlung ausgefüllt wurden, besonders eindrucksvoll Ab- und Aufstieg nach und von Nibelheim und der zum Schluß in einen Spiralnebel sich verwandelnde Regenbogen. Eine grosse Hand wies mit dem Finger auf die Bedeutung von Erdas Weissagung vom Ende der Götter hin.

Für Alberichs Verwandlungen wurden Anleihen gemacht beim japanischen „Bunraku-Theater“ Durch einen Vorhang wurde Alberich eher witzig verdeckt. Puppenspieler bewegten eine ostasiatische Schlange und eine Kröte, hier wie auch in der Rheintöchter-Szene zu Beginn ein etwas heiterer Gegenpol zur ernsten Handlung.

Auch wohl, weil sie vor dem Orchester sangen, waren alle Sänger, vielleicht stimmlagenbedingt mit Ausnahme von Freia, äusserst textverständlich, es brauchte keine Übertitel. Das ist wohl auch der Studienleitung von Thomas Michael Gribow zu verdanken.

Renatus Mészár als Wotan ließ sich erkältet ansagen, was kaum zu hören war. Gleich zu Anfang geriet der grosse Sprung bei „hehrer herrlicher Bau“ punktgenau. Zuerst die Stimme schonend steigerte er sich zum Schluß, allerdings doch nicht ganz so edel singend wie bei ihm gewohnt. Das machte er mehr als wett durch sein Spiel erst hochnäsig lässig, dann doch immer mehr die Bedrohung seiner Herrschaft erkennend.

Ganz grosses Format in Gesang und Spiel zeigte Heiko Trinsinger als sein Gegenspieler Alberich. Die Wandlung vom am Riff herumkriechenden Lustmolch zum gewalttätigen Herrscher über seine Bergarbeiter bis zum verzweifelten Beraubten gelang unheimlich glaubhaft. Sein den weiteren „Ring“ bestimmender Fluch gab ihm mythische Grösse.

Loge wird häufig dargestellt von ehemaligen Heldentenören. Bei Thomas Mohr dagegen hörte man beste heldentenorale Kraft. Er wußte sie aber geschickt zu verbinden mit der sehr beweglichen Stimmführung – etwas beim grellen „Geraten ist ihm der Ring“ – und ebensolchem Spiel.

Kathrin Göring war stimmlich und darstellerisch eine stolze Fricka, konnte aber auch die liebende Ehefrau spielen. Mit sonorer Altstimme ohne falsches Vibrato auf den langen Tönen sang Evelyn Krahe die Erda. Stimmlich treffend aber gequält als unterdrückten Bruder stellte Dan Karlström den Mime dar. Einen edlen Baß verlieh Tijl Faveyts dem Riesen Fasolt, man konnte verstehen, daß Freia (Julia Bauer mit hellem Sopran) ihn augenscheinlich mochte. Er war mit der Schlagzeuggruppe des Orchesters und Schülerinnen und Schülern auch für die Ambosse in Nibelheim zuständig. Dagegen klang James Moellenhoff als Fasolt der Rolle gemäß brutal. Mit mächtiger Stimme und eiseerner Hand ließ Andreas Kindschuh als Donner das Gewitter grollen, mit hellem Tenor führte André Riemer als Froh die „Brücke zur Burg“. Verführerisch sangen und zeigten wohlgeformte Beine die Rheintöchter Tiina Penttinen, Christine Buffle und Julia Borchert, wobei letztere als Woglinde ihr hohes C traf. Schülerinnen und Schüler des Ratsgymnasium Minden traten als ausgebeutete und gequälte Nibelungen sprich Bergarbeiter auf.

Am allermeisten zu bewundern in der Aufführung war die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Leitung von Frank Beermann. Da das Orchester, wenn auch meistens im Hintergrund, dauernd sichtbar war, sah man auch und hörte nicht nur, wie zu Beginn des Vorspiels die Kontrabässe mit dem ersten tiefen Es einsetzten, dann Fagotte und Hörner folgten – immer wieder ein musikalisches Wunder! Überhaupt sind neben den Streichern sowohl Holz- als auch Blechbläser im „Rheingold“ mit schwierigen Aufgaben betraut, müssen sie doch häufiger leise oder mezzoforte und dabei im runden Mischklang spielen als richtig laut, etwa bei Begleitung der Szenen mit dem Tarnhelm. Dies gelang

durchhörbar sauber intoniert bei allen einzelnen Gruppen und Soli. Daß die Sänger dauernd textverständlich sein konnten, hatte natürlich auch hierin seinen Grund. Seine ganze Klangpracht konnte es dann in den Zwischenspielen und nach exakt intoniertem Schwertmotiv am Schluß zeigen. Frank Beermann wählte rasche Tempi,- den Auftritt der Riesen hat man schon wuchtiger gehört – wurde aber dann langsamer, wenn eines der für den ganzen „Ring“ bedeutenden Motive erstmalig erklang und paßte hörbar sich den Sängern an.

Nach dieser fulminanten Aufführung gab im vollbesetzten Theater natürlich hochverdienten Jubel, Applaus und Bravos – wie heute üblich auch stehend – auch und besonders für den Regisseur und das Orchester mit seinem Dirigenten. Daß solcher Jubel und grosse Anstrengung aller Mitwirkenden allein nicht reichen, zeigt die grosse Zahl von Sponsoren – weit über hundert! – nach solchem Erfolg werden es sicher noch mehr, zunächst für „Die Walküre“ fest geplant für den nächsten September!

Sigi Brockmann 12. September 2015

Fotos Theater Minden