Neustrelitz: „Ein Maskenball“

Opernhafte Geschichtstunde

Einen sehr ortsgebundenen "Maskenball" gibt es derzeit am Theater Neubrandenburg/ Neustrelitz zu erleben, denn Regisseur Lothar Krause hat auf die übliche Handlung der Verdi-Oper eine andere, historische Schablone gesetzt: der Schwedenkönig Gustav wird zu Großherzog Adolf Friedrich VI. von Mecklenburg-Strelitz(1882-1918), der wahrscheinlich mit einem Suizid in Neustrelitz seinem Leben ein Ende setzte. Hier sei jedem Besucher der sehr interessante Einführungsvortrag empfohlen; ich selber werde die etwas verschlungene Aufschlüsselung nicht näher erläutern, doch funktioniert das Überstülpen dieser Folie im Wesentlichen recht gut. Das Ehepaar Renato/Amelia wird zum historischen Fürstenpaar von Pless, desweiteren treten noch andere Personen der Geschichte ohne gesangliche Solorollen auf, die aus den Choristen heraus sehr kompetent besetzt sind. Die Grundidee finde ich sehr faszinierend und gelungen, doch in der szenischen Umsetzung finde ich handwerkliche Mängel.

Lothar Krause und Ausstatter Pascal Seibicke stellen eine Art Endzeit-Bühnenbild auf die Drehbühne, zum einen das Grabmal des Monarchen, zum anderen ein angedeuteten Innen-/Außenraum von recht angegangener Zeitsymbolik. Leider steht gerade letzteres oft im Wege und verbirgt einem, nicht gerade kleinem Teil der Zuschauer, die Sicht auf die Solisten, was äußerst ungeschickt wirkt. Die Personenregie als solche zeigt sich tauglich mit Mängeln , so werden singende Protagonisten abgewendet gestellt, oder in Ensembles akustisch ins "Off" plaziert, wie zum Beispiel Amelia in der Lose-Szene. Die Chorregie fällt nicht so geschickt aus, Chorauftritt in der Galgenszene oder gar die ganze Finalszene des Maskenballes, der wichtig wie namensgebend ist. Ohne Tanz wirkt das einfach nicht und der dargestellte Albtraum Adolf Friedrichs überzeugt mich nicht.

Musikalisch hört man einen richtig guten Verdi, denn Sebastian Tewinkel hat mit der Neubrandenburger Philharmonie sehr sorgfältig gearbeitet, selbst Tempi , die zunächst etwas stutzen lassen, entwickeln eine nachvollziehbare szenische Bedeutung, die dem Komponisten sicher gefallen hätte, nur die Anschlüsse zwischen den einzelnen Nummern könnten etwas schlüssiger erfolgen. Was am meisten überzeugt, ist durchweg der kultivierte Legato-Gesang, den man an manchem größeren Opernhaus so nicht oft erlebt und zwar durch die Bank weg im gesamten Ensemble.

Jenish Ysmanov ist der verzweifelte Riccardo/ Adolf Friedrich mit sehr stabilem Tenor von enormer Stamina, lediglich in einigen verhärteten Vokalen gäbe es Verbesserungsmöglichkeiten; aus dem etwas Mezzoforte-Beginn steigert sich der Sänger in eine immer nuanciertere Interpretation, seine Schlussarie bringt er dann auf den Punkt. Mit Sonja Maria Westermann durfte ich eine der besten Amelias( Daisy von Pless) meines Lebens hören, eine warm timbrierte Sopranstimme mit kostbaren Farben in Höhe wie Tiefe, einer wunderbaren Mesa di Voce, die Bühne stets mit der rechten Fülle versorgend, ohne dabei je unangenehm zu klingen. Perfekt! Ein Erlebnis! Robert Merwald als Renato/Fürst von Pless kann da vom Timbre nicht ganz mithalten, die Tiefe wirkt etwas fahl, manchmal wird auch eine Finalnote verschluckt, doch trotzdem erlebt man eine sehr kultivierte Umsetzung, seine emotionale Charakterisierung überzeugt. Einen richtig üppigen Mezzosopran/Alt kann man von Nana Dzidziguri als Ulrica hören, auch hier wird auf den Punkt gesungen, als "Das Schicksal" begleitet sie den gesamten Abend mit starker Präsenz.

Laura Scherwitzl singt einen sehr präzisen Soubretten-Oscar, dessen homophile Bedeutung erst in der Maskenball-Szene zu wirklich intensiver Bedeutung reift. Die Verschwörer Samuel und Tom werden von der Regie leider zu etwas dilettantischen "Schubs-Szenen" verleitet, doch Sebastian Naglatzki und Ryzard Kalus geben den Figuren eine ausgeprägte vokale Präsenz. Hyoung-Jun Kim als Oberster Richter sitzt da nicht so fest auf seinen Noten. Die Chöre singen tadellos, könnten szenisch sicherlich noch besser eingesetzt werden.

Insgesamt eine recht inspirierende Interpretation mit Mängeln, die aber musikalisch ganz hervorragend gelungen ist. Die Sänger allein lohnen eine Fahrt ins idyllische Neustrelitz. Die örtlich verankerte Dramaturgie stößt anscheinend auf großes Interesse, so ist das Haus auch ausverkauft, der Applaus stark und absolut berechtigt.

Martin Freitag 20.1.2019

Bilder (c) Metzner