Triest: „Don Giovanni“

Bericht von der Generalptrobe

Das Teatro Verdi in Triest – ein „klassisches“ italienisches Opernhaus, mächtig im Zentrum der Stadt gelegen, ein Logentheater in Rot und Gold aus dem Jahre 1801. Der Wiener Gast wundert sich, als die ersten Töne erklingen und zweifelsfrei kundtun: Das ist nicht die Ouvertüre von „Don Giovanni“. Ein paar Takte später erkennt man es: Das ist die italienische Hymne (schließlich hört man sie ja in der Formel 1, wenn Ferrari wieder einmal gewonnen hat, also in letzter Zeit nicht so oft, aber im Ohr hat man sie doch) – und auch die wenigen Personen, die das Glück haben, zur Generalprobe zugelassen zu sein, erheben sich brav und erweisen dem Vaterland Reverenz.

Don Giovanni Triest Tischgesellschaft

Das Teatro Verdi (das immerhin aufzwei Uraufführungen des Meisters zurückblickt, den „Corsaro“ und den „Stiffelio“ – das schöne Verdi-Denkmal der Stadt steht allerdings in einiger Entfernung von dem Opernhaus) eröffnet seine diesjährige Saison mit „Don Giovanni“, eine für Wiener sehr ansprechende Aufführung, und das in jeder Hinsicht. Zwar scheint es anfangs, als würde RegisseurAllex Aguilera hier vor allem in einem geschickten Bühnenbild von Philippine Ordinaire (die Kostüme William Orlandi bieten quasi „Mozart-Zeit auf spanisch“) auf soliden Ablauf setzen: Die gleich bleibende Szene ist ein großer Hof, auf drei Seiten von hohen Mauern umschlossen, mit allerlei Statuen bestückt. Davor schieben sich gelegentlich hohe Gitter oder auch Hauswände – das alte, immer wirkungsvolle Prinzip von Vorderbühne und Hinterbühne ermöglicht schnelle Verwandlung mit geringem Aufwand, ohne die Stimmung zu verleugnen. Die Szene kann immer alles sein, eine Bude wird aufgeschlagen, schon ist man im Wirthaus, und am Ende sehen wir Don Giovanni an einer langen Tafel zwischen zehn Damen, wo er sich in einer wahren „Tischgesellschaft“ vermutlich in eine Orgie zechen will… bevor das Jenseits anklopft.

Die Höllenfahrt, die trotz einiger Rauchentwicklung so tragisch nicht ist und nicht sein soll, wird später relativiert, denn Aguilera hat sich gerade für das Finale einiges einfallen lassen: Unser selbstgerechtes Sextett am Ende, das dem „dissoluto punito“, dem bestraften Wüstling, nachsingt, lässt sich selbst schnell an der Tafel nieder und würde sich nicht weiter um die Vergangenheit scheren – als sich über ihnen ein Fenster öffnet und ein vergnügter Giovanni, natürlich eine Frau im Arm, herunterwinkt: Der Kerl ist nicht tot zu kriegen.

Es ist auch, bei aller Solidität der Regie, die sich keine unerklärbaren, gegen das Stück gerichteten Drehungen und Wendungen erlaubt, eine durch die beiden Hauptdarsteller interessante Aufführung. „Nicht-Regietheater“ stellt ja für die Sänger eine weit größere Herausforderung dar, da es allein ihre Persönlichkeiten sind, die das Original spannend machen (oder auch nicht). In diesem Fall ist Nicola Ulivieri (den man zwar, allerdings vor einem Dutzend Jahren, bei den Salzburger Festspielen erleben konnte – im Kusej-Netrebko-Giovanni als Leporello -, aber noch nie in Wien) ein Don Giovanni von geradezu strahlend-unbeschwerter Frechheit. Gar nicht hintergründig, dämonisch oder geheimnisvoll oder wie man ihn sonst noch gern interpretiert. Diese Figur ist unbelastet einfach der reiche, noch jugendlich wirkende Mann, der keine Gesetze und Schranken kennt und sich geradezu fröhlich seinen Frauengeschichten hingibt – mit schönem, vollen Bariton, gut aussehend, meist unwiderstehlich. Solche Männer gibt es. „Schurken“, denen man nicht böse sein kann.

Nicht immer gelingt es den Leporellos, gleichwertig neben ihrem Herrn zu stehen, aber Carlo Lepore hat damit keine Schwierigkeiten – gerade, weil er kein zappelndes junges Bürschchen ist, kein verschmitzt lustiger Diener mit den üblichen Lazzi, sondern ein gestandener Mann, ganz offensichtlich mit seinen eigenen Erfahrungen: Bei der Registerarie geniert er sich nicht, Elvira – um es auf „Neudeutsch“ zu sagen – regelrecht „anzumachen“, und wenn Giovanni dann mit ihm die Kleider tauscht, geht er mit vollem Elan in die Verführerrolle hinein. Mit einer Stimme, die es mit der seines Herrn durchaus aufnehmen kann, agieren die beiden quasi im Duett und auf Augenhöhe. Das gibt dem Abend seinen eigenen Schwung.

Unter den Damen ist es Raffaella Lupinacci, sonst im Mezzo-Fach unterwegs, die als Donna Elvira am stärksten überzeugt, keine zankende Transuse, sondern ein echtes Temperament mit schöner Stimme und guter Technik.

Die Technik steht auch der Spanierin Raquel Lojendio hörbar zur Verfügung, die Koloraturen der zweiten großen Donna Anna-Arie sind nicht immer so exakt zu hören wie hier, allerdings schleicht sich in den Glanz der Höhen auch immer wieder Schärfe ein, die allerdings in die Dramatik der Figur quasi „einzubauen“ ist.

Was die Zerlina der Diletta Rizzo Marin betrifft (die Gustav Kuhn immer wieder einmal nach Erl holt), so könnte sie gut und gern schon eine Elvira singen, für die Zerlina fehlt es der Stimme an Leichtigkeit und Süße. Dafür spielt sie ein wirkliches Luderchen, das sich sehr schnell für den schönen, reichen großen Herren entschließt und dann praktischerweise wieder zu ihrem Masetto (Gianpiero Ruggeri, ein braver Bauer) zurückkehrt: Schüchtern ist die Dame nicht.

Bleibt neben dem Komtur des Andrea Comelli, dessen erster Auftritt in langem weißen Nachthemd mit Zipfelhaube dennoch nicht lächerlich wirkt (und seine Bedrohlichkeit donnert er brav), noch der Don Ottavio des Portugiesen Luis Gomes zu nennen: Er ist im Young Arists Programm von Covent Garden mit Nebenrollen herangewachsen und probiert nun große Rollen anderswo: Die Technik ist – sowohl für die Piani der ersten Arie wie für die schön gesteigerte Dramatik der zweiten – fabelhaft, leider schleicht sich immer wieder etwas Gequetschtes in die Stimme.

Was dem Abend den ultimativen Schliff verlieh, war die musikalische Leitung durch Gianluigi Gelmetti, heuer 70 geworden, den nicht nur sein aus dem Orchestergraben hervorleuchtender weißer Haarschopf als Altmeister ausweist (der das Dirigieren einst bei Swarowsky und Celibidache gelernt hat): Er weiß, wie Mozart geht, wie das Orchester mit den Sängern atmen muss, und dass man das Tempo immer am Laufen halten muss – da gab es wahrlich keinen Durchhänger, ohne dass die Peitsche geschwungen worden wäre.

Ein gelungener Mozart. „Regie-Fans“ werden die Nase rümpfen, weil’s letzten Endes ja doch „konventionell“ war. Aber es war mehr als das. Es war ein „Don Giovanni“, den man mit so viel Lust und Laune gesehen hat, wie er hier geboten wurde.

Renate Wagner 31.10.15

Bilder Theatro Verdi