Wien: „Die Zauberinsel“, Henry Purcell

Ein junges Ensemble begeistert in einer quicklebendigen Inszenierung

Diese Neuproduktion des Theaters an der Wien in der Kammeroper entstand in Koproduktion mit der Oper Köln. John Dryden (1631-1700) und William Davenant (1606-68) erstellten einst aus Shakespeares Komödie „The Tempest“ ihre eigene Komödie „The Tempest, or The Enchanted Island“ (1667). Thomas Shadwell (1642-92), ein britischer Komödiendichter der Restaurationszeit, wiederum verfertigte auf der Grundlage dieser Fassung 1674 eine eigene Semi-Opera. Unser Jahrhundert erlebte 2004 Thomas Adès‘ erfolgreiche Oper „The Tempest“ und die Metropolitan Opera brachte schließlich in der Saison 2011/12 ihr eigenes Pasticcio von Shakespeares „The Tempest“ und „Ein Sommernachtstraum“ unter der Ägide von Jeremy Sams unter Verwendung der Musik verschiedener Barockkomponisten wie Händel, Vivaldi und Rameau, unter dem Titel „The Enchanted Island“ heraus.

Für den deutschen Kulturmanager Dieter Senft und die englische Regisseurin Jean Renshaw bildete diese Fassung den Ausgangspunkt ihres eigenen Opernpasticcios, das sie größtenteils mit Werken von Henry Purcell, wie etwa „King Arthur“ oder „The Fairy Queen“, aber auch seinen weniger bekannten Schauspielmusiken „Have a Wife“ oder „Rule a Wife“, unterlegten. Das Personal von Shakespeares originaler Handlung wurde erweitert, indem Prosperos Tochter Miranda eine Zwillingsschwester Dorinda erhält, ebenso Ferdinand, der Sohn des unrechtmäßigen Königs Alonso, der nun einen Bruder namens Hippolito hat. Und auch Caliban erhält eine Gefährtin namens Trincula. Überspitzt wirkt dann das Ende, wo Ferdinand, der Miranda in den Armen hält, seinen Bruder Hippolito erschießt, welcher Miranda für Dorinda hält. Zu spät tritt diese dann auf, nur um Hippolito bei seinem theatralischen Bühnentod bei zu stehen. Der rasende Prospero erschießt darauf mehrmals Ferdinand, der aber immer wieder wie ein Untoter aus den einschlägigen Vampirfilmen aufsteht, bis schließlich auch Hippolito wieder trotz riesiger blutender Wunde zum Leben erwacht. Am Ende der spannungsgeladenen Handlung finden schließlich die richtigen Paare zueinander und werden von einem milden und weise gestimmten Prospero nach Mailand entlassen. Und auch der Luftgeist Ariel erhält wieder seine Freiheit.

Ausstatter Christof Cremer führt Prospero (Kristján Jóhannesson) in seiner mit diversen Zauberbüchern in Regalen vollgestapelten Bibliothek vor. Ein Modell des Globe Theaters dient als Memento für den Urheber von „The Tempest“, während auf dem obersten Regal das Modell eines Schiffes steht, das später minutiös über das leergeräumte Einlegebrett hinabrutscht und schließlich – andeutungsweise – Schiffbruch erleidet. Und auch zwei Koffer liegen auf einem der Regale, denn die beiden Liebespaare benötigen sie ja für ihre Heimreise nach Mailand. Langsam zerfällt diese Bücherwand und gibt dann am Ende des Pasticcios den Blick auf die Weite des Meeres frei. Eingerahmt wird diese „Bibliothek“ zu beiden Seiten mit einer üppigen „Dschungellandschaft“, wie man sie aus den Landschaftsbildern von Henri Rousseau (1844-1910) sattsam kennt. Und auch der fallweise von den Darstellern gebildete Chor passte sich rein optisch dieser Umgebung im „Pflanzenoutfit“ an. Eingeleuchtet wurde die Szenerie noch passend von Franz Tscheck.

Barockspezialist Markellos Chryssikos leitete das Bach Consort Wien, das auf Originalinstrumenten spielte ein wenig zu routiniert. Purcells zündende Melodien flammten da nur hin und wieder leuchtend aus dem Graben auf. Bei den gesprochenen Passagen waren dann Atmosphäre bildende Geräusche aus dem Graben zu vernehmen. Das Junge Ensemble des Theaters an der Wien sang auf allerhöchstem Niveau und agierte besonders spielfreudig. Als Prospero ließ Kristján Jóhannesson seinen mächtigen Bass bei perfekter Diktion dröhnen. Die US-Amerikanerin Jenna Siladie und die Russin Ilona Revolskaya waren als Zwillingsschwestern Miranda und Dorinda, den Töchtern Prosperos, mit apartem Aussehen und gutgeführten jugendlichen Sopranen in ihren Kehlen gesegnet. Der lyrische Tenor Johannes Bamberger war als Ferdinand etwas im Nachteil gegenüber dem italienischen Countertenor Riccardo Angelo Strano als Hippolito, da er erst ziemlich spät in die Handlung eintrat. Beide hatten gegenüber den Töchtern leider weniger Gelegenheit, die Komik ihrer Rollen so recht zu entfalten. Stimmlich aber boten die jungen Liebespaare insgesamt eine erstklassige Leistung, die auf spätere Begegnungen bereits jetzt neugierig macht.

Die Russin Tatiana Kuryatnikova als Luftgeist Ariel durfte ihren gut geführten Mezzosopran leider viel zu selten hören lassen und auch der rumänische Bass Dumitru Mădărăşan konnte seine Stimme nur selten vollends entfalten, da er als betrunkener Trincalo (drink-a-lot) stets einen Besoffenen mimen musste. Gemeinsam mit dem tschechischen Choreographen und Tänzer Martin Dvořák, der einen völlig durchgeknallten Caliban mit extremen körperlichen Verrenkungen darstellte, wirkten sie eher wie „Anhängsel“ dieser Produktion. Allen Mitwirkenden bis auf Prospero wurde beim Ersteigen der Bücherregale von der Regisseurin viel Beweglichkeit abverlangt. Und so wirkte ihre gesamte Personenführung auch bis ins letzte Detail perfekt durchchoreographiert.

Die Kammeroper war an diesem Abend sehr gut besucht und alle Mitwirkenden wurden vom Publikum auch gebührend mit Applaus bedankt. Freilich bei drei Stunden Spieldauer wären ein paar „Striche“ begrüßenswert gewesen.

Harald Lacina, 6.10.18

Fotocredits: Herwig Prammer