Wien: „Pelleas et Melisande“, Claude Debussy

Bearbeitung von Annelies Van Parys

Im Akademietheater zerstört Laura selbst ihre Glasmenagerie. In der Kammeroper denkt Melisande gar nicht daran zu sterben. Die Opferrolle der Frau ist ausgespielt, das Umdichten von künstlerischen Vorlagen wird derzeit mit größter Selbstverständlichkeit gehandhabt, als hätten die Werke an sich keine Rechte. Dass man Unrecht der Vergangenheit nicht ändern kann, indem man quasi das Pseudo-Mascherl der zeitgenössischen „korrekten Korrektur“ darüber bindet (Nein, wir wollen das nicht mehr, Carmen, Melisande, sie sollen einfach nicht sterben!), fällt offenbar niemandem ein. Ob es nicht gescheiter wäre, an der Gegenwart und der Zukunft zu arbeiten und das Befragen der Vergangenheit nach ihren eigenen Gesetzen und Vorgaben zu vollziehen?

Wobei gerade in der Kammeroper schon in Zeiten, da sie noch nicht dem Theater an der Wien angegliedert war, wiederholt modernistische Bearbeitungen der Opernklassiker auf dem Programm standen. Derzeit scheint dies einen Hauptteil des Repertoires auszumachen, obwohl noch nicht eine dieser Versionen wirklich überzeugt hat.

Nach dem Motto des „kleineren Übels“ muss man Thomas Jonigk (der Autor bei seinem Debut als Opernregisseur) noch „dankbar“ sein, dass ihm zu „Pelleas et Melisande“ wenigstens nicht so unverantwortlicher Blödsinn eingefallen ist, wie es zuletzt bei „Don Pasquale“ der Fall war… Herumgefuhrwerkt hat er immer noch genug.

Die Oper präsentiert sich szenisch gekürzt auf zwei pausenlose Stunden und von der belgischen Komponistin Annelies Van Parys auf kammermusikalische Besetzung zusammen geschmolzen (die – man muss es sagen – zeitweise doch erstaunlich „echte“ Debussy-Klänge erzielt), aber sie rechtfertigt sich in ihrer szenischen Umsetzung nicht. Was hat sich Thomas Jonigk eigentlich vorgestellt, wenn er dem Werk – sein literarischer Schöpfer Maurice Maeterlinck war ein Symbolist reinsten Wassers – „das Mysteriöse und Rätselhafte“ nehmen will, wie er programmatisch in einem Interview sagte. Das findet er nämlich langweilig. Möglicherweise, dass mancher Besucher zwei pausenlose Stunden in einer bürgerlichen Welt langweilig findet, wo Melisande nicht mehr das Rätselwesen ist, sondern quasi eine junge Frau von heute, die („#metoo“!!!) alle männlichen Avancen aktiv abwehrt und periodisch nicht elegisch, sondern anklagend vermerkt, dass sie unglücklich sei.

So recht bekommt man auch Golaud, der in einer Phantasieuniform auftritt, und Pelleas (na ja, schwarz gelockter Jüngling) nicht in den Griff. Wenn er und Melisande sich kurzzeitig doch noch annähern, müssen sie das in Unterwäsche tun – hingegen geht es bei Arkel und Geneviève gar nicht königlich, sondern steif-bürgerlich zu. Da man das Werk aus den letzten Staatsopern-Aufführungen ja noch recht gut in Erinnerung hat, findet man sich bei Thomas Jonigk (in der eigentlich ziel- und reizlosen Zimmer-Ausstattung von Lisa Däßler) immer wieder bei der Frage: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten… auch nicht die Verdoppelung der Melisande als ihr kindliches Ich. Und ihr Verschmelzen mit Yniold. Tja…? Da wurde dramaturgisch ganz schön herumgedoktert, ohne dass die „alternative“ Geschichte, die erzählt wird, Sinn und Leben gewonnen hätte.

Und ehrlich: Hätte man es nicht im Programmheft gelesen, wäre auch der „Rückblick“-Charakter der Geschichte nicht völlig klar geworden. Nur dass eben Melisande zu Beginn und am Ende (da mystisch lächelnd) allein auf der Bühne ist.

Das Publikum konnte sich lange nicht zum Applaus entschließen, als hätte man sich nicht entscheiden können, ob man das als Ende nehmen sollte… Dann allerdings gab es auch bei der zweiten Aufführung starken Beifall.

Die Zustimmung galt der musikalischen Seite des Abends, die stärker ausfiel als die szenische. Mag Anna Gillingham auch programmatisch eine robuste Melisande sein (die mit dem ätherischen Original nichts zu tun hat) – sie ist eine schöne junge Frau mit strahlender Stimme, und dafür ist man dankbar. Julian Heneao Gonzales hätte man sich noch am ehesten in einem „normalen“ Umfeld des Werks als Pelleas vorstellen können. Egal, wie seltsam Matteo Loi als Golaud daherkommen muss, sein markiger Bariton beeindruckt, ebenso wie der schöne Baß von Florian Köfler, den man wohl für keinen König Arkel gehalten hätte… Anna Marshania, gekleidet wie eine düstere Mary Poppins, muss als Genevieve meist starr herumstehen…

Wie gesagt, trotz der kammermusikalischen Fassung klang der Debussy unter der Leitung von Thomas Guggeis gut und auch stark, aber das Haus ist ja auch klein. Intensive Sänger retteten, was zu retten ist… aber vielleicht sollte die Kammeropern-Dramaturgie umdenken und wieder zu „originalen“ Opernwerken zurückkehren. Es gibt genug davon, man muss nicht Meisterwerke „bearbeiten“ (was dann in graduellen Unterschieden ja doch aufs Verhunzen hinausläuft).

Bilder (c) Herwig Prammer

Renate Wagner 18.2.2018