Berlin: Smetana, Martinů, Dvorák

mit Sol Gabetta, Leitung: Krzysztof Urbanski

Dramatisch hochfahrende Kontraste

Ein Shooting Star mit aufwendiger tänzerisch durchpulster Gymnastik huldigte am Pult der Berliner Philharmoniker Bedrich Smetana mit zwei sinfonischen Blockbustern aus dem sechsteiligen Nationalheiligtum der tschechischen Musik „Mein Vaterland“. Krzysztof Urbanski (30), bereits mit Chefehren in Trondheim und Indianapolis bedacht, schwingt elegant das Stöckchen und erwarb sich einen Erfolg versprechenden Ruf. Sein Engagement mit hochkarätigen Orchestern kann sich sehen lassen. Wie er unlängst mit den Bamberger Symphonikern in der zwölften Schostakowitsch Sinfonie Ausdrucksgegensätze markant zuspitzte und darauf bedacht war, auch nach Zwischen- und Untertönen in diesem die Ohren folternden Werk zu fahnden, das beeindruckte allemal. Was er in exponierten Stellen durch die Halle brausen ließ, das hätte Bernstein nicht expressiver ausgeformt, vielleicht noch mit einigen athletischen Hochsprüngen angereichert. Wer weiß, was der polnische Jungstar künftig noch an Überraschungen aus seinem Bewegungsrepertoire bereithält. In Berlin fühlte sich Urbanski wohl auf vertrautem Terrain als die Philharmoniker mit markigem Sound und voluminös akzentuierendem Blech faszinierten. Pointiert rieselten die beiden Quellflüsschen der „Moldau“, akkurat erarbeitet zog die „Jagdszene“ vorüber, gediegen in der Klangkultur intonierten die Hörner. An Deftigkeit ließen die Szenen der Bauernhochzeit keine Wünsche offen, während die St.-Johann-Stromschnellen lärmig furios mit Wagnerschem Aplomb gischten. Schlussendlich boten die Blechbläser in den Reiterszenen um die Amazone Sarka – aus enttäuschter Liebe wird sie zu einer männermordenden Rächerin – eine famose Leistung.

Krzysztof Urbanski
(Foto: Joanna Urbanska)

Dann fieberten alle der ihren Einstand bei den Philharmonikern feiernden argentinischen Cellistin Sol Gabetta entgegen. Die etablierte sich längst auf den vordersten Plätzen in der „Premier League“ der Cellisten-Garde. Erleben muss man sie einfach im Konzertsaal. Wie die Gabetta – wahrlich eine podiumswirksame blendende Erscheinung – auch gestisch die Musik auslebt, wie sie den Bogen ansetzt und ihr Instrument, ein kostbare Guadagnini von 1759 bewegt, das ist immer wieder eine Augenweide. Nicht mit einem „Best-of-Classic“ Hit suchte sie die Neugierde zu wecken, sondern mit seltener Gespieltem. Denn zu Wort kam der böhmische Komponist Bohuslav Martinú. Ein Vielschreiben ist er ja wohl gewesen, dem allerdings bis heute, und nicht nur hier, die rechte Anerkennung versagt bleibt. Sein Konzert für Violoncello und Orchester (l930 aus der Taufe gehoben, 1939 und l955 revidiert) offenbart die für den Komponisten typische Eigenarten: eine modern klassizistisch akzentuierte Schreibweise, durchsetzt mit neobarocken, polyphon strukturierten Zügen. Motorisch treiben die dem Interpreten auferlegten Energien. Virtuos flitzen Skalen- und Arpeggio-Passagen vorüber und schmeicheln mit feinen kantablen Segmenten die Ohren. Sind kritische Geister im Recht, wenn sie behaupten, dem Komponisten sei wenig Spezifisches aus der Feder geflossen? Trefflich bot sich der Sol Gabetta Gelegenheit, derlei Vorurteile zu korrigieren. So zieht die Virtuosin alle Register, um dieser spielfreudigen Kreation Glanzlichter aufzusetzen. Das gelingt fabelhaft in einer dramatisch geführten Klangrede, die sich im Sinne der für den Komponisten spezifischen „Fortspinnungstechnik“ aus einer motivischen Zelle heraus entwickelt. Sol Gabetta gebietet über einen herrlich tragenden Ton. Sie meistert souverän das Figurenwerk und fasziniert mit klanglichen Nuancen. Von Gabettas rassigem Spiel inspiriert, geizten die Philharmoniker keinesfalls mit vibrierender Rhythmik und kommentierten das virtuos sperrige Geschehen klanglich wohltemperiert. Jubelnder Beifall. Aus ihrer innovativen Encore-Schatztruhe gab sie leider nichts zu.

Dass die Berliner Philharmoniker über einen prächtig klingenden Bläserapparat verfügen, war wieder einmal in Antonín Dvoráks siebter Sinfonie zu erfahren. Die gewann unter dem putzmunter fuchtelnden Pultlenker Urbanski aus dramatisch hochfahrenden Kontrasten und aus einer motivischen Vielfalt packende Gestalt. Im düster unheildrohend beginnenden ersten Satz (Allegro maestoso) entwickelten die leuchtkräftig aufspielenden Streicher ihre klanglichen Mischungen, während in den Piano-Regionen, in der B-Dur Kantilene, subtilere Binnenspannungen auflebten ehe hochfahrende Gefühlsausbrüche den Konflikt zu Ende führten. Weiträumig disponierte Urbanski den sinfonischen Fluss, ließ akkurat Detailarbeit spüren, in der auch kleine Phrasen lebendig atmen durften. Im zweiten Satz (Poco Adagio) leuchteten stimmungsvoll lyrische Abschnitte durch sensible Schattierungen der Dynamik. Das Scherzo wurde im springend-synkopischen Rhythmus seines Hauptthemas nebst den Furiant-Anklängen mit einer Dosis slawischer Glut verabreicht. Sehr genau nahmen es die Philharmoniker mit den kantig akzentuierten kontrapunktischen Verarbeitungen im Finale. Da schälten sich die Konflikte in aller Schärfe heraus bis die hell timbrierten Blechbläser ihr sieghaft strahlendes D-Dur intonierten. Herzlicher Beifall.

Noch ein Hinweis: wie aus Bekanntenkreisen verlautet, wurden die sich auf Welle „ Digital Concert Hall“ eingeloggten Hörer an diesem Abend bitter enttäuscht. Nach mehreren drop outs zu Beginn des Konzertes wurde schließlich wegen nicht zu beseitigenden Störungen die Übertragung aus dem Netz genommen. Nachgehört werden kann das versäumte Konzert schon ein paar Tage später im Archiv von Digital Concert Hall.

Egon Bezold/26.5.14