Berlin: Weber, Unsuk Chin, Brahms

Alban Gerhardt (Cello), Myung-Whun Chung (Ltg.)

Begeisterung weckte im Konzert der Berliner Philharmoniker das mit Kunstfertigkeit gewitzte Cellokonzert der koreanischen Komponistin Unsuk Chin. Alban Gerhardt bringt das Kunststück fertig, diesen vertrackten Brocken nicht nur auswendig vorzuführen, sondern mit beispielgebender spieltechnischer Bravour und virtuosen Klangreden zu adeln. Der Viersätzer – ein motorisch dahin flitzendes Scherzo und eine weit ausladende Elegie umrahmen zwei sinfonische Ecksätze – treibt den als „Erzähler“ fungierenden Solisten in allen Lagen bis an die Grenzen der Hörbarkeit. Keine Frage: Chins Musikalisierung verrät packende Könnerschaft. Die ganz aus der abendländischen Tradition schöpfende Koreanerin findet zu einer komplexen Partitur, zu schillernden, gelegentlich auch fremd anmutenden Klängen, die weitgehend fern von asiatischen Gefilden siedeln. Originell ist die Machart. Die mit reich besetztem perkussivem Apparat, Schlagzeug, zwei Harfen, Fraktion der Bläser und Streicher gewitzte, provokativ wie kommunikativ fantasiereich gebaute Orchestersprache springt die Hörer unmittelbar an. Das bezeugen provokative Attacken, wuselig polyfones Gewebe, mikrotonale Strukturen und klangliche Gesten, die voller Skurrilität und Ironie stecken. Unerschrocken trotzt der fabelhafte Alban Gerhardt, der ja die Urfassung des Konzertes 2009 in London aus der Taufe hob, dem heftig aufbegehrenden Orchester. Ein bisschen signalisieren diese Klänge wohl die Alchimistenküche von Hexenmeister György Ligeti, dem Unsuk Chin immerhin drei Jahre in Hamburg über die Schulter schaute. Im kräftigen Zugriff tönen die bewegungsfreudigen vorwärtsdrängenden Ecksätze. Doch als reine Trapezakte verstehen sich die virtuosen Eingebungen des Konzertes nicht, da der Solist mit weiten melodischen Bögen und sehnsüchtiger Kantabilität beachtenswert sensibel quasi ein „Lied ohne Worte“ anstimmen darf. Freilich mündet die ausgelassene Turbulenz im wild galoppierenden Finalsatz, der keinesfalls zur Apotheose einer ungehemmten Fröhlichkeit auf gnadenloser Rennstrecke ausartet, im rundem sprechenden Celloton in berührender Stille – genauso wie das Konzert auch begonnen hatte. Berückend schön geraten die Dialoge zwischen dem Cello und Orchester. Mit geschmeidigem Glanz, viel Klangsinn, erwärmendem Timbre und vibrierender Rhythmik begleiten die Berliner Philharmoniker. Ohne emotional übertrieben das Geschehen zu befrachten, steuert Myung-Whun Chung mit klar geformter Zielstrebigkeit über die Klippen. Begeisterter Applaus des Publikums für den Cellomeister Alban Gerhardt, für die anwesenden Komponistin und die trefflich auf die klanglichen Eingebungen eingestimmten Philharmoniker. Als Zugabendank folgt ein Satz aus den Solosuiten von J. S. Bach.

Zum Beginn gab es Carl Maria von Webers Ouvertüre zur Oper „Der Freischütz“ – die sich wohl geheimnisvoller, dämonischer, weniger vordergründig und vorlaut in den Blechbläsern zum Finale denken ließe. Dass den Philharmonikern als prächtigem Konzertorchester die geschmeidig flexible Sprache der Oper weniger gelegen ist, das war in dem leider zu Ende gegangenem Engagement bei den österlichen Festspielen in Salzburg schon zu erfahren. (Aus Baden-Baden hört man nun nichts anderes),

Myung-Whun Chung (Foto: Riccardo Musacchio)

Umso harmonischer gelingt nach der Pause die zweite Sinfonie von Johannes Brahms. Myung-Whun Chung lässt mitunter ein raues Lüftchen wehen. Wer sich nach dem sonnendurchfluteten Flair der Carinthischen Sommerfrische sehnt, nach der deutsch-österreichischen Art, die Zweite mit erwärmendem Timbre zu genießen, kommt auf seine Rechnung, wird auch mit knorrigem Bläserspiel konfrontiert. Fabelhaft werden die Klangfarben durch die Holzbläser belichtet. Mung-Whun Chung liebt die flotten beschwingten Tempi. Das Lieblingsstück aller reisenden Orchester verliert sich nirgends in idyllischer Pastoral-Nachfolge. Nichts weitet sich zum Kolossalen, nirgends schlägt die Brillanz in Kühle und Distanz um. Mung-Whun Chung (seit 2006 Leiter des Philharmonischen Orchesters Seoul und Erster Gastdirigent der Staatskapelle Dresden), wahrlich ein souveräner Lotse, hält das Klangbild transparent, arbeitet vertrackte rhythmische Passagen exakt heraus. Im Allegro con spirito gelingt eine energiegeladene Steigerung, ohne dass das Finale ins Monströse ausartete. So spielt das Blech in klaren Konturen, und die Hornisten imponieren durch feine Brahmsische Naturtöne. Der runde, gleitende verbindliche Ton zeugt von traditionell romantischem Zuschnitt. Lang anhaltender Beifall.

Egon Bezold/12.5.14