Berlin: „Manon Lescaut“

Arme Sänger

Bereits auf Arte in der szenischen Fassung zu sehen und zu hören gewesen, danach im freien Verkauf ohne Abonnenten konzertant im 2000-Plätze-Haus angeboten und trotzdem so gut wie ausverkauft: Das schaffen nur die Berliner Philharmoniker mit ihrem treuen Publikum. Am 26.4. gab es nach Aufführungen in Baden-Baden Puccinis "Manon Lescaut" in der Philharmonie mit vielen orchestralen und choralen Glanzlichtern und zwischen den beiden machtvollen Klangkörpern besonders akustisch bedauernswert eingepferchten Gesangssolisten.

Wenn man sich besonders gern und intensiv an das Zwischenspiel "Il Viaggio a Le Havre" erinnert, an die betörenden Töne von Cello und Bratsche, das bruchlos und rauschhaft an- und abschwellende Spielen der Tutti, die wunderbaren Klangfarben, die die Melancholie des Stücks auszukosten verstehen, dann ist das ein beglückendes Erleben einer erstklassigen Orchesterleistung, aber keine Opernaufführung. Zwar nahm Sir Simon Rattle durchaus auch Rücksicht auf die Sänger, wenn auch nicht durchgehend, aber allein das Aufrauschen des Orchesters zwischen den Gesangsdarbietungen stellte eine Deklassierung der ohnehin nicht in bester (Puccini)verfassung befindlichen Solisten, sowohl was die Quantität der erreichbaren Lautstärke als was die Qualität der Stimmfarben betraf, dar. Mit einem Orchester im Graben könnte sich das alles anders angehört haben.

Simon Rattle Foto: Monika Rittershaus

Der Otello Puccinis ist Renato Des Grieux, und jeder Sänger sollte sich hüten, ihn zu früh in sein Repertoire aufzunehmen. Für Massimo Giordano ist er eine absolute Grenzpartie, wenn nicht sogar mehr, sein Tenor klang an diesem Abend stumpf, sein einleitendes "l’amor" ging bereits unter, "Tra voi belle" wurde nicht unbeschwert beweglich, sondern angespannt und bemüht gesungen, und in "Donna non vidi mai" verhalf er der eigentlich schön timbrierten Stimme nur durch das Spreizen der Vokale zu scheinbar mehr Volumen. Wurde wie im zweiten Akt Überschwängliches gefordert, wurde der Tenor hart und steif, versuchte sich in ein "implaro" anstelle des "imploro" zu retten und zeigte nur in den parlandohaften Teilen, wie angenehm die Stimme in einem mehr lyrischen Repertoire klingen könnte, wenn das bei diesem Singen mit dem Kapital wie dem seinen überhaupt noch möglich ist. In der leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit Manon im zweiten Akt gab es neben schön und dunkel Gesungenem wie im wiederholten "Taci…" auch ein Verfallen in den Fast-Sprechgeang wie mit "Nell‘ occhio tuo profondo..". Das "Guardate!" des dritten Akts erschien danach nur noch wie mit letzter Kraft gesungen, auch wenn das Orchester sich betont zurück nahm, und im letzten Akt wurde es nicht besser. Dem attraktiven jungen Sänger mit eigentlich schönem Material ist dringend eine Überprüfung seines Repertoires anzuraten. Sein Fast-Namensvetter wäre an diesem Abend die bessere Wahl gewesen.

Für Eva-Maria Westbroek ist die Manon nicht die einzige Puccini-Partie im Repertoire, so gibt es eine CD mit ihrer Minnie aus Frankfurt. Wie generell für gestandene Auch-Wagnersängerinnen stellt der erste Akt ein besonderes Problem für sie dar, wenn der Schmelz der Stimme besonders jugendlich, das Vibrato besonders fein sein sollte. Generell mangelt es dem in der oberen Mittellage wunderschönen Sopran an dolcezza, wird die Stimme, je höher sie klettern muss, umso härter, statt zart aufzublühen. "In quelle trine morbide" zeigte ein schönes Decrescendo bei insgesamt dunklen Farben die angenehme Seite ihrer Leistung, schön war im zweiten Akt das zweite, piano gesungene "Non m’ami più", aber es gibt auch eine flach erscheinende Tiefe und in "Sola, perduta…" kam die Sängerin hörbar an ihre Grenzen, wenn die Spanne zwischen dem dramatischen "Non voglio morir" und den letzten Zärtlichkeiten für Des Grieux ausgelotet werden soll.

Einen zwar sehr sonoren, aber zu wenig elegant gesungenen Lescaut gab Lester Lynch. Mit süffig sattem, tiefschwarzem Bass war Liang Li ein gar nicht hinfälliger Geronte. Generell fiel auf, dass die kleineren Partien besonders gut besetzt waren, so auch der Madrigal-Singer mit Magdalena Koženas ebenmäßigem Mezzo, Krešimir Špicers angenehmem Tenor als Tanzlehrer oder Arthur Espiritus ebenfalls so präsentem Tenor als Laternenanzünder, dass man meinen könnte, er würde sich besser für den Edmondo eignen als der mühsam gegen das Orchester und den Chor ankämpfende Bogdan Mihai.

Ganz erstaunlich war die Leistung des Philharmonia Chors Wien unter Walter Zeh, der die Jugendlichkeit, die zärtliche Eleganz, den Übermut im ersten Akt mit erstaunlich ausgeprägter Agogik zum Klingen brachte.

Fotos der szenischen Aufführung in Baden-Baden sind in der Besprechung der dortigen Aufführung zu finden.

27.4.2014 Ingrid Wanja