Berlin: „Elektra“

Eine „Elektra“ auch der leisen Töne

Die Fotos aus der Semperoper zeigen, dass man als Besucher der nur konzertanten Aufführung von Strauss‘ „Elektra“ in der Berliner Philharmonie nichts versäumt hatte, im Gegenteil, das flammend rote Abendkleid stand der Klytämnestra Waltraut Meier weitaus besser als der biedere Faltenrock und ließ sie weitaus königlicher wirken. Die Konzertdirektion Adler hatte es möglich gemacht, dass auch die Berliner in den Genuss dieser ersten Ehrung des Komponisten zu seinem 150. Geburtstag durch das Opernhaus kamen, das die meisten Strauss-Uraufführungen, darunter auch die der „Elektra“, zu verzeichnen hat. Mit einem Riesenapparat war man angereist, trotz des gewiss nicht kleinen Podiums waren einige Bläser zusätzlich auf dem Gang postiert worden, doch gelang es Dirigent Christian Thielemann trotzdem, eine sängerfreundliche Aufführung zustande zu bringen, hören zu lassen, dass „Elektra“ von der „Salome“ herkommt und zum „Rosenkavalier“ führt. Die am häufigsten bemerkbare Zeichengebung der Linken war das Dämpfen, der häufigste Blick auf die Sänger, die, abgesehen vom Schluss, hinter dem Orchester postiert waren, war ein ermunterndes Lächeln. Filigranhafte Opulenz und gebändigte Pracht waren keine Widersprüche in sich, sondern das Ergebnis der Zusammenarbeit eines Orchesters des strahlend-dunklen Klangs wie der Dresdner Staatskapelle mit einem Dirigenten, der sicht- und hörbar diese Musik liebt.

Nie hätte man der kleinen, zarten Evelyn Herlitzius, die ungeschminkt und in schlichtem schwarzem Kleid zwischen Riesenorchester und Chor noch zerbrechlicher wirkte, eine derartige Leistung zugetraut. Mit so guter wie bei Strauss überhaupt möglicher Diktion, so bebend vor Intensität, dass sogar der Notenständer dem Orchester entgegen geschleudert wurde, ließ sie bereits mit einem hohlen „Allein“ aufhorchen, stieß so kontrollierte wie unheimliche „Agamemnon“-Schreie aus und schöpfte in den Auseinandersetzungen mit Schwester und Mutter aus unerschöpflichen vokalen Energiequellen. Grässlich das „Tochter meiner Mutter“, das „Es ist nicht wahr“; aber auch zärtliche Töne standen der Sängerin zur Verfügung und nicht zuletzt der ekstatische Jubelton beim Erscheinen des Orest. Eine außerordentliche Leistung, die von einem begeisterten Publikum entsprechend belohnt wurde. Eine ungewöhnliche Klytämnestra war Waltraud Meier zu verdanken, keine geifernde oder angstschlotternde Megäre, sondern eine selbstbewusste Königin mit um Fassung bemühtem Parlandoton, vor allem keine Sängerin, die nur noch mit Sprechgesang die Rolle bewältigt.

Nur selten verliert sich die Stimme im Forte, Keifen und Greinen vernimmt man keines, und man kann annehmen, dass diese Königin sich noch immer des Betrugs entsinnt, die der dann gemeuchelte Agamemnon an ihr beging, als er sie mit dem Vorwand, es solle eine Hochzeit mit Achilles geben, zur Opferung der Tochter Iphigenie ins Feldlager der Griechen lockte. Manchem Hörer wird an dieser Klytämnestra die sonstige Exaltiertheit gefehlt haben – eine Alternative zu einer Astrid Varnay oder Anny Schlemm ist sie auf jeden Fall. Eine schöne blonde Chrysothemis von Anne Schwanewilms verbreitete Anmutiges und Liebliches mit einem angenehm aufblühendem Sopran, der leider in der Extremhöhe schwächelte. Ungewohnt dunkel für den Jüngling Orest, aber ohne Fehl und Tadel und höchst eindrucksvoll war René Pape mit erstklassiger Diktion.

Frank van Aken sang mit scharfem Tenor angemessen den Aegisth.

Auch die kleineren Partien waren hervorragend besetzt, so mit einem schönen lyrischen Sopran die 5. Magd mit Nadja Mchantaf oder die Aufseherin mit Nadine Secunde. Peter Lobert gab mit sonorer Stimme den Pfleger des Orest, Matthias Henneberg sang mit solidem Bariton den alten Diener. Das Publikum in der ausverkauften Philharmonie feierte besonders Evelyn Herlitzius und Christian Thielemann frenetisch.

Fotos Matthias Creutziger mit Genehmigung der Semper Oper

28.1.2014, Ingrid Wanja