Berlin: Liederabend „Zwischen den Noten“

Plädoyer für das Lied

Ob die vier jungen Sänger, die den Liederabend im Konzerthaus mit Glanz bestritten, bereits „Zwischen den Noten“ (so der Titel des Konzerts) lesen und singen können, sei dahin gestellt, daß sie die Noten selbst vorzüglich zu Gehör bringen und dazu noch die Texte erfreulich tief ausloten, war gewiß. Allesamt sind sie Preisträger des Wettbewerbs „Neue Stimme“ der Bertelsmann-Stiftung, die gerade den des Jahres 2013 ausgerichtet hat, und haben an dem Meisterkurs für Liedgesang teilgenommen, den es erst seit 2012 gibt. Den ersten leitete Edda Moser, den des nächstes Jahres wird Dietrich Henschel durchführen. In diesem Jahr war es Angelika Kirchschlager, die eine Woche lang mit den Sängern an dem Programm arbeitete, das am gestrigen Abend vorgestellt wurde. Ganz unprätentiös ungeschminkt und im Schlabberlook führte der Mezzosopran durch den Abend, berichtete von der vorangegangenen Arbeit, die insbesondere einer korrekten Diktion galt und durch seine Vielfältigkeit erfreute.

Beginn und Schluß bildeten zwei vierstimmige Lieder von Johannes Brahms: „O schöne Nacht“ und „Wechsellied zum Tanz“, und als sich die Zuhörer durch ihren Applaus am Schluß die Wiederholung der „Schönen Nacht“ erklatschten, merkte man, wie, beflügelt durch den Beifall, die Stimmen noch runder und farbiger, der Gesang gelöster und freier wurde.

Pilar Lorengar, Jahrzehnte lang Primadonna der Deutschen Oper Berlin und hier ansässig, traute sich nie, sich dem deutschen Publikum mit einem deutschen Liederabend zu präsentieren. Catalina Bertucci, Chilenin wohl italienischer Abstammung, wagte sich sogar an Schuberts „Gretchen am Spinnrad“, das sie recht opernhaft anlegte und zu dem der gut tragende, aber zur Schärfe neigende Sopran nicht so recht paßte. Besser gefallen konnte Mozarts „Als Luise die Briefe ihres ungetreuen Liebhabers verbrannte“, zu Recht wie eine kleine Opernarie gestaltet mit der hellen Stimme, und auch Schuberts „Die Männer sind méchant“ konnte sie mit leichter Variation des Refrains viel Humor abgewinnen. So richtig in ihrem Element war die junge Sängerin und waren es auch ihre Kollegen bei den Liedern aus Hugo Wolfs „Italienischem Liederbuch“, die jeweils mit wechselnden Partnern gesungen wurden, was die jungen Sänger sichtlich und hörbar zu noch engagierterem Ausdruck anregte. Wolfs „Nimmer will ich dich verlieren“ wies noch einmal darauf hin, daß der Sopran noch daran arbeiten muß, schrille Töne aus seinem Gesang zu verbannen, an Emphase des Singens allerdings, das zeigt Bergs „Es war als hätt‘ die Nachtigal“, fehlt es der Chilenin nicht.

Aus Polen kommt der Mezzosopran Barbara Kinga Majewska mit feinem, leicht herbem Timbre, das sich zu einem schönen Glockenton entfalten kann. Ein leichter Akzent ist nicht zu überhören, ebenso wenig der ausgeprägte Gestaltungswillen, der sich bereits bei Haydns „Die zu späte Ankunft der Mutter“ zeigte so wie der Sinn für Humor in Mahlers „Verlor’ne Müh‘“ oder das szenische Temperament in Wolfs „Italienischem Liederbuch“.

Einen schönen Mozarttenor ohne jede stimmliche Anämie stellte Michael Mogl vor, eine perfekte Diktion, durchdachte Phrasierung und in „Bei dir allein“ auch eine schöne Steigerung und einen durchdachten Aufbau des Vortrags. Die Kontraste in “Schäfers Klagelied“ wurden fein verdeutlicht, in Wolfs „Locken, haltet mich gefangen“ die Stimmung perfekt wiedergegeben. Besonders gut gelang Schönbergs „Arie aus dem Spiegel von Arkadien“, eine Art Wiener Lied, in dem der junge Sänger seine auch vorhandene Begabung für die Operette und generell die leichtere Muse unter Beweis stellte.

Eine schon ausgereifte Opernstimme, die den Ton angemessen attackieren kann, führte der Bariton Maximilian Krummen vor, der Mitglied des Opernstudios der Staatsoper Berlin ist. Die Diktion ist tadellos, die Stimme weist einiges an Metall vor, und das reiche Mienenspiel des Sängers geht interpretierend in seinen Gesang ein. Das Legato ist ebenso erfreulich wie unter vielem anderen die Steigerung in der Wiederholung des „glühen“ in Zemlinskys „Entbietung“.

Zum glücklichen Gelingen des Abends trug ganz wesentlich der Pianist Manuel Lange bei, während La Kirchschlager das Konzert mit einem leidenschaftlichen Appell für das Lied beschloß.

14.10.2013 Ingrid Wanja