Düsseldorf: Mahler 8.

Molto furioso et gigantissimo

Haydn
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Mahler
Symphonie Nr. 8

436 Aktive (Musiker, Sänger, Choristen), die im fortissimo musizieren – das sprengt schon beinah die Grenzen der knapp 2000 Zuhörer fassenden Tonhalle. Da ist nicht nur die Chorloge hinter dem Orchester randvoll, auch sitzen weitere Chöre oben auf den kompletten Außenbalkonen rechts und links, die natürlich von den genau unter den Balkonen im Parkett Sitzenden weder zu sehen, noch direkt zu hören sind. Diese bekommen vom grandiosen 360 Grad Sound – einem Kernpunkt der Aufführung – wenig mit. Die Sänger stehen wg. der gleichzeitig statt findenden Plattenaufnahme * eigentlich akustisch ungünstig etwas erhöht hinter dem Orchester; oben auf dem Balkon hört man sie makel- und tadellos.

So ist der geradezu göttlichste Platz (auf dem auch der Rezensent dankenswerter Weise saß 😉 oben Balkon Mitte (Bild). Und wenn die Wucht der Chöre "veni, creator, spiritus" uns aus dem Tiefschlaf des völlig überflüssigen und unpassenden Haydn Vorspiels erweckt, dann wird auch der abgebrühteste Kritiker und Mahler-Liebhaber förmlich fast vom Blitz getroffen und entrückt von den sieben Chören der Engel umgeben in einer so nie gehörten Klangwolke. Beeindruckenderes habe ich selten gehört. Wenn dann zusätzlich die Trompeten von Jericho (14 Extrabläsern vom rechten Balkon) in den Finali des ersten und letzten Satzes noch einen drauf setzen, ist der Mahler Himmel erreicht.

Das alles hätte bei empfindlichen unvorbereiteten Menschen durchaus zum Herzkasperl führen können. Sensiblen Ohren hätte ich in meiner Fürsorgepflicht – wäre es nicht die letzte Vorstellung gewesen – Ohropax empfohlen. Aber, aber meine lieben hochverehrten Musikfreunde: Mahler ist nun einmal gelegentlich, wie Richard Wagner, sehr laut. Und erstaunlicherweise können die "Düsis" (Düsseldorfer Symphoniker) auch "laut" und "schön" ohne, daß es wie in der Oper öfter gehört – einfach schrecklich klingt und lärmt. Oder liegt es am Dirigenten?

An dieser Stelle muß man den "Principal Conductor" Adam Fischer ganz besonders hervorheben, der für mich in einer Reihe mit den ganz großen Orchesterleitern der Tonhalle, wie Jean Martinon, Rafael Frühbeck de Burgos, Henryk Czyz und dem wunderbaren Mahler-Magier Bernhard Klee, unbedingt zu nennen ist.

Wie Fischer das immerhin über 150-köpfige Orchester beherrscht, die Chöre koordiniert und auch an den sensibleren Klangstellen, die ja durchaus filmmusikalische Emotionen wecken, die Streicher im tutti rubatohaft schwelgen lässt oder Solisten im Piano musikalische Träumchen evozieren, daß ist schlicht und einfach grandios. Das ist schon Weltklasse!

Fischer übertrifft in Feuer, Temperament, Empathie und routinierter perfekter strategischer Kontrolle sogar den altvorderen Lorin Maazel – einen der letzten der Giganten – den mqn zuletzt im Jahr 2010 in der Kraftzentrale des Landschaftparks Duisburg (da waren es über 1000 Mitwirkende und 4000 Zuhörer) erleben durfte.

Fazit: Bravissimo, oh Maestro Adamo !

Diesem Lob anschließen muß man sich auch bei den toll und überzeugend vorbereiteten Chören anschließen, und so geht das Lob weiter an Justine Wanat (Clara Schumann Jugendchor), Marieddy Rossetto (Musikverein Düsseldorf) und Paul Krämer (Kölner Chöre).

Des Kritikers Pauschallob geht an alle dieser herzhaft kämpfenden und schön singenden Solisten, denn die haben es schwer bei solch einem Monsterwerk. Ich möchte allerdings den Tenor Neal Cooper noch besonders würdigen. Mit der Strahlkraft eines wagnerschen Helden übertönte er leicht die Urgewalten des Riesenorchesters und dringt bis in die letzten Planken der Tonhalle vor. Bravo!

Was soll man nun zu so einem Riesen-Spektakel sagen, was kritisieren? Wer Perfektion will, sollte CDs hören. Wackler, Unstimmigkeiten, Einsatzdivergenzen… zu bemängeln wäre Kritikasterei! Die grandiose Wirkung und der Erfolg dieses Meilensteins im Konzertleben der Tonhalle liegt und lag durchaus in der Unperfektion jeder künstlerischen Livedarbietung, welche gerade bei so vielen Mitwirkenden niemals auszuschließen ist. Alle Künstler geben/gaben ihr Bestes. Ich denke sogar mehr als ihr Bestes.

Livemusik ist nie perfekt, aber spannend und ergreifend – beinhaltet sie doch jenes Konzerterlebnis, welches wir so lieben, suchend durchleben, ergreifend durchleiden und für ewig dann im Herzen speichern.

Fazit: Ein Abend den wohl kaum jemand, der dabei war, ob Mitwirkender oder Zuschauer, je vergessen wird. So gehen wir in die Ferien mit unserem Herzen voller Mahler – Dank an alle ! Besser kann man eine Konzertsaison kaum beschließen.

Fotos (c) Susanne Diesner / Tonhalle.de

Peter Bilsing 10.7.2018

Credits

Adam Fischer & Die Düsseldorfer Symphoniker

Solisten: Manuela Uhl, Sopran / Polina Pasztircsák, Sopran / Fatma Said, Sopran / Katrin Wundsam, Mezzosopran / Katharina Magiera, Alt / Neal Cooper, Tenor / Hanno Müller-Brachmann, Bariton / Peter Rose, Bass

Chöre: Clara-Schumann Jugendchor / Justine Wanat

Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf / Marieddy Rossetto

Philharmonischer Chor Bonn / Kartäuserkantorei Köln / Paul Krämer

* Nota bene !

Der gesamte Mahler-Zyklus erscheint in Kooperation mit dem Deutschlandfunk auf dem Label CAVI-Music auf CD. Gerade ist Mahler 3 erschienen, die Konzerte waren Mitte November 2017, also können wir mit der Einspielung von Mahler 8 wohl in der Weihnachtszeit rechnen.