Köln: Generationen

Akiko Edith Mathis (Rezitativ), Rafael Fingerlos (Bariton), Stephanie Lesch (Mezzosopran), Aiona Padrón (Klavier)

Wie ist es, einer Legende zu begegnen? Edith Mathis (80) ist zweifellos eine solche, für die Kölner sogar in besonderer Weise. Mit 21 Jahren kam die geborene Luzernerin 1959 als lyrischer Sopran an die hiesige Oper. Nach vier Jahren verabschiedete sie sich, arbeitete forthin frei und machte Weltkarriere. Nach Ende ihrer aktiven Laufbahn betätigte sich Edith Mathis pädagogisch. Nun war sie im Staatenhaus nochmals auf dem Podium zu erleben, wie einige Zeit zuvor schon in ihrer Geburtsstadt und beim Schleswig Holstein Festival. Natürlich nicht als Sängerin, sondern als Rezitatorin. Das Singen überließ sie dem jungen österreichischen Bariton Rafael Fingerlos.

Der Abend gehörte Robert Schumann und Heinrich Heine. Neben diversen Einzelliedern war die „Dichterliebe“ zu hören, freilich nicht als chronologischer Zyklus, sondern durchmischt mit den anderen Gesängen. Und Edith Mathis zäsierte das Programm zusätzlich mit Texten aus Heines „Lyrischem Intermezzo“. Die Ironie des Dichters blieb für diesmal marginal, zu hören waren vor allem Herz-Schmerz-Gedichte, poetisch angereichert mit allerlei Naturstimmungen. Über manche biedermeierliche Wortbildungen („Wängelein“ und Ähnliches) war mitunter zu schmunzeln. Die Sängerin a.D. gab die gesprochenen Gedichte engagiert und rhetorisch reizend zum Besten, wobei die Aussprache mitunter ihre schweizerische Herkunft erkennen ließ. Rafael Fingerlos schien sich mit den von ihm vorgetragenen Lieder wirklich zu identifizieren, gab ihren hier übermächtigen, dort zurückgenommenen Gefühlen mit seinem kraftvollen Organ beredten Ausdruck. Pianopassagen kamen voll zu ihrem Recht, wobei das dynamische Changieren nur etwas subtiler hätte ausfallen dürfen. Höchstes Lob für die vorbildliche Textverständlichkeit, welche ohne „Konsonantenspuckerei“ auskam. Am Flügel accompagnierte Sascha El Mouissi anpassungswillig und mit feinen Anschlagsvaleurs.

Den Schluß bildete übrigens ein Lied von Schumann-Gattin Clara, welches ihr Mann (als opus 13,1) gleichfalls vertont hat: „Ich stand in dunklen Träumen.“ Claras Version ist auch auf der CD von Rafael Fingerlos „Stille und Nacht“ enthalten. Hier finden sich zudem Kompositionen von Robert Fürstenthal, welchem ein weiteres Recital („Lieder und Balladen vom Leben und Vergehen“) sogar alleine gewidmet ist. Man darf also davon ausgehen, daß sich Rafael Fingerlos weiterhin um rares Liedgut bemühen wird. Auf der Opernbühne steht er allerdings in Bälde mit bekannten Partien, nämlich dem Harlekin in „Ariadne auf Naxos“ von Strauss (Dresden) sowie dem Mozartschen Papageno an der Wiener Staatsoper, wo er mittlerweile fest engagiert ist.

Beim Auftaktkonzert von „Im Zentrum Lied“ (Oktober) wurde die „schöne, ausdrucksvolle Baritonstimme“ von Michael Daub hervorgehoben. Jetzt, beim zweiten Abend dieser Reihe, macht es leichte Schwierigkeiten, dieses Lob in angemessener Weise zu steigern.

Die Mezzosopranistin Stephanie Lesch verfügt nämlich über ein aufregend verführerisches Timbre: voll und rund, orgelnd in der Tiefe, explosiv leuchtend in der Höhe, alles wie auf Samtschaum gebettet. Gleich der erste Ton „traf“ und gab über ihre künstlerische Persönlichkeit verläßlich Auskunft. Schon jetzt denkt man bei Stephanie Lesch (33) an Wagner, doch soll das beileibe keine vorschnelle Empfehlung sein. Aber auf Youtube gibt es einen Mitschnitt von Gustav Mahlers Auferstehungs-Sinfonie (2014), leider ohne Angabe von Orchester und Dirigent. Doch man lauscht da ja vor allem der opulenten Stimme von Stephanie Lesch, welche mit ihrer Kantabilität die erhabenen Worte von „Urlicht“ auf eine fast schon jenseitige Stufe hebt.

Ingrid Schmithüsen, Leiterin von IZL selbst noch von ihrem fernen Wohnsitz aus, hat im vergangenen Jahr die Mezzosopranistin und ihre ständige Klavierbegleiterin, die Spanierin Ainoa Padrón, beim Internationalen Wettbewerb Lied & Lyrik Rhein-Ruhr in Ratingen kennengelernt und das Duo spontan gebeten, ein Programm für IZL zusammenzustellen. Antonin Dvorak und Arnold Mendelssohn, die damals favorisierten Komponisten, wurden in Köln um Lieder von Mieczyslaw Karlowicz ergänzt. So entstand der Konzerttitel „Schlesisch – polnisch – slawisch“, über den der Moderator des Abends, Andreas Durban, in lebendiger Weise Musikhistorisches verlauten ließ.

Daß ihre üppige Stimme zu opernhafter Expansion drängt, weiß Stephanie Lesch fraglos, gönnte sich ja auch hin und wieder vokale Gipfelstürmerei. Darüber kamen aber Pianowirkungen nicht zu kurz, was sich gleich in Antonin Dvoraks vier Liedern opus 82 zeigte. Der finale Gesang „Am Bache“ ließ dann die Pianistin etwas in den Vordergrund treten; die malerische Begleitung erinnerte sehr an Schuberts „Gretchen am Spinnrad“. Für die „Zigeunermelodien“ opus 55 (originalsprachlich gesungen) besaß Stephanie Leschs Mezzo angemessene Vitalität. Wild Magyarisches fehlte der Widergabe freilich ein wenig. Einiges kompensierte Aiona Padrón mit ihrer ungestümen Virtuosität, so bei „Reingestimmt die Saiten“. Interessant ihre agogischen Akzente.

Neben Dvorak bot das Damenduo ausgesprochene Raritäten. Der bereits erwähnte Arnold Mendelssohn mag vielleicht kein gänzlich Unbekannter sein, schon wegen des Namens (zu einem anderen Familienbereich gehörte u.a. Felix M.) – aber wer weiß etwas über den Komponisten? Der Zyklus „Lieder einer Frau“ läßt gelegentlich progressive Tonsprachlichkeit erkennen, aber eine Verwurzelung in der Romantik bleibt stets evident.

Ein veritabler Anonymus der Musikgeschichte ist Mieczyslaw Karlowicz. Der gebürtige Pole verbrachte einen Teil seiner Jugend in Deutschland und knüpfte Kontakte zu Georges Bizet und Johannes Brahms. Als engagierter Bergsteiger kam er mit nur 33 Jahren bei einem Lawinenunglück ums Leben. Seine Lieder (es gibt sie erstaunlicherweise komplett auf CD), sinfonische Dichtungen, ein Violinkonzert, eine Serenade, die litauische Rhapsodie sowie die Sinfonie „Rebirth“ halten immerhin diskografisch die Erinnerung an Karlowicz wach. Die Liedauswahl von Stephanie Lesch und Aiona Padrón machte mit reizvoller Musik bekannt – und neuer Respekt bezüglich der Originalsprachlichkeit

Bilder (c) Philharmonie Köln

Christoph Zimmermann (23.11.2018)