Köln: WDR-Sinfonieorchester & Clemens Schuldt

featuring: Premysl Vojta (Horn)

Konzerte des WDR Sinfonieorchesters (WSO) an zwei hintereinander folgenden Tagen: zum einen ein Mozart-Haydn-Programm, zum anderen Zeitgenössisches, auch wenn Erik Saties „Uspud“ von 1892 nur bedingt dazu gerechnet werden kann. Allerdings ist die Orchestrierung von Johannes Schöllhorn eine Uraufführung. Vielseitigkeit und Rundumversiertheit gehören zu den Eigenschaften besonders von Rundfunkorchestern, welche eine große Hörerschaft zu bedienen haben. Nur en passant sei gesagt, dass das Funkhausorchester (der zweite Klangkörper des Hauses) ähnlich verfährt, nur auf dem eher unterhaltenden Sektor.

Die Musik des 18. Jahrhunderts gehört natürlich zum ständigen Repertoire eines Sinfonieorchesters, also auch dem des Westdeutschen Rundfunks. Aber inzwischen hat die historisch informierte Aufführungspraxis gewaltige Spuren in der Musikrezeption hinterlassen, was nicht ignoriert, andererseits nicht in Gänze kopiert werden kann. Aber man lädt gerne hin und wieder einschlägige Dirigenten ein. Ton Koopman stand beispielsweise einige Male am WSO-Pult, auch Reinhard Goebel, der im kommenden Juni wiederkehren wird. Bernard Labadie, Leiter des Kanadischen Barockensembles, hätte ebenfalls seine Visitenkarte erneut abgeben sollen, doch fiel er krankheitsbedingt aus. Für ihn sprang Clemens Schuldt ein. Seit vorigem Jahr ist der 34Jährige Leiter des Münchener Kammerorchesters, welches ein größeres Repertoire abdeckt als beispielsweise das Kölner (mit diesem arbeitet derzeit Christoph Poppen, früher leitete er die Münchener) und der Moderne nicht aus dem Weg geht. Den Streichern des WSO verordnete Schuldt das Non-Vibrato, wobei hier und da leichte Zuckungen zeigten, dass diese Spielweise nicht zum Alltag gehört. Und ehrlich gesagt: eine spezifische Klangindividualität vermittelte das Orchester damit ohnehin nicht. Man sollte bei „historisch“ die Kirche ruhig im Dorf lassen. Aber das Orchester spielte differenziert und spannungsreich.

Das rührte nicht zuletzt vom federnd agierenden Dirigenten her. Auch das als Introduktion gewählte Werk machte starke Wirkung. Bei den vier Zwischenspielen aus Mozarts Schauspielmusik zu „Thamos, König in Ägypten“ handelt es sich um musikalische Füllsel für ein Drama (Tobias von Gebler), welches schon bei seiner Uraufführung 1774 nicht sonderlich zu überzeugen vermochte und heute nur noch eine Aktennotiz der Theatergeschichte bildet. Um die mit ihm letztlich mit verschwundene Musik ist es jedoch schade, denn die im Funkhaus gebotenen Piècen sind durchaus „erste Ware“ eines nur 17jährigen Komponisten. Drei schwere Orchesterakkorde zu Beginn deuten an, dass das freimaurerisch geprägte Sujet später in der „Zauberflöte“ wieder anklingt. Im Andante (Nr. 3) dominieren farblich häufig die Fagotte. Das war auch mehrfach der Fall bei Joseph Haydns Sinfonie Hob. I:96 („The Miracle“) wie auch beim zugegebenen Finalsatz aus der Sinfonie Nr. 68, wo sich Haydn mal wieder als kompositorischer Kobold zeigt.

Der Beiname „The Miracle“ gehört eigentlich nicht zu I:96, sondern zu einer anderen Sinfonie, hat sich an seinem falschen Platz aber bis heute behauptet. Er verweist im übrigen darauf, dass das Werk zu den „Londoner Sinfonien“ gehört, mit welchen der reife Komponist in Großbritannien nochmals besondere Erfolge errang. Bei diesem Werk erwies sich Clemens Schuldt erneut als ein vibrierender, dramatisch drängender Dirigent, welcher mit großen Gesten seine interpretatorischen Absichten unterstrich. Schön, dass bei aller Impulsivität die filigranen Passagen des Werkes nicht zu kurz kamen. Aber in toto ist Schuldt schon ein rechter Springinsfeld.

Im Mittelpunkt des Abend stand Mozarts Hornkonzert KV 495, welches der Tscheche Premysl Vojta zum Besten gab, Solohornist des WSO seit 2015. Er liebt das Stück nicht zuletzt wegen diverser musikalischer Kapriolen, die aber nicht alle auf den ersten Blick zu erkennen sind. Als attraktivster Satz dürfte fraglos das heiter bewegte Rondo-Finale empfunden werden, welches Vojta mit stupender Perfektion bewältigte. Anders als Alec Frank-Gemmill vor zwei Wochen mit KV 417 bei Musica Saeculorum verwendete er kein Naturhorn, was die technische Sicherheit enorm erhöhte. Wiederum ein Beispiel dafür, dass “historisch” nicht immer ein Vorteil ist. Der pastose Tonansatz Vojtas freilich wirkte leicht romantisch, da ware mehr Schlankheit noch wirkungsvoller gewesen. Aber dies ist nur ein kleiner Einwand gegenüber einer großen Interpretation.

Christoph Zimmermann 25.9.2017

Fotos © WDR

Gürzenich-Orchester & Francois-Xavier Roth