Köln: Gürzenich-Orchester & Lahav Shani

featuring: Nicolas Altstaedt (Cello)

Mit Peter Tschaikowskys vierter Sinfonie, namentlich mit ihrem wie ein Vesuv lodernden Finalsatz, siegt man beim Publikum eigentlich immer. Aber der außerordentliche Beifall am Ende des sonntagvormittäglichen Gürzenich-Konzertes galt auch und besonders nachdrücklich dem israelischen Dirigenten Lahav Shani. Die Karriere des 1989 Geborenen begann erst vor kurzem und wird ihn in Bälde als Chef zum Rotterdams Philharmonisch Orkest führen.

Jetzt aber stand er (und steht nochmals heute und morgen) vor den Gürzenich-Musikern, welche die Sinfonie zuletzt unter Dmitrij Kitajenko präsentierten (und auch auf CD einspielten). Dass der russische Maestro vor allem für die Musik seines Heimatlandes immer wieder nach Köln geholt wird, liegt an seiner eminenten Autorität und seiner interpretatorischen Authentizität. Das heißt jedoch nicht, dass es neben ihm keine anderen Götter geben könnte. Und Lahav Shani erwies sich als ein junger Gott, wenn dieses euphorische Wort gestattet ist.

Im Auftreten sicher nicht schüchtern, aber doch leicht jungenhaft, wird Lahav Shani am Pult zu einem Imperator. Der Körper strafft sich, man spürt, wie sofort Energie in seine Arme fließt. Tschaikowsky (und Sergej Prokofjews „Ouvertüre über hebräische Themen“, das einleitende Stück des Programms) hat er auswendig im Kopf. Jede Einsatzgeste ist ein Befehl, aber kein unduldsamer, sondern freundschaftlich anregender. „Gebt euer Bestes, Leute“ scheint er dem Orchester stumm zuzurufen. Die Gürzenich-Musiker taten es (zwei Flüchtigkeiten in der Horngruppe: geschenkt) und trieben sich und die Zuhörer, bildlich gesprochen, fast bis zum Herzinfarkt.

Das zugespitzte Tempo des Finales lief aber nicht auf einen äußerlichen Geschwindigkeitsrekord hinaus, sondern blieb (wie auch der mit hochdramatischer Intensität ausgekleidete Introduktionssatz) Bekundung einer Musik mit vielen Wundmalen. Tschaikowsky als tragische Figur – Lahav Shani und das Gürzenich-Orchester machten dies tönend begreifbar.

Wie dieser Komponist war auch Ernest Bloch ein Außenseiter, und zwar durch seine jüdischen Wurzeln. Aber in seinen Werken bekannte er sich zu ihnen, so etwa in der hebräischen Rhapsodie „Schelomo“. Cellist Nicolas Altstaedt adelte sie bei seinem Gürzenich-Debüt durch sein grifftechnisch lupenreines und nobles Spiel zusätzlich, das Orchester legte ihm unter Lahav Shani einen warm getönten Klangteppich aus. Lange Stille vor dem Beifall; Pianissimo-Bach als Zugabe des Solisten.

Die Prokofjew-Ouvertüre, tags zuvor beim Gürzenich-Kammerkonzert im Original als Sextett zu hören, ist weniger „Glaubensbekenntnis“ als kompositorische Hommage an jüdische Freunde. Aber auch sie überzeugt als Werk mit Seele und wurde musikalisch seelenvoll vermittelt.

Christoph Zimmermann 18.06 2017

Fotos © Marco Borggreve