Dortmund: Die erste Walpurgisnacht

11. Juni 2016 Chorkonzert

heidnisch-Deutsch dann geistlich-Latein

Felix Mendelssohn Bartholdy – Die erste Walpurgisnacht

Daniel Friedrich Eduard Wilsing – De Profundis (Aus der Tiefe)

Anfang des 19. Jahrhunderts war in Berlin Ludwig Berger der bekannteste Musiklehrer. Zu seinen Schülern zählten unter anderen zwei im Jahre 1809 geborene Komponisten, Felix Mendelssohn Bartholdy aus Hamburg und Daniel Friedrich Eduard Wilsing aus Hörde – heute ein Stadtteil Dortmunds, bekannt durch den Phönixsee. Der eine wurde erfolgreich und ist es bis jetzt trotz Unterdrückung seiner Werke in der Zeit des Nationalsozialismus wieder geworden.. Der andere hatte zu Lebzeiten ebenfalls Erfolg, wurde u.a. von Robert Schumann gewürdigt und später völlig vergessen.

Am vergangenen Samstag wurden im Konzerthaus Dortmund von beiden je ein grosses Werk für Solisten, Chor oder sogar mehrere Chöre und Orchester aufgeführt. Vielleicht kann der Vergleich Gründe für den unterschiedlich Nachruhm andeuten.

Goethe schrieb eine Ballade mit dem Titel „Die erste Walpurgisnacht“ über eine kultische Frühlingsfeier von Heiden (Druiden?), die damit dem bereits übermächtigen Christenglauben trotzen. Diese hatte er zum Komponieren für Carl Friedrich Zelter bestimmt, der schaffte es nicht, wohl aber Felix Mendelssohn und das ganz großartig, wie die Aufführung in Dortmund wieder bewies.

Bereits den ersten Teil der Ouvertüre „das schlechte Wetter“ spielten die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz furios mit starken Akzenten und stürmischen Läufen der Streicher, wie sie Wagner später im „Fliegenden Holländer“ nachempfunden hat. Ganz wunderbar romantisch klangen die beiden Hörner beim „Übergang zum Frühling“ Hier wie später auch in den Zwischenspielen konnten die Holzbläser irrlichternd ihre Virtuosität beweisen.

In den Solo-Gesangspartien glänzte Roman Payer mit hellem Tenor bis zum hohen a als „Druide“.und dann als ängstlicher fliehender christlicher Priester. Textverständlich und mit warmen tiefen Alt warnte Natascha Valentin vor den vermeintlichen Verbrechen der „strengen Überwinder“, also der Christen. Ebenfalls sehr textverständlich mit mächtigem Bass sang Luke Stoker den „Wächter der Druiden“ Für den Priester der „Druiden“ hatte Gerardo Garciacano die passenden auch langen Bariton – Töne parat.

Als Chöre sangen der Kammerchor der TU Dortmund einstudiert von Ulrich Lindtner und der Klangfarben-Konzertchor Dortmund einstudiert von Johannes Knecht. Wenn fast einstimmig gesungen, klangen die Chöre mächtig und hymnisch besonders zum Schluß zur Verehrung „Allvaters“. Ganz vielstimmig waren Höhepunkte der Chor der Wächter der Druiden mit höhnischem Spott „Kommt mit Zacken und mit Gabeln“ begleitet von wildem Schlagzeug und Piccoloflöten im Orchester und der ängstliche Chor der „christlichen Wächter“ pp dann crescendo ansteigend„Ach es kommt die ganze Hölle“ begleitet von chromatisch aufsteigenden Triolen im Orchester, alles exakt und mit Körpereinsatz geleitet von GMD Gabriel Feltz.

Nach der Pause begrüßte das Publikum mit Applaus die auftretenden Chöre und der Applaus mußte lange andauern, bis 320 Sänger auf der Empore und hinter dem jetzt auf der ganzen Breite des Podiums aufgestellten Orchester ihre Plätze eingenommen hatten. Holzbläser sassen ganz links, Blechbläser ganz rechts und Pauken sowohl rechts als auch links Dies alles, um nach über 150 Jahren erstmals wieder von Daniel Friedrich Eduard Wilsing die Vertonung von Teilen des Psalms „De profundis clamavi ad te“ (Aus der Tiefe rufe ich Herr zu Dir) aufzuführen. (in der Vulgata der 129. bei Luther der 130.Psalm) Zu den bereits genannten Chören traten hinzu der Philharmonische Chor des Dortmunder Musikvereins unter Leitung des langjährigen Direktors des Dortmunder Müller, der Dortmunder Oratorienchor einstudiert von Heiko Waldhans und aus der nächsten Opernchors Granville Walker, der Dortmunder Bachchor in der Einstudierung von Klaus Eldert Nachbarschaft der Bach-Chor-Hagen einstudiert von Johannes Krutmann. Diese Chöre zusammen bildeten die von Wilsing geforderten vier getrennten Chöre. Sie standen aber nicht getrennt, sodaß für den Zuhörer ein einziger riesiger Chor sang mit bis zu 16 Stimmen, da alle Chöre vierstimmig geschrieben waren. Für die Vergangenheit erinnerte das an Palestrina und J. S. Bach, später schrieb Gustav Mahler ähnlich vielstimmige Chöre von grösserem Orchester begleitet. Mit Bach verglich auch Robert Schumann in seinem lobenden Brief das Werk von Wilsing. Das lag auch nah, da Wilsing aus einer evangelischen Kantorenfamilie stammte – trotzdem vertonte der den Psalm auf Latein – Es sollte wohl eine Wiederbelebung früherer Kompositionstechniken mit den stimmlichen und orchestralen Mitteln der Zeit angestrebt werden. So gab es fugierte Teile, gab es riesige Steigerungen von p einzelner Stimmen einzelner Chöre bis zum ff aller Chöre, etwa bei „Exaudi me“ oder„Speravit anima mea“ (Meine Seele hofft auf Dich) Aus der Masse der Chöre traten zwei Solisten heraus, hier von Sängern des Opernhauses gesungen. Mit leuchtendem Sopran sang Ashley Thouret bei „Speravi in te“ ein längeres Solo, wiederum war Gerardo Garciacano für das Bariton-Solo zuständig. Die Orchestrierung Wilsings entsprach den Erwartungen an eine Komposition aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, wohl nicht ganz so abwechslungsreich und aufregend wie bei Mendelssohn. Es erklangen auch Zwischenspiele für das Orchester, etwa vor „Et me salvabis“ (Du wirst mich retten). Das Werk endete auch nicht mit dem von allen Chören ff gesungenen „Amen“ sondern mit zwei Akkorden des Orchesters. Ganz bewundernswert war, wie es den gut einstudierten Sängerinnen und Sängern und dem Orchester dank der exakten Zeichengebung von Gabriel Feltz gelang, das gewaltige Werk aufzuführen ohne daß beim erstmaligen Hören Fehler oder Ungenauigkeiten festzustellen waren. Da bedauert man, daß dieser riesige Aufwand für nur eine einzige Aufführung betrieben wurde.

Finanziell ermöglichte dies die Dortmunder Reinoldi-Gilde, eine Vereinigung von Dortmunder Bürgern, die sich dem Wohl ihrer Heimatstadt auch finanziell verpflichtet fühlt. Aber diesen mußte eine solche Aufführung erst als förderungswürdig dargestellt werden. Dafür wurde zu Recht gelobt Thomas Rink , selbst ausübender Musiker, neben vielen anderen Aufgaben als Kulturmanager für Dortmunds Theater und Orchester tätig.

Das Publikum im ausverkauften Konzerthaus spendete allen reichlich verdienten langen Applaus auch stehend, für diese grossen Einsatz aller Beteiligten.

Sigi Brockmann 12. Juni 2016

Fotos Anneliese Schürer