Premiere am 25.5.2019
Es wurde der Abend des Christian Thielemann mit dem Wiener Staatsopernorchester! Die orchestrale und weitestgehend auch vokale Seite dieser Neuinszenierung des Meisterwerks von Richard Strauss zum 100. Geburtstag der „FroSch“ und gleichzeitig dem 150. Geburtstag der Wiener Staatsoper waren and diesem Abend oft „zum Niederknien“, wie es so schön auf Wienerisch heißt. Thielemann, ohnehin als kompetenter Strauss-Interpret bekannt, brachte nicht nur alle Facetten der streckenweise so komplexen Partitur des Garmischer Meisters – mit der wohl ultimativen Orchestrierung vor dem Beginn der Atonalität – zum Klingen. Er vermochte mit seiner ebenso exakten wie ausdrucksstarken Gestik und Mimik auch die Musiker des riesigen Orchesters zum Ausloten all ihrer Facetten zu motivieren. Wenn man das beobachten konnte, und es war aus der 9er-Loge im 2. Rang recht gut möglich, ergab das nochmal einen ganz besonderen Eindruck davon, mit welcher Intensität und Detailverliebtheit, im besten Sinne des Wortes, Strauss eindrucksvoll zu musizieren ist. Natürlich, und das sollte man vielleicht auch sagen, seine Musik ist einfach unglaublich gut!
Es macht eigentlich kaum Sinn, einzelne Instrumentengruppen hervorzuheben. Die Streicher lieferten einen satten, bisweilen flirrenden und dennoch immer wieder auch filigranen Klangteppich. Sie konnten sich trotz der in dieser Partitur so starken Blechbläser in engster Kommunion gegen diese behaupten, ja mit ihnen ein oft leuchtendes Klangamalgam bilden. Herrlich intonierten zu den vier Hörnern die Wagner-Tuben, und auch das Holz hatte einen außergewöhnlichen Abend. Dann die diversen Soli, so insbesondere jenes des 1. Cellisten und später das zärtlich schöne Geigensolo des Konzertmeisters zur Prüfung der Kaiserin. Es waren jeweils kleine Geschichten vor dem großen musikalischen Ganzen, welches diese Neuinszenierung den ganzen langen Abend beherrschte.
Natürlich stand zu einer solch prominenten Neuinszenierung auch ein ebenso prominentes Sängerensemble zur Verfügung. Strauss meinte es ja mit den Tenören nicht besonders gut. Umso besser, dass die Staatsoper einmal mehr den immer noch weltbesten Siegfried und Tristan sowie auch Kaiser der nun vergangenen Carsen-Inszenierung, Stephen Gould, für diese leider allzu kurze Rolle gewinnen konnte. Er ließ seinen kräftigen und top-höhensicheren Heldentenor erklingen und machte in einem pfauenbesetzten, herrschaftlichen Kostüm (ansonsten nicht unbedingt sehr einfallsreich: Clémence Pernoud) mit ruhig-konzentrierten Bewegungen eine kaiserliche Figur. Camilla Nylund verkörperte mit feiner Gesangskultur eine großartige Kaiserin, die ersten tückischen Höhen gut meisternd und im weiteren Verlauf durchaus auch mit einer begrenzten vokalen Dramatik auftrumpfend, bei stets guter Wortdeutlichkeit. Man kann die Rolle, wenn man vom Dirigenten entsprechend geführt wird, durchaus auch lyrisch singen, zumal damit der stimmliche Abstand zur Amme und Frau gewahrt wäre. Marion Ammann hat das vor einigen Jahren in Graz bewiesen. Darstellerisch verlieh Nylund der Vielschichtigkeit der durch eine emotionale Transformation gehenden Tochter Kaikobads nachhaltig Ausdruck.
Schauspielerisch den stärksten Eindruck machte die Amme von Evelyn Herlitzius. Wie man schon bei ihrer Elektra in Aix-en-Provence sehen konnte, liegen ihr nun diese Charakterrollen immer mehr, wobei Herlitzius‘ Art zu singen mit ihrer exzessiven und auch physisch intensiven Schauspielkunst zu einem starken holistischen Eindruck verschmilzt, auch wenn eben nicht ständig Schönklang geboten wird. Der ist aber ohnehin bei diesen Charakter-Rollen nicht die Hauptsache. Dafür hatte sie ja auch die Nylund neben sich. Sebastian Holecek sang einen klangvoll kräftigen und rollenerfordernd autoritär bestimmenden Geisterboten. Schade, dass er beim ersten Auftritt ebenso wie die Amme zunächst kaum zu sehen war, weil sie kein Licht bekamen. Auch im weiteren Verlauf war die Lichtregie von Bertrand Couderc eher enttäuschend. Maria Nazarova ließ als Hüter(in) der Schwelle und Stimme des Falken ihren glockenreinen Sopran hören.
Wolfgang Koch gab den Färber. Wenn man Franz Grundheber und Falk Struckmann in dieser Rolle erlebt hat, ganz zu schweigen von Walter Berry, dann vermisste man doch einiges an Engagement. Strauss verlangt für den Färber im Übrigen einen Bassbariton. Bei Koch konnte man hören, dass dies seine Gründe gehabt haben muss. Die bewährte Nina Stemme zeigte – wie von ihr gewohnt – eine darstellerisch intensive Frau (des Färbers) und konnte auch mit ihrem dramatischen Sopran stimmlich die nötigen Akzente setzen, wenngleich sie doch immer wieder obere Grenzen streifte es und auch an Wortdeutlichkeit missen ließ. Samuel Hasselhorn, Ryan Speedo Green und Thomas Ebenstein gaben stimmlich überzeugend den Einäugigen, Einarmigen und Buckligen. Auch alle weiteren Nebenrollen waren tadellos besetzt. Der Chor und die Opernschule der Wiener Staatsoper sangen auf dem gewohnt hohen Niveau. Alle Sängerinnen und Sänger, außer Wolfgang Koch, Ileana Tonca und Zoryana Kushpler gaben ihr Rollendebut an der Wiener Staatsoper.
Weniger tadellos war die Inszenierung, wenn man sie überhaupt so nennen will. Eigentlich war die Robert-Carsen-Produktion noch gar nicht so alt, dass man sie unbedingt hätte ersetzen müssen. Vielleicht spielte da der Termin eine Rolle. Sie war auch allzu lange nicht mehr auf dem Spielplan. Ich fand sie sogar recht gut, einmal abgesehen von dem entbehrlichen Sigmund-Freud-Getue der Betreuung psychisch Kranker. Das hat ja leider mittlerweile auf der Bühne Schule gemacht, gerade auch in Wien… Aber Robert Carsen wusste die großen Möglichkeiten der Wiener Staatsoperntechnik intelligent und geschickt zu nutzen. Immer wieder gab es bestechende und dramaturgisch nachvollziehbare Verwandlungen nach oben oder bis tief unten in den Keller. Nie vergessen werde ich, wie sich die Wände beim Ruf der Wächter langsam hoben und mit Flammen junge Paare freigaben, die ganz das symbolisierten, was besungen wurde. Ein unglaublicher Moment!
Der junge und wohl als Regisseur – wenn man den Lebenslauf liest – in großer Oper noch nicht sehr erfahrene Vincent Huguet, zunächst Kunsthistoriker und Verleger, nutzt bis auf eine Ausnahme diese Technik nicht, ähnlich wie Sven-Eric Bechtolf mit seinem „Ring“ (bis auf das Finale der „Götterdämmerung“, das deswegen auch prompt gut wurde). Bei Huguet und seiner Bühnenbildnerin Aurélie Maestre ist es das Hochkommen des versteinernden Kaisers auf seinem dunklen Thron in der Bühnenmitte, das sofort eine spannende neue Situation bewirkt. Wenn man dann aber einen Techniker sieht, der bei der Versenkung das oberste Stück händisch wegnehmen muss und das ganze Ding zur Seite zieht, geht einiges vom guten Effekt verloren. Im Prinzip lässt Huguet, beraten von seinem Dramaturgen Louis Geisler, bis auf das romantisch wirkende Falknerhaus im 1. Bild in einem Einheitsbühnenbild spielen, das nur im Vordergrund spieltechnisch marginal variiert wird. Man könnte die „Freie Gegend auf Bergeshöhen“ in Wagners „Rheingold“ kaum besser darstellen als das graue Gebirge, das wir bei Huguet und Maestre den ganzen Abend sehen müssen, ja sogar in der Färber“stube“. Es erinnerte mich an den Felsenaufbau von Tankred Dorst in Bayreuth 2006, dem darin aber ein interessantes Regiekonzept eingefallen war („Die Spur der Götter“), aber auch an „Die Toteninsel“ von Böcklin, die Patrice Chéreau 1976 in seinem Bayreuther „Jahrhundert-Ring“ als Walküren-Felsen zeigte. Und vielleicht fiel hier der Apfel ja gar nicht so weit vom Stamm: Huguet kam erst über Chéreau zum Theater und war sein Assistent bei der besagten „Elektra“-Produktion in Aix, die nach Chéreaus Tod noch an vielen Orten gezeigt wurde und die Huguet dann betreute. Chéreau zeichnete sich aber in einem oft aus tristen Mauern bestehenden Bühnenbild stets durch eine drama
turgisch gezielte und fein ausgearbeitete Personenregie aus.
Und die fehlte bei Huguet zumindest im den ersten beiden Akten nahezu vollständig. Er wollte in erster Linie ein Märchen erzählen, was die „FroSch“ ja auch ist. Und er wäre schon zufrieden, wenn dieses Märchen verstanden würde. Wenn man schon so ein Einheitsbühnenbild bringt, dann muss man darin aber spannendes Operntheater veranstalten, so wie es Harry Kupfer, Götz Friedrich oder kürzlich auch Romeo Castellucci und Krzysztof Warlikowski gezeigt haben. Insbesondere der 2. Akt mit seinen schnell wechselnden vier Bildern war in dieser Hinsicht der Tiefpunkt des Abends. Das zweite Erscheinen des nackten Jünglings und die Art seines Verschwindens waren einfach nur peinlich.
Auch die Verzauberung der Amme im Färberhaus war farb- und einfallslos. Der so wunderbare Gesang (und der Text von Hofmannsthal dazu) der Wächter der Stadt verpuffte viel zu schwach im Off, während sich Barak – man glaubt es kaum – ganz unmärchenhaft eine Zigarette ansteckte, sie aber auch gleich wieder ausmachte. Das kann man sicher in der ersten Reprise streichen, denn es passte wie die Faust aufs Auge. Warum kann man den Falken, wenn man schon ein Märchen erzählen will, nicht auch tatsächlich zeigen?! Das kann so effektvoll wirken, wie ich einmal erlebt habe. Der Tempel Salomons, der von Nebukadnezar II 576 v. Chr. zerstört wurde und de
n die Kaiserin in der entsprechenden Szene so betörend besingt, war etwas attraktiver als ein Spalt in einer Felswand. Ich war gerade in Jerusalem auf dem Tempelberg und habe die immer noch stehende äußere Westmauer des Tempels Salomons, heute die Klagemauer (Westwall), gesehen. Da hätte man doch ein im Sinne des Regisseurs „märchenhaftes“ hohes Portal sehen müssen, was der Tempel ja auch hatte. Carsen hatte es gezeigt.
Immerhin fiel dem Regisseur im 3. Akt noch etwas Interessantes ein. Zwar verwässerte sich die Prüfung von Barak und der Färbersfrau, weil sie von etlichen Statisten umzingelt waren. Auch war das regenartig vom Bühnenplafonds rieselnde und damit kaum sichtbare Wasser nicht sehr überzeugend als jenes, dass die Kaiserin verlockenderweise trinken soll. Aber dass wir im Gedanken der beiden Paare schon das jeweils erste Baby sehen und am Ende die sperrige Felswand endlich aufgeht und eine Schar von Kindern mit Kerzen nach vorn kommen lässt – das war dann wieder etwas versöhnlich.
Es ist den erfahrenen Protagonisten zu danken, dass sie dennoch etwas aus ihren Rollen machten. Aber mit einem erfahrenen Regisseur hätte es viel mehr sein können und auch müssen. Das Märchen, das kann man auch ganz anders machen, viel attraktiver, spannender und durchaus auch abstrakter, wie ich insbesondere in der Götz-Friedrich-Produktion in Hamburg 1977, der darauf folgenden in Hamburg und auch der von Andreas Homoki in Buenos Aires sowie in der phantastischen Kabuki-Inszenierung in München der 1980er Jahre unter Sawallisch sowie der darauf folgenden Produktion an der Bayerischen Staatsoper erleben durfte. Und das Publikum würde es dennoch verstehen! All das war weit besser als das hier, an der wohl wichtigsten Oper der Welt, wie wir nicht zu Unrecht an diesen Festtagen hörten. Überhaupt nicht kann ich verstehen, dass Vincent Huguet auch mit Luc Bondy und Peter Sellars gearbeitet hat. Insbesondere letzterer hätte diesem Inszenierungsstil in der Ästhetik der 1960-70er Jahre wohl kaum die Absolution erteilt. Diese Neuinszenierung von Wien hat die Rezension der „FroSch“ keinen Schritt weiter gebracht. Es ist wieder mal eine klassische Repertoire-Produktion, von denen Wien so viele hat. Andere große Häuser wagen da mehr…
Bilder: Michael Pöhn / Wiener Staatsoper
Klaus Billand, 26.5.2019