Masken beim Staatsballett Berlin
Nach einigen Gala-Abenden zeigte das Staatsballett am 28. 10. 2020 erstmals seit den Corona-Einschränkungen ein abendfüllendes Handlungsballett – Adolphe Adams Giselle in der Choreografie von Patrice Bart (nach Coralli und Perrot). Freilich war auch diese Aufführung den Infektionsschutzmaßnahmen angepasst, was beispielsweise eine Reduzierung der Wilis auf 12 Tänzerinnen bedeutete. Aber sie – wie auch die Bauernpaare im 1. Akt – wirkten auf der nicht allzu großen Bühne der Staatsoper keineswegs verloren: Der optische Eindruck war durchaus stimmig. Im 1. Akt trug die Jagdgesellschaft Masken – heute Alltagsnormalität, doch auf der Bühne ein irritierender Anblick. Dennoch war der Abend beglückend, nicht nur für das Publikum, sondern auch für die Tänzer, die sich mit sichtbarem Engagement einbrachten – aus Freude, endlich wieder eine Handlung tanzen zu dürfen.
Auch die hochrangige Besetzung trug zum Erfolg des Abends bei, angeführt von Daniil Simkin, dessen Albrecht zwar keine aristokratische Aura atmete, eher eine sympathisch schwärmerische Burschenhaftigkeit, der aber mit Aufsehen erregenden technischen Finessen aufwartete. Schon in seiner ersten Variation bestach er mit raffinierten Details, und sein Auftritt im 2. Akt war vollendet im Ausdruck und tänzerischen Finish – mirakulös seine hohen Sprünge und die traumverlorenen Hebungen. Simkin ist die Inkarnation des romantischen Jünglings. An seiner Seite war Iana Salenko eine im 1. Akt mädchenhaft schüchterne Giselle. Bravourös ihre Variation mit der Diagonale auf Spitze und effektvollen Pirouetten. Später im Waldbild sah man sie als ätherisch-fragiles Geschöpf von überirdischer Schwerelosigkeit mit fliehenden Arabesken.
Aurora Dickie gab eine hoheitsvolle Myrtha mit majestätischer Allüre, gediegen die beiden Solo-Wilis Yuka Matsumoto und Cécile Kaltenbach, viril und persönlichkeitsstark der Hilarion Vahe Martirosyan. Im 1. Akt fielen Aya Okumura und Alexander Bird als talentiertes Paar im Bauern-Pas-de-deux auf. Ido Arad am Pult der Staatskapelle Berlin überzeugte mit einer ungemein sensiblen musikalischen Deutung.
Bernd Hoppe, 30.10.2020