Vorstellung am 24. 2. 2019
Das Hamburger Publikum liebt seinen Ballettintendanten. Als er am 24. 2. 2019 bei der Benfizgala anlässlich seines 80. Geburtstages die Bühne des Opernhauses betritt, erheben sich die Zuschauer spontan und geschlossen von ihren Plätzen, um dem Jubilar standing ovations darzubringen und ein lautstarkes Happy Birthdayanzustimmen. Der reichlich vierstündige Abend mit vielen illustren Gästen war eine Gala der Extraklasse und das abwechslungsreiche Programm sicherte einen komplexen Querschnitt durch das künstlerische Schaffen des Choreografen. Ein überschäumendes Ensemble aus den Bernstein Dances zur Candide-Ouvertüre leitete die Gala schwungvoll ein. Von Beginn an dabei und durch das gesamte Programm geführt war Lloyd Riggins, Stellvertreter von John Neumeier und als sein Nachfolger gehandelt. Der Intendant moderierte diesmal in Englisch und als Einspielung vom Band. Broadway-Eleganz in Frack und Zylinder servierten Madoka Sugai und Alexandr Trusch nach Gershwins Shall We Dance?
Den Reigen der Gäste eröffnete Alina Cojocaru vom English National Ballet, die als Marie gemeinsam mit dem Hamburger Ersten Solisten Christopher Evans als Günther in einer Szene aus dem Nussknacker mit mädchenhafter Anmut bezauberte. Mit mythischen Gestalten hat sich Neumeier immer wieder beschäftigt. In einem mit Intermezzo betitelten Programmpunkt stellte er einige davon vor, beginnend mit Orpheus, den der italienische Tänzerstar Roberto Bolle mit erhabener Strenge interpretierte. Einen interessanten Vergleich ermöglichte ein Ausschnitt aus Glucks Tragédie opera Orphée et Eurydice, die Neumeier 2017 an der Lyric Opera of Chicago mit dem Joffrey Ballet herausgebracht hatte. Von dieser Compagnie kamen Temur Suluashvili und Victoria Jaiani als Gäste und sorgten in den Titelrollen für magische Momente. Delibes’ Sylvia hatte Neumeier 1997 beim Ballet de l’Opéra de Paris herausgebracht. Mit Manuel Legris, der die Partie des Schäfers Aminta in der Uraufführung kreiert hatte, war eine Ballettlegende nach Hamburg gekommen. Mit Leticia Pujol zeigte er den letzten Pas de deux des Werkes – eine schmerzliche Szene des Abschieds, die von der Schwierigkeit der Liebe zeugt.
Mehr als 150 Ballette hat Neumeier für das Hamburg Ballett geschaffen. Das erste entstand 1974 auf zwei Stücke aus den Kinderszenen von Schumann, damals live gespielt von Christoph Eschenbach. Der Pianist war auch bei der Gala zugegen und spielte „Von fremden Ländern und Menschen“ sowie die „Träumerei“ mit romantischer Empfindsamkeit. Mit starken Kontrasten endete der erste Teil, der Neumeiers Beschäftigung mit sakralen Werken dokumentierte und die Alt-Arie „Erbarme Dich“ aus Bachs Matthäuspassion mit dem Eingangschor „Jauchzet, frohlocket“ aus dem Weihnachtsoratorium kombinierte. Ersteres Stück formte Dario Franconi mit existentieller Wucht und überwältigender Verausgabung, das zweite hatte in Lucia Ríos eine Anführerin von unbändiger Kraft und Energie.
Ein Hauptwerk Neumeiers, Nijinsky, eröffnete den zweiten Teil mit Gästen vom National Ballet of Canada, Guillaume Coté als Vaslaw und Heather Ogden als Romola. Neben diesen starken Persönlichkeiten faszinierte einmal mehr Aleix Martínez als Stanislav. Für Alessandra Ferri choreografierte Neumeier 2015 Choreografische Phantasien über Eleonora Duse. Die Ausnahmetänzerin ließ es sich nicht nehmen, bei der Gala eine Schlüsselszene des Werkes, den Pas de deux mit dem charismatischen Karen Azatyan als Gabriele D’Annunzio, zu zeigen. Von jugendlichem Zauber und emotionalem Überschwang war die Balkonszene aus Romeo und Julia erfüllt, für die Andreas Kaas und Ida Praetorius vom Royal Danish Ballet viel Beifall erhielten. Jason Reilly als Otello und Alicia Amatriain als Desdemona vom Stuttgarter Ballett brachten das tragische Schicksal des Paares berührend nahe. Zwei Startänzerinnen vom Ballett des Bolschoi-Theaters sorgten gegen Ende des zweiten Teiles noch für spektakuläre Höhepunkte. Von mondäner Eleganz und hinreißender Aura Olga Smirnova als Anna Karenina in einem Pas de deux mit Artem Ovcharenko als Wronski, von fragiler Zerbrechlichkeit und ätherischer Magie Svetlana Zakharova als Marguerite Gautier mit Edvin Revazov im zweiten Pas de deux aus der Kameliendame.
Am Ende noch einmal das gesamte Ensemble, angeführt von Silvia Azzoni und Carsten Jung, mit einem Ausschnitt aus der Dritten Sinfonie von Mahler. Es ist ein hymnisches Finale, bei dem Neumeier sogar die Szene betritt. Staunend schaut er auf seine Tänzer, bleibt schließlich allein zurück und nimmt eine Nijinsky-Pose ein. Dann kommen alle Tänzer, Solisten, Gäste und Ballettmeister und überreichen ihm weiße Rosen. Es dürften mindestens 80 gewesen sein.
Bernd Hoppe 1.3.2019