Deutschlandpremiere am 22. April 2015
Standing Ovations
Ebenfalls aus Sydney stammt die Gruppe um den Choreografen Shaun Parker (früher lange Jahre Tänzer bei Australian Dance Theatre, Sydney Dance Company, Meredith Monk, Sasha Waltz und anderen), der seit 2010 seine Tänzer für jedes Projekt neu zusammenstellt. Für „Am I“, das im Januar 2014 in Sydney uraufgeführt wurde, sind es zwei Tänzer und fünf Tänzerinnen, darunter die international gefeierte indische Performerin Shantala Shivalingappa, die auch als Erzählerin fungiert. Parker nähert sich seinen Themen auf akribisch wissenschaftliche Art, bevor er sich mit Bewegung und Musik befasst. In diesem Stück geht es ihm darum aufzuzeigen, wie der Aufbau einer neuen Gesellschaft aussehen könnte, oder ob man immer wieder in die altgewohnten Muster der Zivilisation verfällt, ob man sich als Individuum durch Abstammung oder Überzeugung darstellt oder ob die Streitfragen um Glauben, Wissenschaft und Machtstreben sich immer wieder stellen. Das wird von der Erzählerin abschnittsweise teils hoch wissenschaftlich, teils ironisch gebrochen kommentiert, wenn z.B. als Antwort auf die Frage nach dem Überleben das Glauben an „Gott, über Allah, Jahve und viele andere Götter bis zu Zeus, Facebook und Twitter“ aufgezählt wird.
Zu Beginn der Choreografie standen vor allem auffällige Hand- und Armbewegungen – häufig zackig und eckig ausgeführt – weichen Ganzkörperbewegungen gegenüber. Die Hände mit gespreizten Fingern bildeten immer wieder neue Gruppierungen, fielen auseinander und fanden wieder zusammen. Äußerst beeindruckend war der akrobatisch anmutende Tanz mit Metallstangen in den Händen: Es wurde atemberaubend gewirbelt und verdreht, so dass immer neue Muster entstanden. Schließlich profilierte sich ein Anführer, der mit einem Fächer als eine Art Stammes-Zeichen ebenso elegante Figuren „malte“ wie – geschlossen – zuschlug; alles wirkte besonders ästhetisch. Im rasanten, kämpferischen Schlusstanz konnte die junge Gruppe noch einmal zeigen, was an Beweglichkeit, Exaktheit und Ausdruckskraft in ihr steckt.
Mit Nick Wales stand Parker ein Komponist und Bandleader zur Seite, der durch das verwendete Instrumentarium die Intentionen des Choreografen unterstrich: Da gab es u.a. neben Schlagwerk und Marimba speziell südindische Perkussion, ethnische Blasinstrumente, Baglama (eine Art Mini-Laute), Rebec (Vorläufer der Violine), Mundharmonika und Harmonium. Archaisch-indisch anmutende Gesänge, die einen durchaus beruhigenden Charakter hatten, wechselten mit modernem Beat, der bei den Gruppentänzen die Übereinstimmung vorgab. Das schlichte Bühnenbild mit bis auf wenige grelle Blitze sparsamem Lichtdesign (Damien Cooper, Shaun Parker) schuf eine besondere Stimmung; dazu passten die einfachen schwarzen Trikots (Anna Tregloan) sehr gut.
Das Publikum bedankte sich mit standing ovations bei den Tänzern und Musikern für einen sehr anregenden Tanztheater-Abend.
Marion Eckel, 23.04.2015
Fotos: Matthias Leitzke