Die 24. Saison der Bad Homburger Schlosskonzerte erhielt einen besonderen Moment durch den Auftritt des Waseda Symphony Orchestra aus Tokyo. Das renommierte Orchester gastierte bereits zum 14. Mal in Europa. Das Kurtheater in Bad Homburg sprang als Ausweichspielstätte ein, da die Schlosskirche wegen Renovierungsarbeiten nicht zur Verfügung stand. Gleichzeitig bot dies Gelegenheit, symphonisches Repertoire aufzuführen. Unter der Leitung von Kiyotaka Teraoka, einem Dirigenten mit einer beeindruckenden musikalischen Ausbildung und Erfahrung, präsentierte das gut 100-köpfige Orchester am 02. März 2024 ein Programm mit breiter Vielfalt. Das Waseda Symphony Orchestra, ansässig in Tokyo, ist eine renommierte musikalische Einrichtung. Gegründet im Geiste der musikalischen Leidenschaft und des akademischen Strebens, besteht das Orchester aus talentierten Studenten und professionellen Musikern, die sich der Aufführung von klassischer und zeitgenössischer Musik widmen. Unter der Leitung erfahrener Dirigenten bietet das Orchester ein vielfältiges Repertoire, das von Meisterwerken der Barock- und Romantikära bis hin zu zeitgenössischen Kompositionen reicht. Durch regelmäßige Konzerte, Tourneen und kulturelle Veranstaltungen trägt das Waseda Symphony Orchestra aktiv zur Förderung der Musik und des künstlerischen Austauschs in der Gemeinschaft bei. Mit seiner beeindruckenden Darbietung und seinem Engagement für Exzellenz bleibt das Waseda Symphony Orchestra eine bedeutende kulturelle Institution in der Musiklandschaft Tokios und darüber hinaus. Das Konzert begann mit Leonard Bernsteins mitreißender Ouvertüre zu „Candide“, einer lebhaften Eröffnung. Unter der fachkundigen Leitung von Kiyotaka Teraoka erwies sich das Waseda Symphony Orchestra als dynamisch und präzise, wobei jede Nuance der Musik gut zur Geltung kam. Die Energie und das Engagement des Orchesters waren von Anfang an spürbar und setzten den Ton für einen Abend voller musikalischer Kontraste. Danach gab es eine echte Rarität. Es erklang Maki Ishiis eigentümliches Werk „Mono-Prism“, das von sieben Solisten des Trommel-Ensembles „Eitetsu Fu-un no Kai“ mit einer beeindruckenden Virtuosität dargeboten wurde. Die sieben starken Trommler agierten mit höchster Synchronität und brachten mit ihren gewaltigen Trommelschlägen mehrfach die Akustik des Kurhauses in Bedrängnis. Die Zuhörer in den ersten Reihen des Parketts dürften sich noch lange an diesen akustischen Tsunami erinnern. Das Werk „Mono-Prism“ des japanischen Komponisten Maki Ishii ist eine faszinierende Mixtur von östlicher und westlicher Musiktradition, die sowohl klanglich als auch visuell beeindruckend ist.
Durch die Verwendung von dynamischen und kontrastreichen Elementen zieht Ishii die Zuhörer in eine fremde Ton-Welt. Die Komposition zeichnet sich durch ihre starke Dynamik und vielerlei Klangnuancen aus, die durch die Verwendung verschiedener Instrumente und Techniken erzielt werden. Insbesondere die rhythmischen Trommelschläge des Ensembles, angeführt vom renommierten japanischen Taiko-Künstler Eitetsu Hayashi, standen im Mittelpunkt und brachten eine unvergleichliche Energie und Kraft in das Stück. Die Kombination aus traditionellen japanischen Taiko-Trommeln und dem orchestralen Klang des Waseda Symphony Orchestra schuf eine exotische Klanglandschaft, die das Publikum in ihren Bann zog. Die dynamischen Sequenzen und äußerst kraftvollen Rhythmen zeugten von der meisterhaften Beherrschung der Instrumente durch die Solisten und verliehen dem Stück eine berstende Intensität und Lebendigkeit. Besonders faszinierend waren neben den eruptiven Momenten vor allem die leisen Stellen. Hier kam es zu ganz prägnanten Abschnitten, wie eine perfekt abgestimmte Echowirkung unter den Trommlern. Das Publikum zeigte sich begeistert und feierte den Vortrag frenetisch. Im zweiten Teil des Abends gelangte dann Gustav Mahlers erste Sinfonie zur Aufführung. Mahlers erste Sinfonie, auch bekannt als „Titan“, ist ein Meisterwerk der spätromantischen Sinfonik, das einen bedeutenden Meilenstein in der Entwicklung des Genres darstellt. Entstanden in den Jahren 1884-1888, spiegelt diese Sinfonie Mahlers einzigartige künstlerische Vision und seinen innovativen Umgang mit orchestraler Farbgebung und Ausdruck wider. Die Sinfonie wurde zunächst als Tondichtung mit dem Titel „Titan“ konzipiert, inspiriert vom gleichnamigen Roman des deutschen Schriftstellers Jean Paul. In der endgültigen Fassung strich Mahler den Titel und die programmatische Konnotation, doch die Einflüsse des Romantikers sind dennoch spürbar. Die Sinfonie ist eine Erkundung von Themen wie Natur, Menschheit, Schicksal und die Suche nach einem Sinn im Leben. Teraoka und das Waseda Symphony Orchestra nahmen die Zuhörer mit auf eine emotionale Reise durch dieses epische Werk, das sowohl kraftvoll als auch zart, dramatisch und lyrisch zugleich ist. Das Orchester präsentierte Mahlers Werk in einer Darbietung, die sich darauf konzentrierte, das Werk authentisch, ohne Zwischentöne, d.h. frei von Ironie und Groteske, wiederzugeben. Der erste Satz begann langsam und behutsam, wobei die Einleitung die passende Atmosphäre von Geheimnis und Ruhe schuf. Die „Naturlaute“ und fragmentarischen Motive wurden von den verschiedenen Instrumentengruppen des Orchesters nuanciert dargeboten. Als die Exposition einsetzte, wurde das Thema aus Mahlers Lied „Ging heut morgen übers Feld“ mit einer sanften Leichtigkeit von den Streichern vorgetragen. Die Durchführung zeigte die Kontraste zwischen langsamen und bewegten Passagen auf, wobei das Orchester mit Geschicklichkeit und einem feinen Gespür für Dynamik agierte. Die jubelnde Coda bildete schließlich einen triumphalen Abschluss dieses ersten Satzes. Der zweite Satz war besonders gelungen. Hier entfaltete das Orchester eine kraftvolle, dynamische Darbietung des derben Ländlers. Die markanten Motive wurden mit robuster Energie von den tiefen Streichern interpretiert, während das Trio von den Holzbläsern und Streichern mit einem warmen Charme und einer lebendigen Lyrik präsentiert wurde. Die Wiederholung des Ländlers am Ende des Satzes wurde sodann von einer größeren Orchestrierung begleitet, die dem Satz einen kraftvollen Abschluss verlieh. Sehr langsam begann der dritte Satz. Die Trauermarsch-Motive wurden mit einer düsteren Atmosphäre präsentiert, wobei die klezmerartigen Passagen leider wirkungslos erklangen.
Der lyrische Mittelteil wurde von den Streichern korrekt, aber ohne Zauber dargeboten. Teraoka gewährte keinerlei Rubato und blieb seinem Grundtempo treu. Der vierte Satz begann mit deutlicher Energie. Die emotional aufgeladenen Passagen brachten dann allerdings das Orchester, insbesondere die Blechbläser, auch an ihre Grenzen. Insgesamt bot das Waseda Symphony Orchestra unter der Leitung von Kiyotaka Teraoka eine solide Darbietung, wobei besonders die Holzbläser und Streicher positiv hervorstachen. Allerdings wurde der Gesamteindruck durch die unsichere Intonation der Hörner und der Trompeten getrübt, wobei den Blechbläsern insgesamt noch die erforderliche Ausdauer fehlte, um die orchestralen Ausbrüche souverän zu bewältigen. Das Schlagzeug agierte dazu überraschend defensiv, vornehmlich die Pauken blieben dynamisch schwach und ihre Artikulation schwammig. Dirigent Kiyotaka Teraoka konzentrierte sich hauptsächlich auf einen reibungslosen Ablauf, doch seine Interpretation der Sinfonie ließ etwas zu wünschen übrig, um sie zu einem mitreißenden Erlebnis zu machen. Trotz dieser kritischen Anmerkungen zeigte das junge Musikerensemble eine bemerkenswerte Konzentration und Ernsthaftigkeit. Doch dann kam eine besonders positive Überraschung mit der Zugabe: Der Dirigent wandte sich an das Publikum, während die Soloflötistin des Orchesters die Bühne betrat. Gemeinsam musizierten sie mit dem Orchester eine japanische Rhapsodie, die auf Kinderliedern basiert. Hier erlebte man das Orchester in einem ganz neuen Licht: Plötzlich zeigten die Trompeten Biss und Glanz, das gesamte Schlagzeugensemble spielte offensiv und energisch. Es war beeindruckend zu sehen und zu hören, wie leicht und souverän der Klangkörper mit der Musik seiner Heimat nun aufspielte, was zu großem Jubel führte.
Dirk Schauß, 4. März 2024
Besuchtes Konzert im Kurtheater Bad Homburg
am 02. März 2024
Ensemble „Eitetsu Fu-un no Kai“
Waseda Symphony Orchestra Tokyo
Kiyotaka Teraoka, Leitung