Bremen: „Wellen“, Elmar Lampson

© Jörg Landsberg

Der Roman Wellen von Eduard von Keyserling (1855-1918), den der Komponist Elmar Lampson zur Vorlage seiner gleichnamigen Oper nahm, erschien 1911 und zeichnet polyperspektivisch das Bild einer in Standeskonventionen gefangenen Gesellschaft. Julia Spinola hat ein Libretto erarbeitet, das den Roman auf neun Szenen verdichtet, bei denen oft nur wenige Sätze des Romans übernommen wurden. Die Texte werden meist gesungen, aber mitunter auch nur gesprochen. Wenn ein Roman zu einem Schauspiel oder zu einer Oper umgearbeitet wird, ist das meist nicht unproblematisch. Das zeigt sich auch hier, weil die Handlung ohne Kenntnis der Vorlage oft schwer nachzuvollziehen ist.

Die Geschichte zeichnet die scheinbare Idylle eines Badesommers an der Ostsee. Gräfin Doralice hat ihren Mann verlassen, um mit dem Maler Hans Grill durchzubrennen. Aber die neue Freiheit ist trügerisch. Zu groß sind die Gegensätze: Doralice sucht Freiheit und Weite, Hans eher ein strukturiertes, „bürgerliches“ Leben. Sie treffen auf die Adelsgesellschaft der Generalin von Paklinkow. Deren Enkelin Lolo wird von Doralice aus dem Meer gerettet. Sie küssen sich leidenschaftlich. Auch Lolos Verlobter Hilmar verfällt den Reizen Doralices. Nachdem die Generalin und ihre Familie abgereist sind, bleiben Hans und Doralice allein zurück. Hans fährt aufs Meer und stirbt dort. Der geheimnisvolle Dr. Knospelius kümmert sich um Doralice. Am Ende sind alle Beziehungen gescheitert und alle Träume und Sehnsüchte geplatzt. Nur das Meer bleibt „dunkel und schön“.

© Jörg Landsberg

In der Inszenierung von Philipp Rosendahl ist vom Meer allerdings nicht viel zu sehen. Nur der Bühnenboden ist mit Wasser bedeckt, sodass der Chor und die Solisten in Gummistiefeln laufen müssen. Das Bühnenbild von Daniel Roskamp und Paula Mierzowsky zeigt den etwas heruntergekommenen Salon eines Ostseebades, den Rosendahl als „abgesoffenen Salon“ bezeichnet. Seine Regie besticht durch eine sehr stilisierte, insgesamt gelungene Personenführung, bei der die Charaktere der Figuren, von grotesk bis geheimnisvoll, gut herausgearbeitet werden. Sehr differenzierte Lichtstimmungen gehören ebenfalls zu den Meriten der Inszenierung.

Wellen ist nach „Sand“ (1994) die zweite Oper von Elmar Lampson, der von 2004 bis 2022 Präsident der Hamburger Musikhochschule war. Er hat sieben Jahre an ihr gearbeitet. Die Musik besteht mit ihren Vor-, Zwischen- und Nachspielen zu einem sehr großen Teil aus reiner Orchestermusik. Fast könnte man das Werk als Sinfonie mit obligaten Gesangsstimmen bezeichnen. Es beginnt mit einer wild bewegten Einleitung, strahlt zwischendurch meditative Ruhe aus und hat auch Passagen von überirdischer Schönheit. Der allerdings zu lang ausgedehnte Schluss gehört dazu. Eindrucksvoll sind die Perkussionselemente aus den Seitenlogen. Man kann in der Musik Anklänge an Strawinsky, Janacek, Bartok oder sogar Richard Strauss finden, ohne dass sie epigonal wirkt. In vielen der gesungenen Szenen werden einzelne Textzeilen allerdings wie in einer Endlosschleife wiederholt. Das ist etwas ermüdend. Gleichwohl können Yoel Gamzou und die Bremer Philharmoniker mit teils scharfer, teils opulenter Klangentfaltung überzeugen.

© Jörg Landsberg

Das Ensemble wird von Nadine Lehner als Doralice mit gesanglich und darstellerisch starkem Ausdruck sowie von Elisa Birkenheier als Lolo mit traumwandlerischem Höhenglanz angeführt. Christoph Heinrich bleibt als Hans Grill da etwas blasser. In weiteren Partien sind u. a. Fabian Düberg als Hilmar, Ketevan Chuntishvili als Generalin, Nathalie Mittelbach als deren Bedienstete sowie Arvid Fagerfjäll als Dr. Knospelius zu hören. Ob sich das Werk durchsetzen wird, bleibt trotz des starken Beifalls bei der Uraufführung eine offene Frage.

Wolfgang Denker, 25. Mai 2025


Wellen
Oper von Elmar Lampson

Theater Bremen

Uraufführung am 24. Mai 2025

Inszenierung: Philipp Rosendahl
Musikalische Leitung: Yoel Gamzou
Bremer Philharmoniker

Weitere Vorstellungen: 27. Mai, 5., 7., 13., 15., 18. Juni 2025