.Die Ruhrtriennale neigt sich ihrem Ende zu. Intendant Ivo van Hove setzte in den ersten beiden Jahren seiner dreijährigen Regentschaft auf eine diverse, experimentierfreudige und weniger abgehobene Programmgestaltung als die meisten seiner Vorgänger. Das gelang ihm allerdings nur bedingt. Vor allem die großen Musiktheater-Projekte blieben in diesem Jahr qualitativ hinter den Erwartungen zurück, vor allem die mit großem Medienrummel begleitete, dennoch recht müde Frank-Sinatra-Kreation mit dem enttäuschenden Zugpferd Lars Eidinger.

Größere Homogenität erzielte man mit einigen Tanz- und Konzertangeboten. Zuletzt brachte die „Junge Triennale“ mit einem „Action-Painting-Feuerwerk“ gleich an vier Tagen die Spielfläche des PACT Zollvereins zum Glühen. „WASCO“ nennt sich das Projekt mit zehn Kindern im Alter von sieben bis 13 Jahren und dreimal soviel Farbeimern, das mit kindlich-anarchischer Vitalität und Kreativität das ohnehin hochkarätige Tanz-Angebot der Ruhrtriennale farbkräftig bereicherte.
Es ist schon faszinierend, wie die Kinder innerhalb einer Stunde aus dem anfänglichen Chaos am Ende ein Gemälde entstehen lassen, das einen Ehrenplatz in jeder Wohnstube verdiente, wenn es mit einer Größe von geschätzt 50 Quadratmetern nicht ein wenig zu groß geraten wäre. Und das gleich in fünf Aufführungen, ergänzt noch durch einen Familien-Workshop.
Am Anfang herrscht noch ein überschaubares Chaos. Die Kinder in blütenweißen Ganzkörper-Overalls betreten nach und nach die Bühne, stellen sich mit kleinen improvisierten Bewegungsstudien vor, beginnen ganz harmlos mit Wachsstiften auf kleinen Blättern zu malen, bevor eine regelrechte Farb-Orgie einsetzt. Ein mit zwei Farbeimern bewaffnetes Kind, beginnt, die Spielfläche und die Kinder mit Farbe zu bewerfen. Immer mehr Farbeimer tauchen auf, Bühne und Kinder werden immer bunter, die Kinder rutschen über die Spielfläche und gießen sich die Farbe über ihre Köpfe. Es bricht ein Chaos aus, das ungebändigte Lebensfreude ausstrahlt. Und so enthemmt und begeistert, wie es wohl nur Kinder ausleben und genießen können.
Allmählich haben sich die blütenweißen Overalls in kunterbunte Mini-Gemälde verwandelt. Und dann erstaunt das Ergebnis: Aus dem Boden erhebt sich ein abstraktes, pittoreskes Gemälde von einer so starken farblichen Intensität und von innerer Energie belebten Leuchtkraft, dass man es am liebsten mit nach Hause nehmen würde.
Die Choreografin Lisbeth Gruwez ließ den Kindern weitgehend freie Hand. Ein schönes Beispiel, wie sinnvoll es wäre, doch öfter den Ideen und Kräften der Kinder zu vertrauen. Und noch schwerer wiegt die Möglichkeit, mit solchen Aktionen das Selbstvertrauen der Kinder in ihre enormen Potentiale zu stärken. Und damit versetzte die „Junge Ruhrtriennale“ dem ohnehin hochwertigen Tanz-Angebot des Festivals ein außergewöhnlich innovatives und farbenprächtiges Schaumkrönchen.
Ernster ging es beim Auftritt des Chorwerks Ruhr zu, das in diesem Jahr auf sein 25-jähriges Bestehen zurückblicken darf und sich zu einem der besten Chöre Deutschlands entwickelt hat. Nicht zuletzt dank der Leitung von Florian Helgath, der die seit Beginn schon hoch angesetzte Qualitätsschraube des Ensembles immer weiter und höher drehte. Mit seinen durchdachten und originellen Programmen, die die gesamte Literatur von der Renaissance bis zur Avantgarde einschließen, sorgt das Chorwerk Ruhr alljährlich für besondere Höhepunkte der Ruhrtriennale.

Das war auch in diesem Jahr nicht anders, als es mit der Deutschen Erstaufführung der Kantate „before and after nature“ des amerikanischen Komponisten David Lang in der Gladbecker Maschinenhalle Zweckel beeindruckte.
Der Komponist brachte seine sechsköpfige Hausband „Bang on a Can All-Stars“ für sein einstündiges Werk mit, zu dem er die Texte selbst schrieb. Weniger aus Vertrauen in sein schriftstellerisches Talent, sondern aus dem Umstand, dass sich für seine Intention keine geeignete Vorlage fand. Lang geht von der Vorstellung aus, wie sich die Natur ohne Menschen entwickeln und präsentieren könnte. Tal Rosner steuert dazu Videoprojektionen realer, verfremdeter oder fiktionaler Bilder diverser, von Menschen unberührter Landschaftsformationen bei. Die Komposition selbst vermittelt einen durchweg harmonischen Eindruck von der menschenleeren Welt. Minimalistische Einflüsse sorgen für einen rhythmisch und klanglich recht klar strukturierten und nachvollziehbaren Ablauf. Der Chor grundiert das Klangbild überwiegend mit sanften Klängen, wirkt dabei allerdings oft wie ein Background-Chor..
Größere Vielfalt geht vom Instrumentalpart der mit Klarinette, E-Gitarre, Violoncello, Kontrabass, Klavier und allerlei Schlagwerk besetzten Band aus. Insgesamt präsentiert sich David Langs Komposition als relativ zahmes, fast idyllisches Stimmungsbild einer von Menschen befreiten Natur.

Glamouröser, aber auch weniger gehaltvoll fiel in der schmucklosen, aber akustisch hervorragenden Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks der Arien-Abend „High on Händel“ mit dem schillernd gewandeten und exaltiert agierenden Venezolaner Samuel Mariño aus, einem der wenigen echten männlichen Soprane. Dass er im Programmheft als „Sopranista“ vorgestellt wird, sollte man nicht überbewerten, auch wenn sich der 31-jährige als Fürsprecher sexueller Diversität versteht.
In glitzerndem Kostüm trug Mariño, begleitet von der historisch gut informierten „Capella Cracoviensis“, Klagegesänge dreier Frauenfiguren vor, die in der barocken Oper eine große Rolle spielen: Semele, die Göttin der Eintracht und Mutter des Dionysos, die langobardische Königin Rodelinda und die ägyptische Königin Cleopatra. Im Zentrum standen dabei Arien aus entsprechenden Opern von Georg Friedrich Händel. Affektbetonte Gesänge, die Samuel Mariño allerdings so aufgesetzt theatralisch vortrug, dass man den Eindruck gewinnen konnte, dass er Affekt mit Effekt verwechselte. Selbst die größten körperlichen Verrenkungen und Grimassen konnten nicht verhindern, dass der Reigen der Lamenti auf Dauer eintönig geriet. Und das trotz der hohen kompositorischen Qualität der Arien. Nur hat Händel diese großen Klage-Gesänge dramaturgisch geschickt eingesetzt und nicht als endlos-Serie.
Ärgerlich auch, dass sich die übertriebene Darstellung auf die gesanglichen Leistungen auswirkte. Und da blieben Minimalanforderungen an eine barocke Gesangskultur immer wieder auf der Strecke. Das helle Timbre des Sängers schlug in grelles Kreischen um. Das muss nicht sein.
Pedro Obiera 23. September 2025
Ruhrtriennale finale Konzerte
Tanztheater: Wasko
PACT Zollverein Essen
13.September 2025
Choreografie: Lisbeth Gruwetz
Konzert: David Lang
Before and after Nature
Chorwerk Ruhr
Maschinenhalle
17. September2025
Musikalische Leitung: Florian Helgath
High on Händel
Werke von Händel, Vivaldi und Pergolesi
Landschaftspark Nord
6. September 2025
Ensemble Cracoviensis