Dortmund: „Klangstreich“, Marc L. Vogler

Finn ist nur eine kleine Note, aber mit einem großen Traum. Im Reich der Wünsche und Imaginationen hat sie eine wunderschöne Melodie gehört, die sie nicht mehr loslässt. Eigentlich gehört sie in ein Geburtstagslied; da springt sie einfach raus. Das Lied hat jetzt ein Loch. Aber die kleine Note, Finn heißt sie, macht sich auf den Weg. Sie begibt sich auf die Suche nach ihrer eigenen, ihrer geträumten Melodie. Und dazu braucht sie Hilfe.

So beginnt „Klangstreich“, eine Oper für Menschen ab vier Jahren, geschaffen von einem 27 Jahre alten Komponisten, uraufgeführt als Auftragswerk der Jungen Oper Dortmund. Marc L. Vogler, letzter Schüler von Manfred Trojahn, hat das Libretto von Dany Handschuh – nach dem Kinderbuch „Klangstreich – eine Note tanzt aus der Reihe“ von Inge Brendler – zu einem knapp 40-minütigen Capriccio für drei Sänger verarbeitet. Keine Instrumente, keine Begleitung, nur drei Stimmen: Eine kreative Herausforderung, die überraschend lebendig und farbig gelungen ist.

© Björn Hickmann

Marc L. Vogler – nicht verwandt mit dem einst berühmten schwedischen Hofkapellmeister, Komponist und Musiktheoretiker Abbé Georg Joseph Vogler – hat bereits mit 17 in seiner Heimatstadt Gelsenkirchen als Pianist debütiert. Zwei Monate später, am 15. Januar 2016 kam seine erste Oper „Streichkonzert – Con brio ohne Kohle“ mit einem selbst verfassten Libretto auf die Bühne des Kleinen Hauses des Musiktheaters im Revier. Die Satire kam an; Vogler begann sein Studium bei dem ausgewiesenen Opernkomponisten Manfred Trojahn, gewann 2022 den Deutschen Musikwettbewerb und ist seither in allen musikalischen Genres gefragt und produktiv. In den Spielzeiten 2024/25 und 2025/26 ist Vogler Composer in Residence an der Oper Dortmund. Dort wurden bisher seine Opern „Marie Antoinette oder: Kuchen für alle“ und „Who cares?“ uraufgeführt.

Im Operntreff des Dortmunder Opernhauses, eine als variable Spielstätte genutzte ehemalige Cafeteria, lassen sich Kinder und ihre erwachsene Begleitung in einem kissengepolsterten Rund nieder. Anna Hörling hat die Bühne mit einfachen Requisiten für den mobilen Einsatz, etwa in Schulen, gestaltet: Als Schauplatz der Wanderung der Note Finn genügen ein mannshohes Metronom und ein Paravent mit abknickenden Notenlinien. Da stecken die drei Sänger ihre (Noten-)Köpfe durch und intonieren „Du hast heut‘ Geburtstag …“. Finn (Franz Schilling), schwarz-weiß mit Fliege und kurzer Pluderhose, macht sich auf den Weg: Eine Band probt, und Sängerin Wendy Krikken rockt mit der E-Gitarre, deren jaulende Glissandi und Tonpassagen von Cosima Büsing allein mit der Stimme nachgeahmt werden.

Weiter geht’s in ein Jazz-Café, wo ein – ebenso vokal imitiertes – Plüsch-Saxofon schmeichelt und ein Beatbox-Kontrabass den Rhythmus vorgibt. Aber die ersehnte Melodie bleibt aus: „Die wirst Du hier nicht finden“, bedeutet die Sängerin Antonia der kleinen Note. Wie Prinz Tamino in der „Zauberflöte“ geht Finn seinen Erkenntnisweg weiter, streift durch trocken auf Papier konservierte Musik und durch pseudo-bayerische Jodeljuchzer, bis sich endlich – schwebend, leuchtend, wunderschön – die gesuchte Melodie einstellt. Alle dürfen mitsingen; die Kinder im Publikum, vorher gebannt lauschend, überwinden endlich ihre Scheu vor fremdem Raum und unvertrauten Menschen, und machen mit.

Gerade die offene Neugier, das unverbrauchte Gehör und die unverbaute Auffassungsgabe von Kindern und Jugendlichen lässt sie vorbehaltloser als so manchen Klassik- oder Opern-Roué auf zeitgenössische Musik reagieren. Und Vogler macht alles andere als Kompromisse, um sein Werk „leichter“, „fasslicher“ oder „zugänglicher“ zu gestalten. Er unterscheidet nicht, ob er für die „große“ Oper schreibt oder ob seine primäre Zielgruppe Kinder oder Familien sind. „Die Verantwortung, der Anspruch ist immer derselbe“, sagt der Komponist. „Die Liebe zum Detail, die Begeisterung für die stilistische Vielfalt ist bei einem Kinderstück gleich – wenn nicht noch höher. Denn Kinder sind gnadenlos ehrlich. Wenn ich es schaffe, ein Kinderpublikum mit Musik zu begeistern, dann weiß ich, dass da Qualität drinsteckt.“

© Björn Hickmann

Mit „Klangstreich“ wird dieser Anspruch eingelöst – unter erschwerten Bedingungen. Mit nur drei Stimmen, ohne jede Instrumentalbegleitung, die Spannung zu halten und musikalische Abwechslung zu garantieren, fordert von den drei Protagonisten, in jedem Moment präsent und konzentriert zu sein. Dazu kommt die Nähe zum Publikum. Franz Schilling, Wendy Krikken und Cosima Büsing schlüpfen gekonnt in ihre unterschiedlichen Rollen und setzen die polyphone und polystilistische Musik Voglers mit fabelhafter Intonation um. Ob Beatbox oder Kantilene, Geräusch, Gesang oder raffiniert verpacktes „Carmen“-Zitat: Die Drei harmonieren im besten Sinn des Begriffs und entfalten so eine Geschichte, die nicht nur unterhaltsam durch musikalische Genres streift. Die kleine Note Finn, die alleine nur für einen kläglichen Ton steht, findet erst in der Harmonie zu sich selbst und zu ihrem Traum. Wer will, mag darin auch eine berührende humane Botschaft entdecken.

Werner Häußner 24. September 2025

Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Klangstreich
Marc L. Vogler
Dortmund, Opernhaus

14. September 2025 UA

Regie: Magdalena Schnitzler
Dirigat: Monotori Kobayashi
Dortmunder Philharmoniker