
Gestern ging ein Glanzabend in der Geschichte des MiR vor zu Recht begeistertem Publikum zu Ende. Ein letzter und verdienter Meilenstein in der erfolgreichen 18-Jährigen Geschichte von Intendant Michael Schulz. Das Musiktheater im Revier wurde seinem Namen mal wieder gerecht. Allerdings habe ich seit dem Rigoletto (2014) auch wirklich nichts Besseres gesehen. So ist auch mein Fazit für das Haus: Ich ging gut ein halbes Jahrhundert immer gerne hin. Nomen est omen. Hier wurde die Oper, das Musiktheater, wie man ja heute sagt, stets ernstgenommen. Alles hatte immer Qualität. So auch gestern: Das ist die Oper, für die wir alle gerne ins Theater gehen. Ein wunderbarer Abend. Der fliegende Holländer von Richard Wagner – eine Geistergeschichte mit integrierter Love Story (John Carpenters geniales Gruselkino The Fog lässt grüßen).
Alles herrlich zeitgemäß, zugleich werktreu modern – kein psychoanalytischer pseudo-intellektueller Firlefanz – und so unterhaltsam und spannend, wie ein guter Netflix-Film inszeniert (Grundidee: Gabriele Rech). So kann man junge Menschen für Oper begeistern! Nicht mit wokem Genderschwachsinn oder vermeintlichen sektenmäßigen grünen Welt-Erziehungsaufträgen – wie heute diverse Theater glauben. Das Nachbarhaus, welches gerade aus diesem Grund untergeht aus, lässt grüßen.

Regisseur Igor Pison hat es einfach drauf. Ein Profi, der seinen Beruf richtig erlernt hat und beherrscht, wie heute sonst kaum ein Regisseur und der die Menschen begeistern und nicht vertreiben will. Dann entsteht halt eine so hinreißende Story, eine 5-Sterne-Produktion, der wir auch noch unseren begehrten OPERFREUND STERN verleihen werden. Schöner kann man eine Wagner-Oper nicht inszenieren. Wobei Senta – Danke, denn sie ist immer der rote Faden jeder Holländer-Inszenierung – ganz herrlich (wie in der großartigen Krefelder Inszenierung) als trotziges Kleinkind (wunderbar Selma Albrecht!) im Wandel zu einer Art erwachsener Pippi Langstrumpf als Basis der Geschichte gezeigt wird. Das stellt die hinreißende Susanne Serfling, die auch stimmlich in der schweren Partie glänzend reüssierte, bravourös dar. Sie erntete auch am Schluss zurecht die meisten Bravi.
Auch die Männer waren perfekt besetzt. Angefangen bei der kleinen, aber hoch schwierigen und undankbaren Partie des Steuermann AdamTemple-Smith, über Tobias Schabel als Geld-regiert-die-Welt – also zeitgemäßer – Daland, einem stimmgewaltigen Martin Hornisch (Erik) bis zu Benedict Nelson, einem fast belkantisch singenden Holländer. Selten habe ich den Monolog so sprachlich textverständlich und zugleich darstellerisch überzeugend gehört. Eine tolle in jeder Phase überzeugende Besetzung. Daher gab es großen Jubel schon zum Pausenvorhang nach 110 Minuten.

Alexander Eberle, den ich seit Jahrzehnten (schon zu seiner großen Zeit am Aalto) für den besten Chorleiter Deutschlands halte, hat die Damen und Herren des Opernchores wie gewohnt auf Spitzenniveau gebracht; besser ist der Bayreuther Chor auch nicht. Und das Tolle: Sie singen nicht nur perfekt, schön und textverständlich (Übertitel überflüssig!), sondern sind auch darstellerisch (lange vergangene Hilsdorf-Schulung) bravourös. Man sieht jedem einzelnen an, daß Musiktheater doch großen Spaß machen kann. Nicola Reicherts Kostüme sind nicht nur trefflich geschneidert, sondern auch in ihrer genial einfachen Vielfältigkeit großartig.
Absolute Krönung sind allerdings die Oscar-reifen 4K-Pojektionen von Gregor Eisenmann. Wenn sich bei der Ouvertüre, die man ja eigentlich nicht bebildern muss, da sie ja schon Filmmusik-Charakter hat, aus quasi unterirdischem, toll abstrahiertem, wie zähe Lava sich dahin wälzenden Höllenfeuer das feuerrote Holländerschiff – was man nicht besser zeichnen kann! – aus einem quasi glühenden Klumpen entwickelt, ist das wirklich phänomenal und passt auch zu den Noten. Mit diesen phantastischen Projektionen hatte man das Gelsenkirchner Publikum sofort gepackt. Wir tauchten ein in die Fantasy-Welt des Holländer-Mythos. Die Zuschauer, auch der Rezensent, saßen mit staunenden Augen und fast offenem Mund atemlos vor diesem regelrechten Vulkanausbruch.

Später flogen wir über ein fast dreidimensional wellenbewegtes Meer, so dicht, daß einem bange werden konnte. Bravo, Bravissimo. So setzt man Foto-Film-Technik heute ein. Dabei darf die gelungene Lichtregie – immer wichtigster Bestandteil einer guten Inszenierung – von Patrick Fuchs nicht vergessen werden. Auch Nicola Reichert – verantwortlich auch für die Bühne – muss nochmal erwähnt werden. So setzt man Bühnenmechanik ein.
Last but not least die orchestrale Seite. Rasmus Baumann hatte seine Neue Philharmonie-Westfalen bestens disponiert vorbereitet. Keine quälende Wagnerschwere, die Tempi forciert und partiturgerecht, und das Blech erstrahlte, ohne alles zuzudecken, in goldenem, lebendigem Glanze. Kein Thielemann-Tiefschlaf kam auf. So muß/sollte man Wagner heute dirigieren!
Was für ein toller und begnadeter Abend!
Ja, liebe Opernfreunde, es ist kaum zu glauben, aber es gibt sie noch DIE SCHÖNE OPERNPRODUKTION – natürlich an einem ehrlichen mittleren Theater, wo Kontinuität in Form von Nichtschaumschlägerei und liebevolle Inszenierungs- und Präsentierungskunst lebt und man seine Zuschauer nicht vertreibt, sondern begeistert. Auch die längste Anfahrt wird sich lohnen. Schön, wenn eine Intendanten-Ära so zu Ende geht.
Peter Bilsing, 28. September 2025
Der fliegende Holländer
Richard Wagner
Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen
Besuchte Premiere am 27. September 2025
Inszenierung: Igor Pison
nach einer Grundidee von Gabriele Rech
Dirigat: Rasmus Baumann
Neue Philharmonie Westfalen