Seit rund einem Vierteljahrhundert ist Wagners Fliegender Holländer nicht mehr in Gelsenkirchen von Anker gegangen und nun kehrt er als bildgewaltiger und musikalisch erstklassiger Kraftakt zurück.

Die Regie von Igor Pison bleibt nahe am Werk und baut auf die bereits in der Kindheit von Senta verankerte Faszination für den untoten Seemann auf. Immer wieder sehen wir die kindliche Senta mit einer jungen Frau Mary und dem Buch mit der Legende, in dem eifrig geblättert wird. Die Dopplung Sentas erzeugt so durchaus spannende, surreale Momente, die – und das ist sicherlich einer der ganz starken Aspekte des Abends – mit den sich überlagernden, verschwimmenden und verfremdenden Videoprojektionen (Gregor Eisenmann) noch verstärkt werden. Es entsteht ein nicht immer zu greifendes Spiel zwischen Gedankenwelt und Realität, zwischen Sehnen und Sein. Dabei liegt der Fokus des Abends klar auf der von Susanne Serfling umwerfend gesungen und gespielten Senta. Diese Senta ist nicht das verschüchterte Mädchen in der rauen Männerwelt, sie hat Power, lebt ihre Faszination für den Holländer und entscheidet sich bewusst in ihrem düsteren Sinnen für den Weg, den sie geht. Nicht zufällig mag die Assoziation einer Wednesday Addams entstehen, die durch Zöpfe und schwarzes Kostüm unterstrichen wird. Aufbauend auf eine Grundidee von Gabriele Rech, die die Produktion aus gesundheitlichen Gründen nicht inszenieren konnte, hat Nicola Reichert einen Raum geschaffen, der mit maritimen Elementen mal die Kojen der Matrosen bebildert, mal Dalands Haus, und dann wieder die Seelenwelt Sentas erzählt. Das ist dem Werk dienlich, und die Regie nutzt diese Wandlungsfähigkeit auch bestens. Die Personenführung der Solisten ist konsequent an der Handlung ausgerichtet und gibt den Akteuren viel Raum, sich auf die musikalische Seite ihrer Figuren zu konzentrieren, dies auch gerne mal direkt an der Rampe. Die großen Szenen des Chores geraten aber dann doch hin und wieder etwas statisch und büßen an Spannung ein.

Die musikalische Seite ist hingegen mehr als beachtlich. Allen voran wird am Ende des Abends Susanne Serfling für ihre Senta mit Brave überschüttet. Energiegeladen, selbstbewusst und fast schon bockig ist ihre Figur im Spiel, gesanglich überzeugt sie in allen Facetten, trumpft ohne hörbare Anstrengung dramatisch auf und berührt mit zartesten Piani nicht minder. Benedict Nelson als Holländer zeigt sich zu Beginn des Abends etwas zurückhaltend, setzt eher auf stimmliche Feinheit denn auf Kraft. Das führt ihn gerade in Momenten eines groß aufspielenden Orchesters manchmal an den Rand guter Hörbarkeit. Im weiteren Verlauf des Abends vermag er aber durchaus mehr Energie zu verströmen und singt einen Holländer, der gerade durch ein weiches und wohlklingendes Timbre zu überzeugen vermag. Als Gast kommt Tobias Schabel nach Gelsenkirchen und setzt mit seiner Leistung ein weiteres Ausrufezeichen. Textverständlichkeit, Spiel und eine fast furchteinflößende Düsternis in der Stimme machen ihn als Daland zu einer idealen Besetzung. Martin Homrich ist als Erik eine nicht minder perfekte Wahl. Mit strahlendem Tenor meistert er die nicht zu unterschätzenden Tücken dieser Partie, ist in den Höhen absolut sicher, im lyrischen von Klangschönheit getragen. Mit Adam Temple-Smith ist der Steuermann in allen Belangen vortrefflich besetzt und auch Almuth Herbst als Mary fügt diese kleine Partie in ein bemerkenswertes Solistenensemble ein. Besonderen Applaus erhält am Premierenabend auch der Chor, der eine hervorragende Leistung zeigt. Bereits in Billy Budd konnte man sehen, dass sich das Gelsenkirchener Opernhaus nicht scheuen muss, Werke mit immensem Chorpart anzugehen. So auch hier: Der Chor klingt exzellent homogen, zeigt hohe Textverständlichkeit und liefert satten Wagner-Sound.

Am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen dirigiert Rasmus Baumann einen frischen und leichten Holländer. Kein Dröhnen, kein Schmettern, dafür aber viele fein gearbeitete Momente, die in intimen Momenten, in Spielszenen und großen Tableaus gleichermaßen von hoher musikalischer Qualität zeugen. Die Tempi sind eher zügig gewählt, und so entsteht keine unnötige Schwere. Minimale Wackler im Blech bleiben bei einem ansonsten hervorragend nuancierten Gesamtbild verzeihlich.
Am Ende des Abends hält es das Publikum in Gelsenkirchen nicht auf den Plätzen und das Musiktheater im Revier darf zurecht stolz auf diesen sehr guten Opernabend sein.
Sebastian Jacobs, 29. September 2025
Der fliegende Holländer
Richard Wagner
Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen
Besuchte Premiere am 27. September 2025
Inszenierung: Igor Pison
nach einer Grundidee von Gabriele Rech
Dirigat: Rasmus Baumann
Neue Philharmonie Westfalen