
Zum 34. Mal öffnete das Kloster Knechtsteden die Pforten seiner mächtigen Basilika für das „Festival Alte Musik Knechtsteden“. 1992 von Hermann Max gegründet, gehört es zu den erfolgreichsten und hochwertigsten Festen für Alte Musik in Nordrhein-Westfalen. Einem Land, das in dieser Sache mit diversen Angeboten in Köln und Herne besonders gut aufgestellt ist. Zum zweiten Mal hielten Michael Rathmann und als künstlerische Leiterin Dorothee Oberlinger die Fäden in der Hand und konnten mit acht ausverkauften Konzerten und diversen Zusatzveranstaltungen die Erfolgsserie fortsetzen.
Hermann Max leistete mit der in Dormagen bei Köln angesiedelten „Rheinischen Kantorei“ und dem von ihm gegründeten Instrumentalensemble „Das kleine Konzert“ Pionierarbeit mit unzähligen Entdeckungen und Erstaufführungen barocker Musiken, wobei er „historisch informierte“ Aufführungspraktiken stets lebendig und sachkundig anwandte. Die renommierte Blockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger hält dem deutlich verjüngten Chor der „Rheinischen Kantorei“ die Treue, stützt sich orchestral aber auf ihr eigenes „Ensemble 1700“ und das ebenso versierte „Concerto Köln“. Klar, dass repräsentative Chorwerke eine besondere Zugkraft ausüben. Und so hinterließ das Schlusskonzert mit gewichtigen Chorwerken von Georg Friedrich Händel und Alessandro Scarlatti besonders nachhaltige Eindrücke. Und zwar zum Motto des Festivals „Napoli!“, das die neben Venedig und Rom überragende Bedeutung Neapels in der Musik des Barocks zum Ausdruck bringen sollte.
Das von theatralischer Energie und gerade grenzenloser stilistischer Vielfalt geprägte „Dixit Dominus“ des 21-jährigen Händel und die von Hoffnungsstärke getragene „Messa di Santa Cecilia“ des reifen Scarlatti sind zwar in Rom entstanden, beide Komponisten waren Neapel aber eng verbunden. Der junge Händel holte sich in Neapel wichtige Impulse für sein Opernschaffen und dem in Palermo geborenen Alessandro Scarlatti, dem Vater des heute bekannteren Klaviervirtuosen Domenico Scarlatti, hat Neapel eine musikalische Blütezeit zu verdanken.
Was gestalterische Sorgfalt und mitreißende Vitalität angeht, steht der neue Leiter der „Rheinischen Kantorei“, Edzard Burchards, seinem Vorgänger in nichts nach. Auch nicht, was die Wahl exzellenter Gäste für die Solo-Partien angeht. Die Sopranistinnen Tabea Mitterbauer und Martha Matscheko, der Altus Jaro Kirchgessner, Tenor David Jakob Schläger und Bassist Richard Logiewa-Stojanovic integrierte Burchards in den schlank besetzten Chor, was zu einer ungewöhnlich ausgewogenen Homogenität der Gesangsteile führte. Mit gewohnter Perfektion vom „Concerto Köln“ unterstützt, das seinen immens anspruchsvollen und virtuosen Part souverän meisterte.
Am ebenso ambitionierten Eröffnungsabend musste man zwar auf den Chor verzichten, mit dem Oratorium „La Colpa Originale“ (Die Erbsünde) des gebürtigen Florentiners Francesco Conti stemmte Dorothee Oberlinger dafür mit ihrem „Ensemble 1700“ und einem erlesenen Solisten-Quintett eine „neuzeitliche Uraufführung“. Alice Lackner, die Leiterin des Festivals „Güldener Herbst“ im thüringischen Meinigen, entdeckte im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten das Meininger Manuskript des seit seiner Aufführung 1725 in Wien vergessenen Werks und bereitete es für ihr Festival vor. Vorher wurde es jetzt in Knechtsteden aus der Taufe gehoben. Mit Alice Lackner, die als Sopranistin zugleich die Rolle des Cherubins verkörperte, in einer halbszenischen Inszenierung von Nils Niemann, der die Apsis der romanischen Basilika mit einem mächtigen paradiesischen Baum schmückte.

In Rezitativen, vielen, formal etwas eintönigen, stilistisch aber wandlungsreichen da-capo-Arien und einigen Ensemblesätzen wird die Vertreibung aus dem Paradies nicht nur nacherzählt, sondern auch durch Gott, den Cherubin und Luzifer kommentiert. Handwerklich vorzüglich gearbeitet, wenn auch in der Endlos-Folge der da-capo-Arien etwas langatmig.
Zwei Tage später gab es unter dem Titel „Universo Alessandro Scarlatti“ ausschließlich Instrumental- und Vokalwerke Scarlattis zu hören. Wieder mit dem „Ensemble 1700“ unter Leitung von Dorothee Oberlinger, die jetzt auch ihre Künste als Blockflötistin demonstrierte, verstärkt durch den brasilianischen Sopranisten Bruno de Sá, der, nicht zu verwechseln mit einem Countertenor, tatsächlich mit seiner androgynen Stimme in höchste Sopranlagen gelangt. Und mühelos, seriös und nicht so affektiert wie sein venezolanischer Stimmfach-Kollege Samuel Mariño drei Wochen zuvor auf der Ruhrtriennale in Duisburg. Im Vergleich zu seinen wenigen Konkurrenten nimmt Bruno de Sá eine Spitzenposition ein.
Angesichts der ungebrochenen Beliebtheit und Qualität des Festivals, zu dem auch eine musikalische Radtour gehört, der sich 360 Musikfreunde anschlossen, sehen die Veranstalter der nächsten Auflage vom 19. bis 26. September 2026 mit großem Optimismus entgegen.
Pedro Obiera 30. September 2025
Francesco Conti
La Colpa Originale (Die Erbsünde)
Oratorium (neuzeitliche Uraufführung)
Klosterbasilika Knechtsteden
20.September2025
Leitung: Dorothee Oberlinger
Alessandro Svarlatti
Orchesterstücke und Arien
Klosterbasilika Knechtsteden
22. September 2025
Bruno de Sá, Sopranist
Leitung: Dorothee Oberlinger
Händel & Scarlatti in Rom
Geistliche Chorwerke
Klosterbasilika Knechtsteden
27. September2025
Leitung: Edzart Burchards
Rheinische Kantorei, Concerto Köln