Am schäbigen Rummelplatz
Lassen wir Begriffe wie Nation, Volk, Heimat, Tradition oder Folklore beiseite, die sind im heutigen Zeitgeist so gut wie verbrannt. Darum hat auch eine „Tschechische Nationaloper“ wie die „Verkaufte Braut“ von Friedrich Smetana (wie man früher sagte, heute ist es „Bedřich“) nicht die geringste Chance, in einer Neuinszenierung der Wiener Staatsoper in ihrer Welt verbleiben zu dürfen. Da muss man schon das böhmische Dorf mit einem gewaltig schäbigen Rummelplatz der Siebziger Jahre im Nirgendwo vertauschen und die helle Musik in ein dunkles, zwielichtiges Milieu einbetten, wo der Chor keine Menschen mehr sind, sondern meist lemurenhaft herumkriecht.
Man hat in Wien von dem deutschen Regisseur Dirk Schmeding in der Kammeroper Korngolds „Die stumme Serenade“ gesehen, was absolut kein Wurf war. Für die „Verkaufte Braut“ ist ihm allerhand eingefallen, man fragt sich nur, ob es das Richtige war. Letztendlich ging es darum, was am Original volkstümlich, ländlich, auf freundliche Art komisch war, nicht zuzulassen – und zu so viel Unwillen, die grandiosen Tänze, die selbst die Beine des Publikums zucken lassen, auf der Bühne zu realisieren, da g’hört schon was dazu, würde Nestroy sagen.

Das böhmische Dorf wurde also zum schäbigen Rummelplatz, Die Bühne von Robert Schweer ist in dauernder Umbaubewegung, vollgestopft mit mehr oder minder Schrott, Riesen-Bierhumpen und riesigen Würsten, selbstverständlich auch Klo-Häuschen, und besonders überflüssig mit einem Love-Rodeo, wo ein Cowgirl auf einem Lederbullen reitet.
Im letzten Akt dann, wenn der Zirkus sich dauernd verändert, ist da auch noch eine Schar echter Artisten unterwegs, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich lenken. Und dann gibt es noch, plötzlich und unerwartet, das halb tragische Duett zwischen Hans und Marie (die nicht mehr so heißen) per Video auf eine transparente Zwischenwand geworfen. Und im Grunde macht nichts Sinn, die Daueraktion lenkt nicht nur vom Geschehen ab, es macht dieses oft unsichtbar, weil man gar nicht weiß, wer wo gerade ist. Als Inszenierungskonzept scheint das gelinde gesagt seltsam.
Gesungen wird mit einer vielfach tschechischen bzw, slowakischen Besetzung (auch Peter Kellner ist trotz deutschen Namens ein solcher) – auf Deutsch. Angeblich der Verständlichkeit wegen, die kaum gegeben ist, auch wenn die Herrschaften tadellos artikulieren (über „Böhmakeln“ zu lächeln, gibt es keinen Anlaß). Man muss sich die Erklärung der erarbeiteten Fassung auf der Zunge zergehen lassen:
Neue deutsche Textfassung von Susanne Felicitas Wolf in Zusammenarbeit mit Sergio Morabito auf Grundlage der Bühnenfassung von Carl Riha und Winfried Höntsch unter Verwendung von Passagen aus den Übertragungen von Kurt Honolka und Paul Esterhazy.
Die Herrschaften werden selbstverständlich gewusst haben, warum sie die klassische deutsche Übersetzung von Max Kalbeck, die mancher noch im Ohr haben mag, verschmähten. Das Publikum muss es ja nicht begreifen, jedenfalls sind Hans und Marie jetzt Jeník und Mařenka. Wenzel heißt wie im Original Vašek, nur Kecal bleibt Kecal … wenn er in dieser Inszenierung auch recht ungewöhnlich einherkommt.
Titelheldin Marie / Mařenka, anfangs flott in Hosen, am Ende effektvoll im weißen Brautkleid (Kostüme: Alfred Mayerhofer) war, wie der Schlußapplaus zeigte, der Liebling des Abends und das zur Recht. Slávka Zámečníková sang mit quellklarer, leichter, schöner Stimme, sehr ergreifend in der Arie, wo sie wirklich darunter leidet, sich betrogen glauben zu müssen. Als Hans / Jeník hat Pavol Breslik sozusagen nur Metall in der Stimme, aber so klingen die slawischen Stimmen, und wo sollten sie richtig sein, wenn nicht hier? Dass er sich am Ende im Glitzer-Jakett aufführen muss wie ein absoluter Narr, liegt nicht an ihm, sondern an der Regie.
Dafür ist der stotternde Wenzel / Vašek die einzige Figur, für die man dem Regisseur dankbar ist. Hat man den armen stotternden Kerl in früheren Inszenierungen meist halb-debil erlebt, ist er hier in Gestalt von Michael Laurenz einfach ein verschreckter, liebenswerter junger Mann, der erst im Bärenfell dem Gelächter preisgegeben wird. Als seine Esmeralda lieferte Ilia Staple ihre beste Leistung, während der Zirkusdirektor von Matthäus Schmidlechner in Bedeutungslosigkeit unterging. Aber um aus dieser Rolle etwas zu machen (was heißt etwas – ein Kabinettstück!), musste man schon ein Erich Kunz sein und in „normalem“ Rahmen agieren dürfen…
Es gibt zwei Elternpaare, Hans Peter Kammerer und Monika Bohinec waren die Rabiaten, Franz Xaver Schlecht und Margaret Plummer die mehr oder minder Betröpfelten. Und da ist noch die zentrale Rolle des Heiratsvermittlers Kecal, um die sich so viel dreht (nehmen wir gnädigerweise an, einen solchen Geschäftemacher gab es noch in den siebziger Jahren). In der hier kreierten Welt kann der Paradekomiker durchaus zu einem Geschäftsmann mit Anzug und Aktentasche umgeformt werden – aber die Vis Comica müsste er ebenso mitbringen wie einen vollen, tiefen Baß. Und zumindest Letzteres steht Peter Kellner gar nicht zur Verfügung.
Schon mit der Ouvertüre schlug den Ton an, und zwar den richtigen – so exakt und dabei elastisch, so wundervoll ausbalanciert im Reichtum der Töne und Übergänge, läutete die Ouvertüre (ein berühmtes Glanzstück) einen Abend ein, der musikalisch die volle Schönheit und den Reichtum dieses Werks auslotete. Das hat kein‘ Wagner geschrieben und kein Verdi komponiert, ist von keinem Mozart und keinem Puccini, sondern unverwechselbar Smetana, tschechische Musik in ihrer Pracht.
Am Ende gab es herzlichen Applaus für die Interpreten, doch danach konnte sich das geradezu wütende Buh-Konzert für das Leading Team hören lassen. Viel mehr Beifall hätte der Dirigent verdient, denn schließlich war es sein Verdienst, dass man an diesem Abend wenigstens eine musikalisch vollgültige „Verkaufte Braut“ gehört hat.
Renate Wagner 1. Oktober 2025
Die verkaufte Braut
Bedřich Smetana
Staatsoper Wien
29. September 2025
Regisseur Dirk Schmeding
Dirigent Tomáš Hanus
Wiener Philharmoniker