Essen, Konzert: „Rossini, Chopin und Schostakowitsch“, London Symphony Orchestra & Antonio Pappano, Seong-Jin Cho

Darstellung des Terrors und der Unterdrückung

Am 9. August 1975, also vor 50 Jahren, starb Dmitri Schostakowitsch – am 17. Dezember 1953 wurde seine gut einstündige 10. Sinfonie uraufgeführt; ein nicht leicht zu rezipierendes Werk. Ein differenziertes, vielfach verschlüsseltes Portrait des Massenmörders Stalin, jenem Führer Russlands, durch den der Komponist sein Leben lang gelitten hat – seine Koffer waren immer gepackt. Die Sinfonie prägen Wut und Bitterness. Sie entwickelt sich langsam vom depressiv instrumentieren Anfang bis hin zum Aufschrei der Geknechteten und Ermordeten im Finale.

Die Musik zeigt erschütternd und eindringlich wie sich ein Mensch, der sich als homo sapiens definiert, im Faschismus fühlt – zwischen Anpassung, um zu überleben und Aufbegehren gegen das System, in einer Realität, in der Grauen, Schrecken, Angst und Beklemmung den Tagesablauf prägten.

Das Zentralkomitee der KPdSU, welches vorher viele seiner Werke unter dem üblichen Vorwurf des Formalismus verboten und geächtet hatte, feierte ihn auf einmal. Schostakowitsch wurde als erster Komponist der Sowjetunion plötzlich von Staatsseite gelobt. Der acht Monate vorher verstorbene Stalin, war ja auch nicht mehr existent. „Fachleute“ sind sich nicht notwendigerweise einig darüber, wie dies zu interpretieren gewesen ist in seiner Musik.

Zusammenfassend könnte man sagen: Schostakowitschs 10. Symphonie subsummiert kritisch die Auseinandersetzung des großen Komponisten mit dem kleinen Massenmörder und der Stalin Epoche. Es gibt keine direkten Zitate des Meisters im politischen Sinn zu diesem Werk. Sein Sohn Maxim Schostakowitsch sagte über die 10. Sinfonie seines Vaters, dass sie „das schreckliche Gesicht Stalins, besonders im zweiten Satz, aufleuchten lasse“. Er interpretierte auch klar, dass die Musik eine musikalische Abrechnung mit dem Diktator und den Jahren des stalinistischen Regimes sei, und sah in der Zehnten Sinfonie eine Darstellung des Terrors und der Unterdrückung.

Das Werk ist deshalb von so großer Bedeutung, weil es Schostakowitschs erste sinfonische Arbeit seit der langen Pause nach 1945 war. Er hatte sich eben nicht zur Ruhe gesetzt.

Eine fesselnde Interpretation – teilweise mit höllischen Tempi – gab der aktuell vielleicht weltbeste Dirigent Sir Antonio Pappano mit seinem London Symphony Orchestra gestern in Essen zum Besten. Eine bravouröse Orchesterleistung, die auch beim bärbeißigen Rezensenten die aktuellen Maßstäbe wieder ordnete. Ich sehe so etwas als „Fortbildung“, denn was soll ich – selbst als alter Schostakowitsch Kenner und Fan – bei solchen Weltklasse-Künstlern kritisieren? Das war, einmal wieder natürlich in Essen, wo man in den letzten Jahren praktisch alle 15 der weltbesten Orchester – das sogenannte Maß der Dinge im Orchesterwesen – genießen durfte. Besser geht es nicht. Unser Unser Opernfreund-Stern reicht hier nicht, denn das müsste mindestens ein echt (!) goldener Oscar sein.

Das Konzert in Essen beinhaltete im ersten Teil zusätzlich Chopins selten aufgeführtes zweites Klavierkonzert mit dem Ausnahme-Pianisten Seong-Jin Cho und quasi als Beiwerk Rossinis Ouvertüre zur Oper Semiramide. Eine diskussionswürdige Zusammenstellung, denn eines der größten Klaviertalente unserer Tage hätte, meiner Meinung nach, schon einen eigenen Galaabend verdient. Und ein roter Faden oder ein Sinn dieser Zusammenstellung (außer zwei Stunden zu füllen) erschloss sich mir nicht.

Fazit: Mustergültige Interpretationen. Ein Abend, der sicherlich auch beim Auditorium Maßstäbe setzte. Geradezu gigantischer, langanhaltender Beifall des sehr fachkundigen und konzentriert lauschenden Publikums. Man hätte die sprichwörtliche Stecknadel sowohl bei Chopin als auch in den Pianissimo-Phasen von Schostakowitschs Meisterwerk fallen hören können.

Peter Bilsing 6. Oktober 2025

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Konzert
Philharmonie Essen

5. Oktober 2025

Gioacchino Rossini: Ouvertüre zu „Semiramide“
Frédéric Chopin: Konzert Nr. 2 f-Moll für Klavier und Orchester, op. 21
Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 10 e-Moll, op. 93

Klavier: Seong-Jin Cho
Dirigent; Sir Antonio Pappan
London Symphony Orchestra


P.S. Redaktionelle persönliche Literatur Empfehlung ***

Während ersteres Werk noch gut im Neuzustand überall erwerbbar ist, gibt es das bessere Zweite (Ein absolutes MustBuy für Schostakowitsch Fans!) nur noch im Antiquariat.